Andr´e Cheniers´ rhythmischer Bruder
Staatsoper. Gottfried von Einems jugendliche Genieprobe, die Büchner-Oper „Dantons Tod“, kehrte zum 100. Geburtstag des Komponisten zurück. Das ist ein effektsicheres Repertoirestück, in dem endlich auch der Chor eine Hauptrolle spielt.
Es ist ein großer Abend des Chors. Zu Recht bekamen die Damen und Herren des singenden Personals der Staatsoper nach dieser Premiere ihre „Solovorhänge“. Nicht viele Opern integrieren die Vox populi so zwingend in die Handlung wie Gottfried von Einems „Dantons Tod“. Wer einen Chor hat, der sich – unterstützt von einer exquisiten Komparserie – mit der Spiellaune einer Ballettcompagnie darauf einlässt, der es versteht, seinen Part mit Durchschlagskraft und Differenzierungskunst zu einer Hauptrolle zu machen, hat schon gewonnen.
Die Staatsoper bekommt daher mit dem „Danton“dank Josef Ernst Köpplingers sicherer, ganz an den natürlichen Bewegungsabläufen des Librettos orientierter Regie ein repertoiretaugliches Stück zurück, das ein aufgeschlossenes Publikum nicht weniger packen kann als, sagen wir, der denselben Revolutionswirren abgetrotzte „Andre´ Che-´ nier“. Nur muss sich das herumsprechen. Wer heute eine Einem-Oper ansetzt, muss gewärtig sein, dass viele Sitze frei bleiben.
Ein „Componist“, der im Weg stand
Oper aus dem Jahr 1947? Du lieber Himmel! Das dachten sich übrigens, mit anderen Vorzeichen, seinerzeit auch viele Kommentatoren, die von Einems Musik in ihrer bewussten Konzentration auf die Möglichkeiten der altgewohnten Dur-Moll-Tonalität für geradezu schädlich hielten. So wollten sie nicht aufbrechen ins fortschrittliche Äon nach dem Zweiten Weltkrieg. Dieser Komponist, der sich altertümelnd noch dazu „Componist“nannte, stand im Weg: Das Publikum ächzte zwar auch hier über Dissonanzen; aber den Vorkämpfern der Fortschrittspartei, unter deren Fittichen man sich versammelte, um sich endgültig vorm großen Publikum in den Elfenbeinturm zu flüchten, stand eine solche Musik im Weg.
Zu offenkundig war, dass die genannten Dissonanzballungen hier lediglich als Farbwerte, Ausdruck-Chiffren, illustrative Effekte innerhalb eines musikdramatischen Kontinuums gebraucht wurden, das die alte Opernform durchaus noch einmal neu zu beleben imstande war. Wer heute, nach den Rückzugskämpfen der sogenannten Postmoderne den „Danton“hört, entdeckt ein Stück mühelos „konsumierbarer“, geradezu klassischer Operndramatik. Der Anfang schwächelt, kommt spät in die Gänge wie manches, sagen wir, von Massenet – aber spätestens die Auseinandersetzung zwischen Robespierre und Danton gehört zu den wirklich starken Musiktheateraugenblicken des 20. Jahrhunderts. Da sitzt jede musikalische Geste, jeder orchestrale Farbtupfer – vom „erstickten“Klang der gedämpften Trompeten bis zum trotzig hingeknallten Pizzicatoton.
Wunderbare Olga Bezsmertna
Die Darsteller müssen nur zugreifen und haben – wie bei Schnitzler oder, je nachdem vielleicht Thomas Bernhard – ihren ergiebigen Theatertext samt der dazugehörigen Musik. Sie dürfen die Vorlage nur für ihre Zwecke gebrauchen, um die rechte Balance zwischen Gesang und glaubwürdiger Aktion zu finden. Das tut die von Alfred Mayerhofer stückgerecht gewandete Premierenbesetzung der Staatsoper, von Köpplinger in Rainer Sinells Revolutionsscheune klug geleitet.
Thomas Ebenstein gibt dem Robespierre doppelbödiges Profil: Das ist ein von Ehrgeiz, aber auch Angst Zerfressener, der an seinem Taschentuch kaut, im entscheidenden Moment jedoch auf sein Charisma ver- trauen kann, vor dem die Massen staunend zurückweichen. Wolfgang Kochs Danton steht diesem unerklärlich starken Schwächling mit jener Verachtung, jenem Zynismus gegenüber, der ihn schließlich aufs Schafott bringt – ihm schenkt von Einem auch ariose Momente, in denen der Bariton bis in höchste Höhen mutig und siegreich vordringen darf. In der Tribunalszene geben die andern, voran der Chefverhandler Hermann (Clemens Unterreiner), die Stichworte vor.
Einem furchtlosen Demagogen ist freilich nur mit roher Justizgewalt zu begegnen – und mit einem orchestralen, vom Chor immer eifriger angeheizten Furioso, zu dem sich die Philharmoniker unter der Leitung der Hausdebütantin Susanna Mälkki nicht zweimal bitten lassen.
Die wunderbare Olga Bezsmertna hat aber zweimal Gelegenheit, hoch expressive Aktschlüsse auch vokal berührend mitzugestalten: im dramatisch aufblühenden Verzweiflungsgestus inmitten der Tragödie und mit dem resignierenden, vom Wahnsinn umflorten „Es ist ein Schnitter, heißt der Tod“zuletzt. Der Rest ist zuallererst Schau- spiel, hie und da von kühnen melodischen Bögen durchzogen – etwa in den visionären Momenten des Camille Desmoulin von Herbert Lippert, aber insgesamt konzentriert auf stimmungsvolle Modulation der szenischen Vignetten, die von Einem und sein Lehrer Blacher aus Büchners Text und Brieffragmenten destilliert haben. In ihnen verselbstständigt sich das Revolutionsgeschehen zusehends, gibt den Blick frei auf kurios-widerliche Details, vom frivolen Spielsalon (mit Ildiko Raimondi) über den lustvoll-verschlagenen Volksverhetzer (Wolfgang Bankl) bis zu den Heurigenlieder trällernden Henkersknechten (Wolfram I. Derntl, Marcus Pelz).
Politischer Eifer mag redlich (Jörg Schneider) oder intrigant (Ayk Martirossian) grundiert sein – die Zeitläufte zermalmen alles; das hörbar zu machen gelingt der Musik von Einems, die hier (anders als später etwa in der „Alten Dame“) nicht nur illustrierend, sondern namentlich in den Chorszenen und Zwischenspielen auch übergreifend formbildend wird. Ihr emotional-theatralisches Crescendo schlägt das Publikum nach wie vor in Bann. (27., 31. 3.; 3., 6., 9. 6.)