Putin, ein vergifteter Spion und die Frage, wann eine Ente eine Ente ist
Die weitgehend erfolgreich abgeschlossene Selbstinfantilisierung der Europäer macht die EU zu einer impotenten Großmacht ohne Kraft und Ziel.
Wenn etwas watschelt wie eine Ente, aussieht wie eine Ente und quakt wie eine Ente, dann kann man bekanntlich davon ausgehen, dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine Ente handelt. Es sei denn, die in Brüssel versammelten 28 Außenminister der EU haben über das entenhafte an einer Ente zu befinden.
Das klingt dann in einem aktuellen Statement über die versuchte Ermordung eines ehemaligen russischen Spions in Salisbury mittels eines russischen chemischen Kampfstoffs allen Ernstes so: Die EU „nimmt die britische Einschätzung äußerst ernst, dass es höchst wahrscheinlich ist, dass die Russische Föderation verantwortlich ist“. Damit blieb die Union an Klarheit deutlich hinter der Erklärung Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und der USA zurück, wonach Moskau mit „hoher Wahrscheinlichkeit die Verantwortung“trägt.
Die EU nimmt also sozusagen die britische Einschätzung, bei einer Ente handle es sich um eine Ente, „äußerst ernst“. Nein, das hat kein Satireportal in die Welt gesetzt.
Ob Russlands gerade wiederbestellter Präsident, Wladimir Putin, angesichts dieser Meldung einen Lachkrampf erlitten hat, ist leider nicht überliefert. Beeindruckt haben wird ihn diese Demonstration europäischer Impotenz jedenfalls nicht. Schon gar nicht angesichts der Tatsache, dass vor allem die Unlust der griechischen Regierung, die Täter beim Namen zu nennen, zu dieser unfreiwillig komischen Formulierung geführt hat. Griechenland, ausgerechnet die von Linksextremisten regierte marginale Pleiteprovinz der Union, zieht da Berlin, Paris und London am Nasenring durch die Brüsseler Manege.
Sichtbar wurde hier aber auch wieder einmal die Rolle, die die EU mit ihren (noch) gut 500 Millionen Menschen als Akteur der Weltpolitik spielt: Keine, jedenfalls wenn es um mehr als gute Ratschläge, oberschlaue Betrachtungen und notfalls das Ausstellen eines Schecks geht. Es ist eine Impotenz, die immer dann besonders gut sichtbar wird, wenn es darum geht, in einer globalen Krise entschlossen und im äußersten Fall auch militärisch zu handeln; im Nahen Osten etwa. Das liegt natürlich primär daran, dass sich die Nationalstaaten ihre außenpolitische Souveränität nur sehr ungern aus der Hand nehmen und nach Brüssel transferieren lassen.
Doch dahinter dürfte ein schwerwiegenderes Problem liegen: die nicht zuletzt vom weltweit einzigartigen Komfort der europäischen Wohlfahrtsstaaten ausgelöste Weigerung der Europäer, endlich zur Kenntnis zu nehmen, dass sie in einer Welt der Gewalt, der Aggression und letzten Endes des Kampfs leben – und damit verbunden Unlust und Unvermögen, ihre Interessen mit angemessenem Elan durchzusetzen.
Die immer wieder vorgebrachte Forderung nach einem Marshall-Plan für was auch immer ist das Entschlossenste, was Europa da noch zusammenbringt. Aber man kann eben leider nicht alle Krisen und Konflikte mit Geld zukleistern. Und Sozialarbeiter sind in vielen Gegenden der Welt nicht das Mittel der Wahl, um böse Buben zu überzeugen.
Der Militärhistoriker Martin van Creveld hat dieses Phänomen in seinem jüngsten Buch mit dem programmatischen Titel „Wir Weicheier. Warum wir uns nicht mehr wehren können“präzise analysiert. Er führt die seit Jahrzehnten zu beobachtende Unfähigkeit nicht nur der Europäer, ihre Macht angemessen zu projizieren, letztlich auf die Infantilisierung unserer Gesellschaften zurück, verbunden mit einer weitverbreiteten Unfähigkeit, Verantwortung zu tragen und Entscheidungen über Tod und Leben treffen zu können. Auch die zunehmende Bedeutungsverlagerung von den Pflichten zu den Rechten der Bürger sieht van Creveld als kausal für die Schwäche des Westens an.
So besehen ist ganz gut erklärlich, warum es manchen so schwerfällt, eine Ente eine Ente zu nennen, auch wenn sie quakt und watschelt.