Ben Gurion in der Wüste und im Kopfstand
Jüdisches Filmfestival Wien. Zur Eröffnung lief ein Film aus lange verschollenen Interviews mit dem Staatsgründer.
Am Anfang war die Vorstellung“: ein schöner Satz, um ein dem Staat Israel gewidmetes Filmfestival zu beginnen! Schriftsteller Doron Rabinovici begann seine Rede so, verflocht Persönliches – „Ich bin ein Kind der Lichtspiele“–, Poetisches und Politisches, erinnerte an die (von der heutigen polnischen Regierung verleugneten) Pogrome in Polen nach 1945, die seine Eltern, der NS-Vernichtungsmaschinerie gerade noch entronnen, bewogen, nach Israel zu gehen, aus der Diaspora in den Judenstaat. Die heute gut nebeneinander existieren. „Es ist eine Paradoxie, die viele Zionisten vor hundert Jahren nicht für möglich gehalten hätten“, sagte Rabinovici: „Seit es Israel gibt, ist es auch andernorts leichter, jüdisch souverän aufzutreten, weil Diaspora kein Fluch mehr ist, sondern eine Wahlmöglichkeit wurde.“
Mit Verve wandte sich Rabinovici gegen die auch unter manchen Linken grassierende Idee, Israel sei „ein Fremdkörper, der im Nahen Osten wuchert, allenfalls ein Brückenkopf des westlichen Imperialismus“, und gegen entsprechende Boykottaufrufe: „Niemand kam je auf die Idee, alle serbischen, kroatischen, russischen oder iranischen Filmemacher zu boykottieren. Es ist kein Zufall, wenn ein Boykott ausgerechnet wieder das Jüdische treffen soll, wobei der antisemitische Kontext und die historische Kontinuität, zumal in Österreich oder Deutschland, nicht zu leugnen sind.“
Umso erfreulicher, dass es in Wien seit 1991 ein jüdisches Filmfestival gibt, heuer in zwei Teilen: Bis 28. März feiert es unter dem Motto „Servus Israel!“die ersten 70 Jahre des neuzeitlichen Staates Israel, ab 11. Oktober den 100. Geburtstag der Republik Österreich („Shalom Austria!“).
Feierlich eröffnet wurde im Kino der Urania, Botschafterin Talya Lador-Fresher begrüßte, Historiker Benny Morris hielt ein recht pessimistisches Referat über den (2000 gescheiterten) Friedensprozess, auf den Pralinen der Damenspende prangten die Arche Noah und David Ben Gurion, der Gründervater Israels. Ihm galt auch der erste Film, das Produkt einer Wiederentdeckung: eines sechsstündigen Interviews, das er 1968, im Alter von 82 Jahren, im Kibbuz Sede Boker in der Wüste Negev gegeben hatte.
Dort lebte er nach seinem Rückzug aus der Politik, körperlich arbeitend und an einer Geschichte Israels schreibend. Die Interviews zeigen einen Staatsmann, der seine humanistische Überzeugung mit Moses und den Propheten untermauert, Fernsehen, Telefon und große Städte ablehnt, verschmitzt erklärt, warum ihm Nachdenken lieber ist als buddhistische Meditation. Man sieht ihn mit Einstein, Ray Charles und – auf Anraten von Moshe´ Feldenkrais – im Kopfstand. Man hört viel Kluges und manchmal ganz Einfaches: „We wanted to create a new life.“
In Israel haben den Film schon über 50.000 gesehen, linke wie rechte Politiker (auch Netanjahu) haben ihn empfohlen. Es wäre eine schöne Pointe, wenn die Erinnerung an den Pionier heute zur Versöhnung der Lager in Israel beitragen könnte.