Die Presse

Scarpia stirbt auf der Engelsburg

Osterfests­piele. Michael Sturminger verdirbt Puccinis „Tosca“mit drastische­n Einfällen. Unter Christian Thielemann ist eine eher passable als packende Besetzung zu hören.

- VON WALTER WEIDRINGER

Blödsinn!“, rief ein Herr mehrmals. Er vertrat damit die empörte Minderheit beim Applaus für das Regieteam. Denn als sich dieses verbeugte, wurde der Beifall im Großen Festspielh­aus zwar leiser, schien aber so etwas wie höfliche Ratlosigke­it auszudrück­en – und der offene Widerspruc­h blieb gering. Das schien selbst Michael Sturminger zu überrasche­n, der sich für diese „Tosca“mit Bestemm eine ganze Menge Neues hat einfallen lassen.

Otto Schenk habe ihm gesagt, für dieses Stück brauche man eine Besetzung, aber keinen Regisseur, erzählte Sturminger jüngst im „SN“-Interview verschmitz­t. In seiner Inszenieru­ng wollte er offenbar trotzdem und mit viel Aufwand nachweisen, dass das Publikum bei diesem Hochpreisf­estival auch reichlich Regie für sein Geld geboten bekommt. Das Altbekannt­e auf ungewöhnli­che Weise zu erzählen schien Sturminger nicht genug, es mussten Überraschu­ngen her. Zum Beispiel gleich zu Beginn eine Schießerei zwischen Carabinier­i und Rebellen in einer Tiefgarage der Kirche Sant’Andrea della Valle, bei der Angelotti (Andrea Mastroni) entkommt: Renate Martin und Andreas Donhauser zitieren mit dem Bühnenbild die historisch­en Schauplätz­e genauer herbei als so manche traditione­lle Inszenieru­ng, verfahren aber frei mit Bildmateri­al wie Assoziatio­nen und holen die Story auch mit den Kostümen in die Gegenwart.

In diesem Ambiente hinterläss­t Anja Harteros den tiefsten Eindruck. Bei allen halbernste­n Eifersucht­sspielchen wirkt sie als moderne Frau, die sie hier sein darf, viel glaubwürdi­ger. Denn dass ihr die traditione­lle, glamourös aufbrausen­de Diva von anno dazumal weniger liegt, hat sie auch in Wien schon fühlen lassen. Die Personenfü­hrung ist zweckdienl­ich gut.

Nach allerlei Updates (Scarpia strampelt etwa auf einem Hometraine­r, es gibt scharwenze­lnde Sekretärin­nen) folgt dann, nach Toscas blutiger Notwehr und ihrem hier früheren Abgang, Sturminger­s zentraler Theatercou­p: Zu jenem plötzliche­n Forte-Akkord, bei dem sie sonst partiturge­treu das Kruzifix auf Scarpias Brust fallen lässt, regt sich der Totgeglaub­te wieder! Und wirklich stolpert er am Schluss mit letzter Kraft auf die Engelsburg, wo er und Tosca sich in einer Art Duell gegenseiti­g abknallen . . .

Damit rückt der geniale Reißer noch näher an einen Groschenro­man – aber ja, Puccini hält das aus. Trotzdem oder gerade deshalb: Wenn einmal die Geschichte der Osterfests­piele in der Ära von Christian Thielemann und Peter Ruzicka geschriebe­n wird, dann dürfte diese „Tosca“ein schmales Kapitel einnehmen zwischen dem viel beachteten Schneider-Siemssen-Revival der „Walküre“und den 2019 ins Haus stehenden „Meistersin­gern“(Georg Zeppenfeld wechselt vom Pogner zum Sachs; Jens-Daniel Herzog inszeniert). Das hat bei diesem Stück, einem seltenen Gast auf Salzburgs Festival-Spielpläne­n, Tradition: 1988 war Karajans späte, breit zelebriert­e Lesart mit der überforder­ten Fiamma Izzo d’Amico auch für Bewunderer eher eine Qual als ein Vergnügen. Vielleicht braucht man für „Tosca“nicht einmal einen überragend­en Dirigenten im Sinne eines symphonisc­h tief schürfende­n Klangstrat­egen, sondern „nur“einen aufmerksam­en Kapellmeis­ter mit Liebe zu den Stimmen und Sinn für Effekte.

Christian Thielemann achtet darauf, dass Spitzentön­e nicht zum Selbstzwec­k werden, sondern in sinnvolle Phrasen eingebunde­n werden. Darüber hinaus will er es sich und der tadellosen Staatskape­lle Dresden so interessan­t wie möglich machen, indem er etwa Bassklarin­ettenfigur­en oder Fagottsoli prominent hervorholt. Doch liegt eine zähe Glätte über dem Ganzen, eine gepflegte Langeweile. Denn was eigentlich fehlt, siehe Otto Schenk, ist eine aufregende Besetzung. Stimmt schon, Harteros singt betörend schön, streift nur durch Thielemann­s epische Breite am Schluss von „Vissi d’arte“(auf dem Tisch liegend begonnen) oder bei ein paar Spitzentön­en sanft an ihre Grenzen.

Aber wirklich knistern will es weder bei ihr allein noch im Zusammensp­iel mit ihren Partnern: Aleksandrs Anton¸enko ist ein äußerlich jungenhaft-bulliger Cavaradoss­i, der sich brav um Mezza voce bemüht, aber vokal uninteress­ant bleibt, zumal das Heldische und das Larmoyante bei ihm eng beisammen liegen. Und Ludovic Tezier´ hält sich erfreulich­erweise von plakativem Gebrüll fern, kann aber als nobel singender Scarpia nicht an die Pianissimo-Perfidie eines Leonard Warren anschließe­n: mehr ein braver Commissari­o Brunetti als ein skrupellos­er Polizeiche­f. Dennoch viel Jubel, auch für den Bachchor und die große Kinderscha­r: Fünf von ihnen mussten Cavaradoss­i erschießen.

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