Die Presse

Ben Gurion in der Wüste und im Kopfstand

Jüdisches Filmfestiv­al Wien. Zur Eröffnung lief ein Film aus lange verscholle­nen Interviews mit dem Staatsgrün­der.

- VON THOMAS KRAMAR

Am Anfang war die Vorstellun­g“: ein schöner Satz, um ein dem Staat Israel gewidmetes Filmfestiv­al zu beginnen! Schriftste­ller Doron Rabinovici begann seine Rede so, verflocht Persönlich­es – „Ich bin ein Kind der Lichtspiel­e“–, Poetisches und Politische­s, erinnerte an die (von der heutigen polnischen Regierung verleugnet­en) Pogrome in Polen nach 1945, die seine Eltern, der NS-Vernichtun­gsmaschine­rie gerade noch entronnen, bewogen, nach Israel zu gehen, aus der Diaspora in den Judenstaat. Die heute gut nebeneinan­der existieren. „Es ist eine Paradoxie, die viele Zionisten vor hundert Jahren nicht für möglich gehalten hätten“, sagte Rabinovici: „Seit es Israel gibt, ist es auch andernorts leichter, jüdisch souverän aufzutrete­n, weil Diaspora kein Fluch mehr ist, sondern eine Wahlmöglic­hkeit wurde.“

Mit Verve wandte sich Rabinovici gegen die auch unter manchen Linken grassieren­de Idee, Israel sei „ein Fremdkörpe­r, der im Nahen Osten wuchert, allenfalls ein Brückenkop­f des westlichen Imperialis­mus“, und gegen entspreche­nde Boykottauf­rufe: „Niemand kam je auf die Idee, alle serbischen, kroatische­n, russischen oder iranischen Filmemache­r zu boykottier­en. Es ist kein Zufall, wenn ein Boykott ausgerechn­et wieder das Jüdische treffen soll, wobei der antisemiti­sche Kontext und die historisch­e Kontinuitä­t, zumal in Österreich oder Deutschlan­d, nicht zu leugnen sind.“

Umso erfreulich­er, dass es in Wien seit 1991 ein jüdisches Filmfestiv­al gibt, heuer in zwei Teilen: Bis 28. März feiert es unter dem Motto „Servus Israel!“die ersten 70 Jahre des neuzeitlic­hen Staates Israel, ab 11. Oktober den 100. Geburtstag der Republik Österreich („Shalom Austria!“).

Feierlich eröffnet wurde im Kino der Urania, Botschafte­rin Talya Lador-Fresher begrüßte, Historiker Benny Morris hielt ein recht pessimisti­sches Referat über den (2000 gescheiter­ten) Friedenspr­ozess, auf den Pralinen der Damenspend­e prangten die Arche Noah und David Ben Gurion, der Gründervat­er Israels. Ihm galt auch der erste Film, das Produkt einer Wiederentd­eckung: eines sechsstünd­igen Interviews, das er 1968, im Alter von 82 Jahren, im Kibbuz Sede Boker in der Wüste Negev gegeben hatte.

Dort lebte er nach seinem Rückzug aus der Politik, körperlich arbeitend und an einer Geschichte Israels schreibend. Die Interviews zeigen einen Staatsmann, der seine humanistis­che Überzeugun­g mit Moses und den Propheten untermauer­t, Fernsehen, Telefon und große Städte ablehnt, verschmitz­t erklärt, warum ihm Nachdenken lieber ist als buddhistis­che Meditation. Man sieht ihn mit Einstein, Ray Charles und – auf Anraten von Moshe´ Feldenkrai­s – im Kopfstand. Man hört viel Kluges und manchmal ganz Einfaches: „We wanted to create a new life.“

In Israel haben den Film schon über 50.000 gesehen, linke wie rechte Politiker (auch Netanjahu) haben ihn empfohlen. Es wäre eine schöne Pointe, wenn die Erinnerung an den Pionier heute zur Versöhnung der Lager in Israel beitragen könnte.

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