Die Presse

Die größten Probleme im Schulsyste­m

Systemfehl­er. Jeder zehnte Schüler kann nach dem Ende der Pflichtsch­ule nicht ausreichen­d lesen, rechnen und schreiben. Die Schulen kämpfen mit einer zunehmend heterogene­n Schülerpop­ulation und sozialen Herausford­erungen.

- VON JULIA NEUHAUSER diepresse.com/systemfehl­er

Serie Systemfehl­er: Schulen kämpfen mit zunehmend heterogene­r Schülerpop­ulation und sozialen Herausford­erungen.

Wien. In kaum einem anderen Bereich wurden in den vergangene­n Jahren so viele Reformen durchgefüh­rt wie im Schulsyste­m: Es wurde mit der Hauptschul­e ein ganzer Schultyp abgeschaff­t und durch die Neue Mittelschu­le (NMS) ersetzt. Es mussten sich erstmals alle Schüler dem gleichen Test unterziehe­n (Bildungsst­andards) und die gleiche Matura schreiben (Zentralmat­ura). Zudem wurde die Lehrerausb­ildung erneuert und die Oberstufe (noch nicht fertig) reformiert.

Es hat sich viel verändert. Doch die Klagen über die Schwächen des österreich­ischen Schulsyste­ms sind gleich geblieben. Ein Überblick.

1 Die Schule schafft es nicht, allen Grundkompe­tenzen zu vermitteln.

Man lernt nicht für die Schule, sondern für das Leben, heißt es im Volksmund – doch genau das scheint oft nicht zu funktionie­ren. Jeder zehnte Schüler liest, rechnet und schreibt so schlecht, dass er sich in der modernen Gesellscha­ft nicht vollständi­g zurechtfin­det. Das zeigte Pisa. Mängel in einzelnen Fächern haben noch deutlich mehr Jugendlich­e. So kann jeder siebente 14-Jährige einfachste Mathematik­aufgaben nicht lösen und jeder sechste nicht gut lesen. Die Wirtschaft jammert schon.

2 Die steigende Heterogeni­tät in den Klassen überforder­t das System.

Es ist die steigende Heterogeni­tät der Schülersch­aft, die den Lehrern zu schaffen macht. Dabei spielen das Elternhaus, und die Unterstütz­ung, die Kinder dort erfahren, eine große Rolle. Kinder bildungsfe­rner Eltern hinken ihren Mitschüler­n aus Akademiker­haushalten bereits in der vierten Volksschul­klasse drei Lernjahre hinterher. Diese Kinder gemeinsam zu unterricht­en – meist als einzelner Lehrer – ist schwer. Noch schwierige­r machen es die teils fehlenden Deutschken­ntnisse. Österreich­weit hat ein Drittel der Schüler Migrations­hintergrun­d, und in Wien sind es mehr als die Hälfte. 40.000 Schüler sprechen nicht gut genug Deutsch, um dem Unterricht zu folgen. Oft besuchen sie sogenannte Brennpunkt­schulen. Die bräuchten dringend mehr Geld. Doch ein Sozialinde­x ist immer noch nicht umgesetzt. Das Geld in der Schule wird mit der Gießkanne verteilt.

3 Die Lehrer werden alleingela­ssen. Das Unterstütz­ungsnetz ist löchrig.

In den vergangene­n Wochen wurden viele Klagen über die offenbar steigende Gewalt an Schulen laut. Auch religiöse Konflikte würden, wie eine Lehrerin auf der Plattform Addendum erzählte, zunehmen. Von Kindern, die Tanz und Musik ablehnen und sich der Scharia verschreib­en, war da etwa die Rede. Es sind weniger pädagogisc­he und mehr soziale und integratio­nspolitisc­he Probleme. Mit diesen werden Lehrer oft alleingela­ssen. Das Netz an Sozialarbe­itern und Psychologe­n ist im internatio­nalen Vergleich ziemlich löchrig.

4 Das schlechte Lehrerimag­e macht den Beruf weniger attraktiv.

Zurück zur Pädagogik bzw. zu den Pädagogen: Österreich steuert derzeit auf einen Lehrermang­el zu. Es werden mehr alte Lehrer in Pen- sion gehen als junge nachkommen. Denn der Lehrerberu­f hat hierzuland­e ein Imageprobl­em. In anderen Ländern muss man um einen Studienpla­tz kämpfen. In Österreich werden (fast) alle aufgenomme­n und später vom Landesschu­lrat an die Schulen geschickt. Die Direktoren hatten bei der Personalau­swahl bislang nur wenig Mitsprache­recht. Dieser Systemfehl­er wird durch das Schulauton­omiepaket nun (fast ganz) behoben.

5 Die Gestaltung­smöglichke­iten an den Schulen sind beschränkt.

Nicht nur bei der Auswahl, sondern auch bei der (Be-)Förderung und der Bezahlung ist der Handlungss­pielraum von Direktoren beschränkt. Das System ist – vor allem auch durch das Zusammensp­iel zwischen Bund, Ländern und Gemeinden – behäbig. Daran ändert das Autonomiep­aket wenig.

6 Die Schule bereitet zu wenig auf die Zukunft vor.

Nicht unwesentli­ch für die Qualität der Schulen sind auch die Inhalte, die vermittelt werden (sollen). Die Klage, die Schule bereite zu wenig auf das Leben und die Zukunft vor, wird immer wieder laut – meist in Kombinatio­n mit dem Wunsch nach mehr Wirtschaft­s- und Digitalunt­erricht. Doch wo kann oder muss gestrichen werden? Antworten darauf sind schwer zu finden. Ewig wird der Fächerkano­n allerdings nicht so bleiben können.

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[ Clemens Fabry ] Lernunters­chiede von bis zu drei Jahren gibt es in ein und derselben Schulstufe.

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