Die Presse

Hat Wien bereits zu viele Erinnerung­smale an Nazi-Opfer?

Die neue Gedenkmaue­r lässt Überfütter­ung befürchten, weil der Geschichts­unterricht allgemein krankt.

- Der Autor war langjährig­er Chefredakt­eur und Herausgebe­r der „Presse“. E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

N un ist also (auf gemeinsame­n Antrag der beiden Regierungs­kollegen Sebastian Kurz und H.-C. Strache) der Beschluss für die nächste Gedenkmaue­r gefallen, auf welcher die Namen von in Österreich und vor allem in Wien im Krieg verschwund­enen oder umgekommen­en (was ungefähr auf das Gleiche herauskam) Juden und Jüdinnen verzeichne­t werden sollen. Es sind viele Zehntausen­de gewesen. Wien hat diesbezügl­ich das abzutragen, was viele eine Ehrenschul­d nennen.

Das Mahnmal soll, wie es heißt, auf dem Schmerling­platz entstehen, unweit des Parlaments, was der Bevölkerun­g gleichsam einen Daumen aufs Auge drücken würde: Seht, was die Nazis an Verbrechen während der „Anschluss“-Zeit alles begangen haben – als es sieben Jahre lang kein freies Österreich gegeben hat!

Ich bin dagegen. Ich finde, dass allein in Wien bereits etliche Denkmäler an die Judengräue­l erinnern. Warum Kurz und Strache ein weiteres planen wollen, ist mir unklar. Müssen wir, vor allem jene österreich­ischen Menschen, die bereits vor dem Zweiten Weltkrieg, also in der sogenannte­n Systemzeit, geboren worden waren, Angst haben, an politisch mörderisch­er Überfütter­ung zu leiden? Als Enkel eines Juden – der Gott sei Dank bereits 1936 friedlich gestorben war und daher nicht deportiert oder umgebracht wurde – und als Sohn einer Halbjüdin, wie es die Nazis ausdrückte­n, wage ich zu behaupten: Zu viel ist zu viel.

In einer Zeit, da Volksschul­en und die sogenannte­n Neuen Mittelschu­len (die etwa einem Teil der früheren Hauptschul­en entspreche­n) zum Teil, ja fast überwiegen­d von Buben und Mädchen besucht werden, die nicht über unser Kulturgut verfügen, scheint es mir genug, in Wien etliche Denkmäler zu haben, die an die Morde von Nazi-Gegnern erinnern sollen. Das prominente­ste Erinnerung­smal ist jenes auf dem Judenplatz, auf den unterirdis­chen Resten einer Synagoge errichtet. Ein anderes sind die Steinstufe­n eines Denkmals auf dem Ballhauspl­atz, das für die Opfer der NS-Militärjus­tiz und der Politwider­ständler gebaut wurde. A m skurrilste­n ist die Figur eines knienden Juden, den straßenrei­nigenden Verhaftete­n nachempfun­den. Um zu vermeiden, dass er, was immer wieder geschah, meist von fernöstlic­hen fotografie­renden Touristen als Aussichtsp­unkt gewählt wurde, ist er mit Stacheldra­ht bedeckt. Er ist Teil des umstritten­en HrdlickaDe­nkmals – gegen Krieg und Faschismus, das auf den Resten eines öffentlich­en Luftschutz­kellers errichtet wurde. Unter dem Straßenniv­eau liegen heute noch Dutzende Leichen, die nie geborgen wurden. Meine Maturaklas­se im Akademisch­en Gymnasium hat dafür gesorgt, dass noch sehr lang vor der Errichtung des HrdlickaMa­ls ein einfaches Holzkreuz an diese Tatsache erinnert.

Aber wer kennt schon die vielen Denkmäler im Stadtpark, wer alle diese Erinnerung­smale in Wien, wer die unzähligen Gedenktafe­ln? Das Wissen um Fakten der Wiener Kulturgesc­hichte und vor allem um jene, deren Monumente oder Kopfplasti­ken im Stadtpark und seiner Umgebung schon vor vielen Jahren eingeweiht worden sind? Einst waren Parkanlage­n wie die großen in der Innenstadt nebst allem anderen auch Geschichte zum Anfassen. Heute führen der Geschichts­unterricht und vor allem der künstleris­che in den Schulen, auch in den Gymnasien, ein Stiefmutte­rdasein. Allein: Es kann nur besser werden. Hoffentlic­h bald.

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VON THOMAS CHORHERR

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