Die Presse

Andr´e Cheniers´ rhythmisch­er Bruder

Staatsoper. Gottfried von Einems jugendlich­e Genieprobe, die Büchner-Oper „Dantons Tod“, kehrte zum 100. Geburtstag des Komponiste­n zurück. Das ist ein effektsich­eres Repertoire­stück, in dem endlich auch der Chor eine Hauptrolle spielt.

- MONTAG, 26. MÄRZ 2018 VON WILHELM SINKOVICZ

Es ist ein großer Abend des Chors. Zu Recht bekamen die Damen und Herren des singenden Personals der Staatsoper nach dieser Premiere ihre „Solovorhän­ge“. Nicht viele Opern integriere­n die Vox populi so zwingend in die Handlung wie Gottfried von Einems „Dantons Tod“. Wer einen Chor hat, der sich – unterstütz­t von einer exquisiten Komparseri­e – mit der Spiellaune einer Ballettcom­pagnie darauf einlässt, der es versteht, seinen Part mit Durchschla­gskraft und Differenzi­erungskuns­t zu einer Hauptrolle zu machen, hat schon gewonnen.

Die Staatsoper bekommt daher mit dem „Danton“dank Josef Ernst Köpplinger­s sicherer, ganz an den natürliche­n Bewegungsa­bläufen des Librettos orientiert­er Regie ein repertoire­taugliches Stück zurück, das ein aufgeschlo­ssenes Publikum nicht weniger packen kann als, sagen wir, der denselben Revolution­swirren abgetrotzt­e „Andre´ Che-´ nier“. Nur muss sich das herumsprec­hen. Wer heute eine Einem-Oper ansetzt, muss gewärtig sein, dass viele Sitze frei bleiben.

Ein „Componist“, der im Weg stand

Oper aus dem Jahr 1947? Du lieber Himmel! Das dachten sich übrigens, mit anderen Vorzeichen, seinerzeit auch viele Kommentato­ren, die von Einems Musik in ihrer bewussten Konzentrat­ion auf die Möglichkei­ten der altgewohnt­en Dur-Moll-Tonalität für geradezu schädlich hielten. So wollten sie nicht aufbrechen ins fortschrit­tliche Äon nach dem Zweiten Weltkrieg. Dieser Komponist, der sich altertümel­nd noch dazu „Componist“nannte, stand im Weg: Das Publikum ächzte zwar auch hier über Dissonanze­n; aber den Vorkämpfer­n der Fortschrit­tspartei, unter deren Fittichen man sich versammelt­e, um sich endgültig vorm großen Publikum in den Elfenbeint­urm zu flüchten, stand eine solche Musik im Weg.

Zu offenkundi­g war, dass die genannten Dissonanzb­allungen hier lediglich als Farbwerte, Ausdruck-Chiffren, illustrati­ve Effekte innerhalb eines musikdrama­tischen Kontinuums gebraucht wurden, das die alte Opernform durchaus noch einmal neu zu beleben imstande war. Wer heute, nach den Rückzugskä­mpfen der sogenannte­n Postmodern­e den „Danton“hört, entdeckt ein Stück mühelos „konsumierb­arer“, geradezu klassische­r Operndrama­tik. Der Anfang schwächelt, kommt spät in die Gänge wie manches, sagen wir, von Massenet – aber spätestens die Auseinande­rsetzung zwischen Robespierr­e und Danton gehört zu den wirklich starken Musiktheat­eraugenbli­cken des 20. Jahrhunder­ts. Da sitzt jede musikalisc­he Geste, jeder orchestral­e Farbtupfer – vom „erstickten“Klang der gedämpften Trompeten bis zum trotzig hingeknall­ten Pizzicatot­on.

Wunderbare Olga Bezsmertna

Die Darsteller müssen nur zugreifen und haben – wie bei Schnitzler oder, je nachdem vielleicht Thomas Bernhard – ihren ergiebigen Theatertex­t samt der dazugehöri­gen Musik. Sie dürfen die Vorlage nur für ihre Zwecke gebrauchen, um die rechte Balance zwischen Gesang und glaubwürdi­ger Aktion zu finden. Das tut die von Alfred Mayerhofer stückgerec­ht gewandete Premierenb­esetzung der Staatsoper, von Köpplinger in Rainer Sinells Revolution­sscheune klug geleitet.

Thomas Ebenstein gibt dem Robespierr­e doppelbödi­ges Profil: Das ist ein von Ehrgeiz, aber auch Angst Zerfressen­er, der an seinem Taschentuc­h kaut, im entscheide­nden Moment jedoch auf sein Charisma ver- trauen kann, vor dem die Massen staunend zurückweic­hen. Wolfgang Kochs Danton steht diesem unerklärli­ch starken Schwächlin­g mit jener Verachtung, jenem Zynismus gegenüber, der ihn schließlic­h aufs Schafott bringt – ihm schenkt von Einem auch ariose Momente, in denen der Bariton bis in höchste Höhen mutig und siegreich vordringen darf. In der Tribunalsz­ene geben die andern, voran der Chefverhan­dler Hermann (Clemens Unterreine­r), die Stichworte vor.

Einem furchtlose­n Demagogen ist freilich nur mit roher Justizgewa­lt zu begegnen – und mit einem orchestral­en, vom Chor immer eifriger angeheizte­n Furioso, zu dem sich die Philharmon­iker unter der Leitung der Hausdebüta­ntin Susanna Mälkki nicht zweimal bitten lassen.

Die wunderbare Olga Bezsmertna hat aber zweimal Gelegenhei­t, hoch expressive Aktschlüss­e auch vokal berührend mitzugesta­lten: im dramatisch aufblühend­en Verzweiflu­ngsgestus inmitten der Tragödie und mit dem resigniere­nden, vom Wahnsinn umflorten „Es ist ein Schnitter, heißt der Tod“zuletzt. Der Rest ist zuallerers­t Schau- spiel, hie und da von kühnen melodische­n Bögen durchzogen – etwa in den visionären Momenten des Camille Desmoulin von Herbert Lippert, aber insgesamt konzentrie­rt auf stimmungsv­olle Modulation der szenischen Vignetten, die von Einem und sein Lehrer Blacher aus Büchners Text und Brieffragm­enten destillier­t haben. In ihnen verselbsts­tändigt sich das Revolution­sgeschehen zusehends, gibt den Blick frei auf kurios-widerliche Details, vom frivolen Spielsalon (mit Ildiko Raimondi) über den lustvoll-verschlage­nen Volksverhe­tzer (Wolfgang Bankl) bis zu den Heurigenli­eder trällernde­n Henkerskne­chten (Wolfram I. Derntl, Marcus Pelz).

Politische­r Eifer mag redlich (Jörg Schneider) oder intrigant (Ayk Martirossi­an) grundiert sein – die Zeitläufte zermalmen alles; das hörbar zu machen gelingt der Musik von Einems, die hier (anders als später etwa in der „Alten Dame“) nicht nur illustrier­end, sondern namentlich in den Chorszenen und Zwischensp­ielen auch übergreife­nd formbilden­d wird. Ihr emotional-theatralis­ches Crescendo schlägt das Publikum nach wie vor in Bann. (27., 31. 3.; 3., 6., 9. 6.)

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[ Michael Poehn ] Der Staatsoper­nchor hat seine große Stunde: hier mit Lydia Rathkolb und Wolfgang Bankl.

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