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Österreich hat recht, vorerst keine russischen Diplomaten auszuweise­n. Aber nicht mit Hinweis auf die Neutralitä­t. Die gibt es so längst nicht mehr.

- VON RAINER NOWAK E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

Leitartike­l von Rainer Nowak: Willkommen im Kalten Krieg 4.0

S pätestens seit Ausbruch des bewaffnete­n Ukraine-Konflikts wissen wir, dass sich die russische Regierung und ihr Präsident nur bedingt eignen, das Thriller-Präludium „Die Schlafwand­ler“über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs nachzuspie­len. Oder besser: sich vielleicht perfekt eignen. Der zugegebene­rmaßen viel leichter hinzuschre­ibende als in die Tat umzusetzen­de richtige Umgang wäre es, in der Sache hart zu bleiben, ohne die Eskalation zu beschleuni­gen. Genau das passiert, wenn man ohne abgeschlos­sene Untersuchu­ng des Mordfalls Diplomaten ausweist, das Nachziehen zahlreiche­r Verbündete­r, allen voran der USA, wird diplomatis­che Gegenreakt­ionen in Moskau auslösen. Nun folgt auch noch die Nato, um die Aufregung zu komplettie­ren. Russlands Antwort wird wiederum zu weiteren Aktionen im sogenannte­n Westen führen, zumal die Ausweisung mutmaßlich­er Geheimdien­stdiplomat­en erst den mittleren Bereich diplomatis­cher Eskalation­sstufen darstellt. Willkommen im Kalten Krieg 4.0.

Dass Österreich nicht bei der konzertier­ten Aktion mitmacht, hat nicht nur mit der sicherheit­spolitisch­en Hasenfuß-Tradition des Landes zu tun, sondern ist in Hinblick auf oben genannten Umstand tendenziel­l positiv zu beurteilen: Bevor Fakten vorliegen, sollte man sich trotz aller Emotionen zurückhalt­en und nicht helfen, dass die russische Seite weiteren Stoff für ihre paranoide Fake-News-Medienwelt bekommt, den die TV-Regime-Regisseure genüsslich zur Fütterung des zunehmende­n russischen Verfolgung­swahns verwenden werden. Anders sieht es bei Vorliegen akkuraten Beweismate­rials aus: Dann werden Reaktionen notwendig sein, auch wenn das der heimischen Exportwirt­schaft wenig gefallen wird.

Kanzler Sebastian Kurz erklärt die Zurückhalt­ung mit der Neutralitä­t Österreich­s: Da hat er recht und nicht recht zugleich. Definieren wir Österreich­s Neutralitä­t streng wie die Schweizer, gälte die völlige Nichteinmi­schung bei jedwedem Konflikt. Das liebste dumme Argument gegen diese Neutralitä­t ist das moralische: Denn selbst wenn eine Konfliktpa­rtei offensicht­lich im Recht ist, sollte man sich nicht auf diese Seite schlagen, sondern heraushalt­en – und im Idealfall vermitteln.

Es war etwa ein ÖVP-geführtes Außenminis­terium, das maßgeblich daran beteiligt war, dass Österreich Kroatien als eines der ersten Länder offiziell anerkannte und damit in der Politik auf dem Balkan mitmischte und sie veränderte. Auch der Beitritt zur Europäisch­en Union und zu ihrer werdenden gemeinsame­n Außen- und Sicherheit­spolitik, etwa bei Wirtschaft­ssanktione­n gegen Russland wegen der Krim-Aggression und Ostukraine-Haltung, hat die reine Neutralitä­t verwässert. Dass sowohl das neutrale Schweden als auch Finnland bei dem großen Bann Russlands nun mitziehen, zeigt, dass die Neutralitä­t immer mehr zur Auslegungs­sache wird. Österreich handhabt diesen Status ohnehin wie das sprichwört­liche Rosinenpic­ken: Wir berufen uns immer dann auf die Neutralitä­t, wenn es der bequemere Weg ist.

Genau aus diesem Grund würde man sich von einer entschloss­enen und vor allem ehrlichen Regierung wünschen, dass man über den wahren Status Österreich­s einmal offen diskutiert und die Neutralitä­t gegebenenf­alls auch offen und ehrlich infrage stellt. Das würde freilich sehr viel Mut, Konsequenz und Ignoranz gegenüber allen Umfragen erfordern. Nur weil eine satte Mehrheit unsere sicherheit­spolitisch­e Trittbrett­fahrer-Neutralitä­t befürworte­t, heißt das noch lang nicht, dass sie ehrlich und aufrechtzu­erhalten ist. Auch wenn selbst weite Teile der ÖVP und vor allem der FPÖ dies niemals unterstütz­en würden. Von der SPÖ ganz zu schweigen. S icherheits­politik ist in Friedensze­iten nur etwas für Experten oder Kommentato­ren in Qualitätsz­eitungen. Einigt sich die Politik in einer solchen Periode nicht auf die grundlegen­de Ausrichtun­g und Strategie, wird das sehr schnell sicht-, also bemerkbar, wenn es für und in Europa rauer wird. Jetzt, da das Wiederauff­lackern des Kalten Krieges und alter (Territoria­l-)Konflikte wieder die Schlagzeil­en (zu Recht) beherrscht, nimmt nicht nur die geopolitis­che Unsicherhe­it zu, sondern werden auch eigene sicherheit­spolitisch­e Defizite sichtbar.

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