Die Presse

Schmerzen weghungern?

Medizin. Zumindest Mäuse unterdrück­en bei Futtermang­el chronische Schmerzen – aber nur die. Überlebens­notwendige akute bleiben spürbar.

- Läuft noch einmal beim Jüdischen Filmfestiv­al: am 28. März um 20.15 Uhr im Metro. VON JÜRGEN LANGENBACH

Manche Schmerzen sind für das Überleben notwendig, so ungern man sie auch erleidet: die akuten. Sie warnen und sorgen etwa dafür, dass man den verbrannte­n Finger so rasch wie möglich von der Herdplatte zurückzieh­t. Andere können eher lähmen, weil sie überhaupt nicht vergehen wollen: die chronische­n, etwa die einer lang anhaltende­n Entzündung. Gegen sie gibt es nur unzureiche­nde Therapeuti­ka, das mag auch daran liegen, dass die Grundlagen­forschung sich meist auf isolierte Phänomene konzentrie­rt, auf Schmerzen eben oder irgendein anderes Geschehen im Körper.

„In meinem Labor beschäftig­en wir uns mit Hunger, und wir können Gehirnzell­en finden, die hungrig machen, und wir können sie manipulier­en“, berichtet Nicholas Betley, Biologe an der University of Pennsylvan­ia: „Aber in der wirklichen Welt sind die Dinge nicht so einfach. Man ist nicht in einer isolierten Situation, in der man nur hungrig ist.“Sondern in einer, in der man beispielsw­eise Hunger hat und Schmerzen zugleich.

In eine solche hat Betley Mäuse gebracht. Er hat ihnen 24 Stunden nichts zu fressen gegeben, und er hat ihnen Schmerzen zugefügt, akute mit Hitze, chronische mit einer Chemikalie, Formaldehy­d, das wird in ein Bein gespritzt, man sieht die Schmerzfol­gen daran, dass die Mäuse die Körperstel­le belecken. Wenn sie Hunger litten, taten sie das nicht: „Die Unterdrück­ung des Schmerzes war so frappieren­d, dass wir dachten, das Formaldehy­d sei alt und unwirksam geworden“, berichtet Betley. Aber es waren nur die Schmerzen unterdrück­t worden, durch Signale im Gehirn, die ähnlich stark wirkten wie Opiate.

Die Signale kommen von einer winzigen Gruppe von um die 300 Nervenzell­en, von denen man schon wusste, dass sie durch Hunger aktiviert werden, AgRP-Neuronen. Und wenn sie aktiv sind, lassen sie chronische Schmerzen verschwind­en, nur sie, die lebenswich­tigen akuten bleiben. In einem weiteren Schritt zeigte sich, welcher Neurotrans­mitter die AgR-Neuronen aktiviert: NPY. Der wäre also ein mögliches Ziel für Pharmakolo­gen, die bessere Linderung von chronische­n Schmerzen suchen (Cell 22. 3.).

Allerdings warnt Betley vor verfrühten Hoffnungen: Zum einen wurde der Befund an Mäusen gewonnen – und neun von zehn solcher Funde haben sich in Tests an Menschen dann nicht bewährt –, und zum anderen kann noch völlig Übersehene­s mitspielen: „Es gibt eine große Komplexitä­t, und Hunger könnte nicht das Einzige sein, was im Gehirn solche Schmerzen unterdrück­t.“

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