Die kleine Schwester der U-Bahn
S-Bahn. Die Gesamtsperre der S-Bahn-Stammstrecke zwischen Floridsdorf und Praterstern um das Osterwochenende rückt die Schnellbahn in den Vordergrund. Im Gegensatz zur U-Bahn muss man bei ihr ein bisschen mehr mitdenken.
Die S-Bahn rückt in den kommenden Tagen wegen einer großen Baustelle in den Blickpunkt.
Wien. Ein Rückgrat in Wiens öffentlichem Verkehr fällt weg, wenn am Freitag die S-Bahn-Stammstrecke zwischen Floridsdorf und Praterstern für beinahe fünf Tage nicht befahren wird. Autobusse sollen einspringen, die Wiener Linien anerkennen auf einigen Teilstücken die ÖBB-Fahrscheine, um die Lücke zu füllen.
Mit der Baustelle rückt die S-Bahn jedenfalls für ein paar Tage in den Vordergrund – was sie nicht gewohnt ist, gilt das von den ÖBB betriebene Netz doch als so etwas wie die kleine Schwester der U-Bahn. Die noch dazu etwas kompliziert sein kann.
Die Strecken
Im Vergleich zur Wiener U-Bahn ist das System mit der S-Bahn etwas, sagen wir, komplexer aufgebaut. Die U-Bahn der Wiener Linien beschränkt sich auf das Stadtgebiet, die S-Bahn geht zum Teil über die Landesgrenzen hinaus. Und während jede U-Bahn-Linie ihre eigene Strecke und ihre eigenen Gleiskörper hat, müssen sich S-Bahnen ihre Strecke zum Teil untereinander teilen – sogar mit Regionalzügen, die auf den selben Schienen unterwegs sind. Das ist es auch, was das Fahren mit der S-Bahn etwas denkintensiver macht als eine Fahrt mit der U-Bahn. Einfach in den nächsten Zug zu steigen, kann unter Umständen daneben gehen.
Die Bezeichnungen
Natürlich, es gibt so etwas wie eine innere Logik. Aber die muss erst einmal durchschaut werden. Da sind etwa die Linien S1, S2, S3, S4 und S7, die die sogenannte Stammstrecke befahren – diese Verbindung zwischen Meidling und Floridsdorf gilt als die wichtigste Strecke in Wiens S-BahnNetz. Hier ist also weitgehend problemloses Einsteigen möglich, am Ende der Stammstrecke zweigen die Linien aber in verschiedene Richtungen ab – die S7 sogar schon vorher und fährt ab Rennweg Richtung Flughafen. Von der Logik her beginnt die Nummerierung mit der S1 auf der Achse Richtung Nordosten und geht gegen den Uhrzeigersinn weiter. Wer S5, S6, S8 und S9 sucht – die wurden mittlerweile eingestellt. Linien, die nicht auf der Stammstrecke unterwegs sind, haben zweistellige Bezeichnungen, von der S40 (Franz-Josefs-Bahn, Tullnerfelder Bahn) über die S50 (Westbahn) und S60 (Ostbahn, Südbahn, Pottendorfer Linie) bis zur S80 (Marchegger Ostbahn, Laaer Ostbahn). Und dann wäre da noch der Spezialfall der S45 – die ehemalige Vorortelinie verbindet den Westen Wiens von Hütteldorf bis Heiligenstadt und biegt entlang der Donau zum Handelskai ab.
Die Übersichtlichkeit
Bei der U-Bahn gibt es ein eindeutiges Farbleitsystem – jede Linie hat ihre eigene Farbe. Bei der S-Bahn ist das nicht ganz so einfach. In der Regel ist die Linie in weißer Schrift auf blauem Hintergrund angezeichnet – mit dem charakteristischen S davor, das es sowohl in der runden als auch in der eckigen Fassung gibt. Um das System auf den wichtigsten Routen, der Stammstrecke und der Vorortelinie, etwas leichter fassbar zu machen, wurde im Sommer gemeinsam mit den Wiener Linien ein Leitsystem für diese beiden Strecken eingeführt – die Vorortelinie S45 wird mit hellgrün als Linienfarbe geführt, die Stammstrecke ist altrosa – bis zum Ende, wo die einzelnen Linien sich aufspalten und wieder in ihr gewohntes Blau zurückfallen. Ein bisschen Mitdenken ist also wieder nötig.
Die Kapazitäten
Laut ÖBB sind 89,003 Millionen Fahrgäste pro Jahr in Wien mit der S-Bahn unterwegs. Ohne Rücksicht auf stärkere oder schwächere Tage sind das etwa 244.000 Fahrgäste pro Tag. Zählungen aus dem Jahr 2017 ergaben für die Stammstrecke 213.000 Passagiere pro Tag, auf der S45 fuhren rund 39.000 Menschen täglich. Zum Vergleich – die Wiener Linien geben die Fahrgastzahlen für die U-Bahn mit rund 1,2 Millionen pro Tag an, 453,6 Millionen waren es 2017. Ein direkter Vergleich hinkt aber, weil die S-Bahn ein anderes Anforderungsprofil hat. Sie dient etwa auch dazu, Menschen vom Stadtrand hinein und aus der Stadt hinaus zu bringen. Auch die Intervalle sind länger als bei der U-Bahn. Auf der Vorortelinie sind es etwa je nach Tageszeit 10 oder 15 Minuten, S1 und S2 fahren alle 30 Minuten – mit allen Linien zusammen gilt auf der Stammstrecke ein Intervall zwischen 3 und 9 Minuten.
Die Koordination
Zwei unterschiedliche Systeme, die ineinander greifen müssen, erfordern eine gewisse Koordination. Bei der Baustelle auf der Stammstrecke ist das die Anerkennung von ÖBB-Tickets durch die Wiener Linien. Im Regelbetrieb reicht nicht jeder ÖBB-Fahrschein, die U-Bahn nützen zu können (die Kernzone 100 für Wien muss dabei sein), umgekehrt kann jede S-Bahn mit einem Ticket der Wiener Linien benutzt werden – zumindest bis zur Stadtgrenze. Nicht auszudenken, was passiert, wenn die U-Bahn irgendwann die Grenze ins Umland überschreiten sollte. Dann würde die große Schwester auch etwas komplizierter.