Geheimdienst und Skandale
Geheimdienst. Nachrichtendienste und Verfassungsschutz haben eigentlich in Schlagzeilen nichts verloren. Doch Gerüchte und Skandale gab es schon in der k. u. k. Monarchie.
Schon in der k. u. k. Monarchie waren Nachrichtendienste in der Öffentlichkeit sichtbarer als erwünscht.
Der Geheimdienst ist ein widerwärtiges, gefährliches Geschäft. Er verdirbt den Charakter. Die Atmosphäre der Lüge, der Intrige, der Heuchelei und der gegenseitigen Bespähung wirkt demoralisierend. Der Verkehr mit fragwürdigen Agenten, Provokateuren und Denunzianten, die im Geheimdienst ihr Brot suchen und finden, der unentrinnbare Zwang zur ethischen Unsauberkeit, kränkelt früher oder später auch die Besten an.“Es sind ehemalige Geheimdienstmitarbeiter, die retrospektiv am härtesten über das „fragwürdige Gewerbe“urteilen (Historiker machen wegen der unzuverlässigen Quellen und der Verlogenheit der Spionageprofis oft einen Bogen um das Thema).
Natürlich bringen Ex-Geheimdienstler ihre Erinnerungen meist unter einem Pseudonym unter die Leute. Die oben zitierten Sätze stammen daher von einem „Major Kwaplitschka“und erschienen 1946 unter dem Titel „Entlarvter Geheimdienst“. Dahinter steckte Arthur Schütz, ein österreichischer Ingenieur und Schriftsteller, der gegen Ende der k. u. k. Monarchie als Leiter der Abwehrzensur gegen Russland wirkte. (In der Geschichte der Zeitung, die Sie gerade lesen, spielte er auch eine Rolle: Er schmuggelte 1911 eine haarsträubende Falschmeldung über einen „Grubenhund“in die „Neue Freie Presse“. Die Zeitung wurde zum Gespött der Leute. Das war ethisch sehr unsauber, Herr Ingenieur Schütz!)
Was der österreichisch-ungarische Nachrichtendienst 1918 am meisten fürchtete, waren bolschewistisch infizierte Männer, die aus russischer Kriegsgefangenschaft über die Grenzen nach Hause strömten. Viele österreichische Soldaten hatten im Osten die Revolution von 1917 erlebt, man hielt sie für indoktriniert und bereitete ihnen in der österreichischen Heimat einen reservierten Empfang. Neben der Entlausung war auch die ideologische Überprüfung angesagt, die Heimkehrer sollten niemanden in der Heimat mit rotem Gedankengut anstecken.
Die ideologische Verteidigungsbastion
Die beiden österreichischen Historiker Verena Moritz und Hannes Leidinger arbeiteten vor mehr als zehn Jahren die Situation dieser Kriegsgefangenen auf und stießen dabei immer wieder auf den „Architekten dieser ideologischen Verteidigungsbastion“, den letzten Geheimdienstchef der Habsburgerarmee, Maximilian Ronge, der bis dahin nur als „Fußnoten-Gespenst“in den historischen Darstellungen aufschien. Offensichtlich bewegten sich die Forscher auf einem schwierigen Terrain, in dem es von Halbund Unwahrheiten wimmelte und viele Akten vernichtet worden waren. Doch sie behielten den k. u. k. Spionagechef im Visier.
Da kam ihnen ein glücklicher Zufall zu Hilfe. In der Messerschmidtgasse in Wien Währing lebte ein Kollege der beiden, Gerhard Jagschitz, und zwar in der Wohnung, die schon sein Großvater besessen und bis zu seinem Tod 1953 bewohnt hatte. Dieser Großvater war Maximilian Ronge. Die Begeisterung der beiden noch jungen Historiker steckte auch den arrivierten Kollegen Jagschitz an – ab nun kamen die drei über Wochen und Monate in der Messerschmidtgasse zusammen, wo intensiv über die vielen Gesichter des Max Ronge diskutiert wurde. Zudem war in der Wohnung ein Teil des Nachlasses vorhanden, Fotos, Berichte, Briefe, Konfidentenmappen, Tagebuchnotizen (ein anderer Teil ist im Kriegsarchiv). War es also möglich, dem professionellen Spurenverwischer aus der k. u. k. Zeit auf die Schliche zu kommen?
Das Ergebnis der Recherchen kann sich sehen lassen. Wohl noch nie wurde ein Geheimdienstmann so sehr aus dem Dunkeln herausgeholt, ausgeleuchtet und durch die persönliche Perspektive des Enkels neu gesehen. Das Buch, das 2007 erschien, heißt „Im Zentrum der Macht“und ist im Residenz-Verlag erschienen.
Die Zentrale des militärischen Nachrichtendienstes der österreichisch-ungarischen Monarchie war das sogenannte „Evidenzbureau“. Das Wort Evidenz für Aktenablage, Registratur usw. hielt sich im österreichischen Bürokratendeutsch, es ist alles andere als unpassend für die Arbeit der k. u. k. Spionageabwehr, ging es doch weniger darum, mit kühnen Aktionen wie James Bond die Welt vor dem Untergang zu retten, sondern ausländische Zeitungen zu studieren, Zahlen und Fakten zu sammeln, verdächtige Postsendungen zu lesen, nachrichtendienstliche Routine also. Für eine Großmacht war das Evidenzbüro schütter besetzt: Gerade einmal 15 Offiziere waren hier im 4. Stock des k. u. k. Kriegsministeriums Am Hof tätig. Das war im Vergleich zum deutschen oder russischen Geheimdienst sehr kärglich.
Das Spionagemetier, diese „Chiffrengruppe“, stieß auf Naserümpfen. Man assoziierte damit eine Schattenwelt, eine Grauzone zwischen Geschwätzigkeit, Illegalität und Patriotismus, in der sich Schwindler, Verräter und Verbrecher herumtrieben, das war unvereinbar mit dem Ehrenkodex eines Offiziers.
Maximilian Ronge war ein gut funktionierendes Rädchen im System, ein Teil der geschlossenen militärischen Elite der Monarchie. Menschen, die er der Spionage verdächtigte, ließ er ohne Skrupel (und auch ohne eingehende Untersuchung) hinrichten. Als er entdeckte, dass die russophile Bevölkerung Galiziens Botschaften per Brieftauben verschickte, wurde das Halten der Tiere mit dem Tod bestraft. Ein Scharfmacher und Schreibtischtäter also, der als erster auch den „Feind im Innern“sah. Zugleich war der zaristische Geheimdienst der gefährlichste Gegenspieler Österreich-Ungarns, das nahm vor Ronge kaum einer zur Kenntnis. Da war er ein Pionier, ein Meister des „Kalten Kriegs“.
Geheimhaltung war das oberste Gebot. „Einer wusste nicht was der andere tat, jeder musste anklopfen, wenn er des anderen Zimmer betreten wollte. Ein eigener Inspektionsoffizier hatte täglich nach Büroschluss alle vom Generalstab benützten Räume zu visitieren und besonders darauf zu sehen, ob die Tischladen, Kästen und eisernen Schränke richtig versperrt waren und ob keine Akten und Papiere umherlagen“, so ein Insider. Immer wieder schüttelten die Profis den Kopf, wenn sie hörten, dass Diplomaten bei heiklen Korrespondenzen den normalen Postweg benützten und die Normalschrift verwendeten anstatt zu chiffrieren.
„Vorsicht im Umgang mit fremden Menschen! Man weiß nie, wen man vor sich hat!“, hieß es. Diese Erfahrung machte auch Ronge selbst, und zwar mit seinen eigenen Leuten. Im Evidenzbüro selbst trieb ein Superspion sein dreistes Spiel, Oberst Alfred Redl, der als Vorgesetzter Ronge in die Geheimnisse des Kundschaftswesens eingeführt hatte. Der Lebensstil Redls hätte auffallen müssen, er erhielt von ausländischen Geheimdiensten private Zuwendungen in der Höhe des Jahresbudgets der ganzen Abteilung. Doch man verschloss die Augen vor dem, was man sich nicht vorstellen konnte und wollte. So viel Fantasie hatte keiner.
Keine Presseberichte erwünscht
Redl wurde überführt, und: Er musste sterben. Man entschloss sich, ihm die Möglichkeit der Selbsttötung zu geben. Ronge war lange Zeit schamlos hintergangen worden und hatte nichts gemerkt. Eine Demütigung. Jetzt musste ein langwieriger Prozess mit Presseberichten vermieden werden.
Redl erschoss sich in einem Hotelzimmer, davor legte er Ronge gegenüber ein Geständnis ab. „All die Dinge, die mich mein allzu interessanter Beruf noch erleben ließ, griffen weniger an Herz und Nerven als dieser Verrat. Redl war ganz gebrochen, wollte sein Geständnis aber nur mir alleine machen“, so Ronge. Die Browning-Pistole hatte er dem Verräter selbst überbracht, sicherheitshalber mit einem Päckchen Gift dazu.
Der Irredentismus in den eigenen Reihen habe die Monarchie zerstört, so Ronges Urteil, als 1918 alles vorbei war. Damit reihte er sich ein in die Reihe der vielen, die sich als ungehörte Warner sahen, die alles schon vorhergesehen hatten. Er selbst blieb Monarchist und stellte sein Geheimdienstwissen verschiedenen Systemen zur Verfügung, er diente den folgenden Regierungen außer den Nazis, noch Figl und Raab betrauten den alten Geheimdienstler mit Aufgaben beim Aufbau eines Nachrichtendienstes.
Ständig beschäftigen sich Mitarbeiter von Nachrichtendiensten mit Geheimnissen, echten und vermeintlichen. Geht ihnen die klare Unterscheidung zwischen realer und virtueller Welt dadurch verloren, so die prinzipielle Überlegung von Gerhard Jagschitz? Und werden Geheimdienstleute durch ihre Arbeit nicht dazu verleitet, sich aus den Zwängen aller Normen zu befreien und sich auf Grund ihres Informationsvorsprungs über den Staat und seine Grundprinzipien zu erheben? Haben sich die Zeiten geändert?