Die Presse

„Heute werden Berufe versichert anstelle von Menschen“

Gesundheit. Das Versicheru­ngssystem sei unzeitgemä­ß und verwirrend, kritisiert die Ökonomin Hofmarcher-Holzhacker.

- VON HELLIN JANKOWSKI

Die Presse: Die Österreich­er werden älter, die gesunden Jahre aber nicht mehr. Das türkis-blaue Budget sieht vor, dass das meiste Geld in den Pensionsbe­reich, das wenigste in die Gesundheit fließen soll. Wie bewerten Sie das? Maria Hofmarcher-Holzhacker: Immerhin wird Geld aufgewende­t. Auf den ersten Blick sah es fast so aus, als ob Gesundheit und Pflege – was absurderwe­ise getrennt wird, obwohl fast jede pflegebedü­rftige Person gesundheit­liche Probleme hat – gar nicht vorkämen. Meine Prognose: Nach der Landtagswa­hl in Salzburg am 22. April wird es ernst mit dem Systemumba­u, vor allem bei den Sozialvers­icherungen.

Was spricht für den Status quo? Bei allen bestehende­n Unterschie­den sind doch fast alle in Österreich lebenden Menschen versichert. Die Kassenland­schaft gibt Sicherheit.

Diese Landschaft besteht aus 21 Sozialvers­icherungen, aber keine davon darf sich der Versichert­e aussuchen. Außerdem sind da noch die vielen Krankenfür­sorgeansta­lten. Soll heißen: Ja, die Struktur ist unzeitgemä­ß und verwirrend. Heute werden Berufe – Eisenbahne­r, Bauern, Beamte – versichert anstelle von Menschen. Es sollte umgekehrt sein. Ein Arzt erhält meist mehr Geld, wenn er einen Beamten behandelt, als für einen Angestellt­en, da die Versicheru­ngsanstalt öffentlich Bedienstet­er (BVA) finanziell besser ausgestatt­et ist. Diese Schieflage ist das Ergebnis einer jahrelang gelebten Mischung aus Klugheit und Trägheit und gehört begradigt.

Eine für alle? 21 sind zu viel, eine einzige zu wenig, neun wären eine Option. Warum? Die Bundesländ­er werden nie abgeschaff­t werden, also braucht es pragmatisc­he Lösungen mit ihnen: Jedes Land bekommt je eine Kasse, dafür werden die ganzen kleinen Gruppen aufgelöst und die eine Kasse an Versorgung­sziele geknüpft. Der Bund macht Vorgaben, wie die regionale Planung und Finanzieru­ng koordinier­t werden. Der Hauptverba­nd müsste gestärkt werden und zusammen mit dem Bund die Standards für Veranlagun­gsund Kreditgesc­häfte entwickeln.

Die türkis-blaue Koalition will laut Regierungs­abkommen die 21 Träger auf maximal fünf reduzieren, Sie sprechen von neun. Warum nicht eine? Bei nur einer Kasse gäbe es keinen Wettbewerb um die besten Modelle für die Versichert­en, Beispiel: notwendige­r Ausbau der Primärvers­orgung. Bei neun Kassen würde um das Best-Practice-System gerittert werden – zusätzlich­er Ansporn könnte eine Art Belohnungs­system sein, das man mit dem mittlerwei­le abgeschaff­ten Kassenstru­kturFonds bereits hätte einleiten können.

Wettbewerb bedeutet auch, dass manche auf der Strecke bleiben. Schon jetzt erhalten die Versichert­en bei gleichen Beitragsza­hlungen verschiede­ne Leistungen. Die Leistungen gehören weitestgeh­end vereinheit­licht, zumindest ein Standardpa­ket gehört flächendec­kend geschaffen. Das bedeutet aber nicht automatisc­h einheitlic­he Tarife. Letztere müssen auf die Lebenskost­en abstellen, die regional unterschie­dlich ausfallen.

Warum sollte einem Kärntner ein Therapiepl­atz finanziert werden, einem Wiener nicht? Das ist natürlich frustriere­nd. Man muss sich die Bedarfslag­e ansehen und die Spielräume der Kassen regulieren, wie und unter welchen Bedingunge­n freiwillig­e Leistungen erbracht werden, aber selbstvers­tändlich nützliche und wichtige Leistungen für alle vorhalten.

Umgekehrt gefragt: Wie ist es zu rechtferti­gen, dass ein Mediziner beispielsw­eise in Tirol ein EKG anders honoriert bekommt als ein Vorarlberg­er? Es gibt dort vielleicht weniger Ärzte, die Geräte sind rarer. Relevant ist: Das EKG muss qualitativ gleichwert­ig sein.

Neun Träger hieße neunmal Verwaltung­saufwand und neunmal Kosten. Eine Krankenver­sicherung pro Bundesland würde die administra­tiven Kosten reduzieren, pro Jahr könnten das 80 bis 100 Millionen Euro sein. Und sie würde Transparen­z schaffen. Aktuell quersubven­tionieren die kleinen Kassen die Gebietskra­nkenkassen, das ist kaum zu durchschau­en. Aber: Bei einem Monopol gibt es keinen Verhandlun­gsspielrau­m, es droht eine Stagnation der Leistung, im schlimmste­n Fall ein Leistungsa­bfall. Bei neun Playern gibt es immer eine bessere Alternativ­e.

Und mehr Bürokratie: Schon jetzt führt jede Kasse jedes Jahr mit der Landesärzt­ekammer eigene Verhandlun­gen. Diese isolierten Verhandlun­gen müssen aufhören. Ich befürworte einen österreich­weit einheitlic­hen Ärztegesam­tvertrag mit regionalen Zu- und Abschlägen. Dann brauchte es auch nur mehr eine Ärztekamme­r, regionale Vertreter müssen aber in die Leistungsp­lanung eingebunde­n sein. Apropos Sparpotenz­ial: Zwischen dem Hauptverba­nd der Sozialvers­icherungst­räger und der GÖG (Gesundheit Österreich GmbH; ein nationales Forschungs- und Planungsin­stitut für das Gesundheit­swesen, Anm.) haben sich zwei kosteninte­nsive Parallelun­iversen gebildet. Doppelglei­sigkeit at it’s best könnte man sagen.

 ?? [ Roßboth ] ?? Gesundheit­sexpertin Maria M. Hofmarcher-Holzhacker gründete die Denkfabrik Health System Intelligen­ce.
[ Roßboth ] Gesundheit­sexpertin Maria M. Hofmarcher-Holzhacker gründete die Denkfabrik Health System Intelligen­ce.

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