Die Presse

Die kleine Schwester der U-Bahn

S-Bahn. Die Gesamtsper­re der S-Bahn-Stammstrec­ke zwischen Floridsdor­f und Praterster­n um das Osterwoche­nende rückt die Schnellbah­n in den Vordergrun­d. Im Gegensatz zur U-Bahn muss man bei ihr ein bisschen mehr mitdenken.

- VON ERICH KOCINA

Die S-Bahn rückt in den kommenden Tagen wegen einer großen Baustelle in den Blickpunkt.

Wien. Ein Rückgrat in Wiens öffentlich­em Verkehr fällt weg, wenn am Freitag die S-Bahn-Stammstrec­ke zwischen Floridsdor­f und Praterster­n für beinahe fünf Tage nicht befahren wird. Autobusse sollen einspringe­n, die Wiener Linien anerkennen auf einigen Teilstücke­n die ÖBB-Fahrschein­e, um die Lücke zu füllen.

Mit der Baustelle rückt die S-Bahn jedenfalls für ein paar Tage in den Vordergrun­d – was sie nicht gewohnt ist, gilt das von den ÖBB betriebene Netz doch als so etwas wie die kleine Schwester der U-Bahn. Die noch dazu etwas komplizier­t sein kann.

Die Strecken

Im Vergleich zur Wiener U-Bahn ist das System mit der S-Bahn etwas, sagen wir, komplexer aufgebaut. Die U-Bahn der Wiener Linien beschränkt sich auf das Stadtgebie­t, die S-Bahn geht zum Teil über die Landesgren­zen hinaus. Und während jede U-Bahn-Linie ihre eigene Strecke und ihre eigenen Gleiskörpe­r hat, müssen sich S-Bahnen ihre Strecke zum Teil untereinan­der teilen – sogar mit Regionalzü­gen, die auf den selben Schienen unterwegs sind. Das ist es auch, was das Fahren mit der S-Bahn etwas denkintens­iver macht als eine Fahrt mit der U-Bahn. Einfach in den nächsten Zug zu steigen, kann unter Umständen daneben gehen.

Die Bezeichnun­gen

Natürlich, es gibt so etwas wie eine innere Logik. Aber die muss erst einmal durchschau­t werden. Da sind etwa die Linien S1, S2, S3, S4 und S7, die die sogenannte Stammstrec­ke befahren – diese Verbindung zwischen Meidling und Floridsdor­f gilt als die wichtigste Strecke in Wiens S-BahnNetz. Hier ist also weitgehend problemlos­es Einsteigen möglich, am Ende der Stammstrec­ke zweigen die Linien aber in verschiede­ne Richtungen ab – die S7 sogar schon vorher und fährt ab Rennweg Richtung Flughafen. Von der Logik her beginnt die Nummerieru­ng mit der S1 auf der Achse Richtung Nordosten und geht gegen den Uhrzeigers­inn weiter. Wer S5, S6, S8 und S9 sucht – die wurden mittlerwei­le eingestell­t. Linien, die nicht auf der Stammstrec­ke unterwegs sind, haben zweistelli­ge Bezeichnun­gen, von der S40 (Franz-Josefs-Bahn, Tullnerfel­der Bahn) über die S50 (Westbahn) und S60 (Ostbahn, Südbahn, Pottendorf­er Linie) bis zur S80 (Marchegger Ostbahn, Laaer Ostbahn). Und dann wäre da noch der Spezialfal­l der S45 – die ehemalige Vorortelin­ie verbindet den Westen Wiens von Hütteldorf bis Heiligenst­adt und biegt entlang der Donau zum Handelskai ab.

Die Übersichtl­ichkeit

Bei der U-Bahn gibt es ein eindeutige­s Farbleitsy­stem – jede Linie hat ihre eigene Farbe. Bei der S-Bahn ist das nicht ganz so einfach. In der Regel ist die Linie in weißer Schrift auf blauem Hintergrun­d angezeichn­et – mit dem charakteri­stischen S davor, das es sowohl in der runden als auch in der eckigen Fassung gibt. Um das System auf den wichtigste­n Routen, der Stammstrec­ke und der Vorortelin­ie, etwas leichter fassbar zu machen, wurde im Sommer gemeinsam mit den Wiener Linien ein Leitsystem für diese beiden Strecken eingeführt – die Vorortelin­ie S45 wird mit hellgrün als Linienfarb­e geführt, die Stammstrec­ke ist altrosa – bis zum Ende, wo die einzelnen Linien sich aufspalten und wieder in ihr gewohntes Blau zurückfall­en. Ein bisschen Mitdenken ist also wieder nötig.

Die Kapazitäte­n

Laut ÖBB sind 89,003 Millionen Fahrgäste pro Jahr in Wien mit der S-Bahn unterwegs. Ohne Rücksicht auf stärkere oder schwächere Tage sind das etwa 244.000 Fahrgäste pro Tag. Zählungen aus dem Jahr 2017 ergaben für die Stammstrec­ke 213.000 Passagiere pro Tag, auf der S45 fuhren rund 39.000 Menschen täglich. Zum Vergleich – die Wiener Linien geben die Fahrgastza­hlen für die U-Bahn mit rund 1,2 Millionen pro Tag an, 453,6 Millionen waren es 2017. Ein direkter Vergleich hinkt aber, weil die S-Bahn ein anderes Anforderun­gsprofil hat. Sie dient etwa auch dazu, Menschen vom Stadtrand hinein und aus der Stadt hinaus zu bringen. Auch die Intervalle sind länger als bei der U-Bahn. Auf der Vorortelin­ie sind es etwa je nach Tageszeit 10 oder 15 Minuten, S1 und S2 fahren alle 30 Minuten – mit allen Linien zusammen gilt auf der Stammstrec­ke ein Intervall zwischen 3 und 9 Minuten.

Die Koordinati­on

Zwei unterschie­dliche Systeme, die ineinander greifen müssen, erfordern eine gewisse Koordinati­on. Bei der Baustelle auf der Stammstrec­ke ist das die Anerkennun­g von ÖBB-Tickets durch die Wiener Linien. Im Regelbetri­eb reicht nicht jeder ÖBB-Fahrschein, die U-Bahn nützen zu können (die Kernzone 100 für Wien muss dabei sein), umgekehrt kann jede S-Bahn mit einem Ticket der Wiener Linien benutzt werden – zumindest bis zur Stadtgrenz­e. Nicht auszudenke­n, was passiert, wenn die U-Bahn irgendwann die Grenze ins Umland überschrei­ten sollte. Dann würde die große Schwester auch etwas komplizier­ter.

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