Die größten Probleme im Schulsystem
Systemfehler. Jeder zehnte Schüler kann nach dem Ende der Pflichtschule nicht ausreichend lesen, rechnen und schreiben. Die Schulen kämpfen mit einer zunehmend heterogenen Schülerpopulation und sozialen Herausforderungen.
Serie Systemfehler: Schulen kämpfen mit zunehmend heterogener Schülerpopulation und sozialen Herausforderungen.
Wien. In kaum einem anderen Bereich wurden in den vergangenen Jahren so viele Reformen durchgeführt wie im Schulsystem: Es wurde mit der Hauptschule ein ganzer Schultyp abgeschafft und durch die Neue Mittelschule (NMS) ersetzt. Es mussten sich erstmals alle Schüler dem gleichen Test unterziehen (Bildungsstandards) und die gleiche Matura schreiben (Zentralmatura). Zudem wurde die Lehrerausbildung erneuert und die Oberstufe (noch nicht fertig) reformiert.
Es hat sich viel verändert. Doch die Klagen über die Schwächen des österreichischen Schulsystems sind gleich geblieben. Ein Überblick.
1 Die Schule schafft es nicht, allen Grundkompetenzen zu vermitteln.
Man lernt nicht für die Schule, sondern für das Leben, heißt es im Volksmund – doch genau das scheint oft nicht zu funktionieren. Jeder zehnte Schüler liest, rechnet und schreibt so schlecht, dass er sich in der modernen Gesellschaft nicht vollständig zurechtfindet. Das zeigte Pisa. Mängel in einzelnen Fächern haben noch deutlich mehr Jugendliche. So kann jeder siebente 14-Jährige einfachste Mathematikaufgaben nicht lösen und jeder sechste nicht gut lesen. Die Wirtschaft jammert schon.
2 Die steigende Heterogenität in den Klassen überfordert das System.
Es ist die steigende Heterogenität der Schülerschaft, die den Lehrern zu schaffen macht. Dabei spielen das Elternhaus, und die Unterstützung, die Kinder dort erfahren, eine große Rolle. Kinder bildungsferner Eltern hinken ihren Mitschülern aus Akademikerhaushalten bereits in der vierten Volksschulklasse drei Lernjahre hinterher. Diese Kinder gemeinsam zu unterrichten – meist als einzelner Lehrer – ist schwer. Noch schwieriger machen es die teils fehlenden Deutschkenntnisse. Österreichweit hat ein Drittel der Schüler Migrationshintergrund, und in Wien sind es mehr als die Hälfte. 40.000 Schüler sprechen nicht gut genug Deutsch, um dem Unterricht zu folgen. Oft besuchen sie sogenannte Brennpunktschulen. Die bräuchten dringend mehr Geld. Doch ein Sozialindex ist immer noch nicht umgesetzt. Das Geld in der Schule wird mit der Gießkanne verteilt.
3 Die Lehrer werden alleingelassen. Das Unterstützungsnetz ist löchrig.
In den vergangenen Wochen wurden viele Klagen über die offenbar steigende Gewalt an Schulen laut. Auch religiöse Konflikte würden, wie eine Lehrerin auf der Plattform Addendum erzählte, zunehmen. Von Kindern, die Tanz und Musik ablehnen und sich der Scharia verschreiben, war da etwa die Rede. Es sind weniger pädagogische und mehr soziale und integrationspolitische Probleme. Mit diesen werden Lehrer oft alleingelassen. Das Netz an Sozialarbeitern und Psychologen ist im internationalen Vergleich ziemlich löchrig.
4 Das schlechte Lehrerimage macht den Beruf weniger attraktiv.
Zurück zur Pädagogik bzw. zu den Pädagogen: Österreich steuert derzeit auf einen Lehrermangel zu. Es werden mehr alte Lehrer in Pen- sion gehen als junge nachkommen. Denn der Lehrerberuf hat hierzulande ein Imageproblem. In anderen Ländern muss man um einen Studienplatz kämpfen. In Österreich werden (fast) alle aufgenommen und später vom Landesschulrat an die Schulen geschickt. Die Direktoren hatten bei der Personalauswahl bislang nur wenig Mitspracherecht. Dieser Systemfehler wird durch das Schulautonomiepaket nun (fast ganz) behoben.
5 Die Gestaltungsmöglichkeiten an den Schulen sind beschränkt.
Nicht nur bei der Auswahl, sondern auch bei der (Be-)Förderung und der Bezahlung ist der Handlungsspielraum von Direktoren beschränkt. Das System ist – vor allem auch durch das Zusammenspiel zwischen Bund, Ländern und Gemeinden – behäbig. Daran ändert das Autonomiepaket wenig.
6 Die Schule bereitet zu wenig auf die Zukunft vor.
Nicht unwesentlich für die Qualität der Schulen sind auch die Inhalte, die vermittelt werden (sollen). Die Klage, die Schule bereite zu wenig auf das Leben und die Zukunft vor, wird immer wieder laut – meist in Kombination mit dem Wunsch nach mehr Wirtschafts- und Digitalunterricht. Doch wo kann oder muss gestrichen werden? Antworten darauf sind schwer zu finden. Ewig wird der Fächerkanon allerdings nicht so bleiben können.