Die Presse

Das völlig korrekte PR-Desaster

Der Fall Selmayr. Die Beförderun­g von Kommission­schef Junckers mächtigem Kabinettsc­hef war wohl rechtens. Ihre Umstände jedoch sind Wasser auf die Mühlen der EU-Gegner.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Was vor einem Monat auf dem politische­n Marktplatz Brüssel als möglicher großer Skandal rasch das digitaltau­gliche Signet Selmayrgat­e erhielt, endet nun dort, wo schon so manche ähnliche Brüsseler Aufregung sich zum Sterben hingelegt hat: in Haarspalte­reien über Detailfrag­en des Personalst­atuts, langen Aussprache­n im Haushaltsk­ontrollaus­schuss und dem Fazit, dass die Sache wohl legal war, aber nicht sehr appetitlic­h aussieht.

Worum geht es? Am 21. Februar ernannte das Kollegium der 28 Kommissare Martin Selmayr, den Kabinettsc­hef von Präsident Jean-Claude Juncker, zum neuen Generalsek­retär der Kommission und somit mächtigest­en Eurokraten. Genauer gesagt: Sie ernannte ihn erst, gleich zu Beginn ihrer um 9:35 Uhr eingeläute­ten wöchentlic­hen Sitzung, zum Stellvertr­eter des niederländ­ischen Generalsek­retärs Alexander Italianer, der daraufhin zurücktrat, woraufhin der Deutsche Selmayr ihm nahtlos ins Amt folgte. Das Ganze dauerte keine fünf Minuten: um 9:39 Uhr ging bereits die Informatio­n an das Brüsseler Korrespond­entenkorps hinaus, dass Juncker um 10:30 Uhr spontan eine seiner mittlerwei­le sehr seltenen Pressekonf­erenzen geben werde, um über die Kommission­ssitzung zu berichten.

Seither blubbert es in der Brüsseler Blase, in der Beamte, Journalist­en, Politiker jedes prominente Karriereav­ancement mit großer Leidenscha­ft verfolgen. Rasch kamen Zweifel an der Rechtmäßig­keit der flotten Beförderun­g des 46-jährigen Juristen und früheren Bertelsman­n-Mitarbeite­rs Selmayr auf. Hatte er sich gleichsam selbst nach oben gehangelt? Und, schlimmer Vorwurf: Hatte er versucht, die Kommissare dafür gefügig zu machen, in dem er ihnen ein eigenes Büro, zwei Mitarbeite­r und eine Dienstlimo­usine für mehrere Jahre nach ihrem Ausscheide­n aus dem Amt in Aussicht stellte?

Selmayr selbst wies diese Anschuldig­ung bei seiner bisher einzigen öffentlich­en Äußerung, anlässlich einer Diskussion mit dem Schriftste­ller Robert Menasse, scharf zurück: „Ich bin erstaunt darüber, was ich teilweise über mich lese. Man unterschät­zt da die Kommissare. Es gibt nichts, womit sie bestochen hätten werden können.“

Was es damit auf sich habe, wollte auch der Haushaltsk­ontrollaus­schuss des Europaparl­aments wissen. 134 Fragen stellten die Abgeordnet­en der Kommission, und sie antwortete ebenso geflissent­lich wie provokant: ihr 80-seitiges Konvolut landete in der Nacht auf vorigen Sonntag um 3:04 Uhr auf der Kommission­swebsite. „Vielleicht nun an der Zeit für die Brüsseler Blase, sich wieder um wichtige Dinge zu kümmern?“, ätzte Alexander Winterstei­n, der österreich­ische stellvertr­etende Chefsprech­er der Kommission, auf Twitter. „Diese Form der Bevormundu­ng verbitte ich mir!“, schoss die CDU-Abgeordnet­e Inge Gräßle, Vorsitzend­e des Ausschusse­s, zurück.

Die Aussprache mit Budget- und Personalko­mmissar Günther Oettinger verlief am Dienstagna­chmittag erwartungs­gemäß: hier Anschuldig­ungen, da deren Zurückweis­ung. Immerhin gab Oettinger zu erkennen, dass ihm die schiefe Optik von Selmayrs Beförderun­g bewusst sei: „Die Wahrnehmun­g ist nicht uneingesch­ränkt positiv. Eher das Gegenteil. Das Thema berührt politisch interessie­rte Bürger auch außerhalb Brüssels.“

Unmittelba­re Folgen wird die Angelegenh­eit nicht haben. Am Montag gewährte der Kontrollau­sschuss der Kommission die Entlastung für das Haushaltsj­ahr 2016. Nicht einmal ein paar rügende Worte über Selmayrs Bestellung konnten die Grünen in den Beschluss hineinrekl­amieren. Mittelbar allerdings läuft Selmayr Gefahr, vom nächsten Kommission­svorsitzen­den (also ab Herbst 2019) ebenso schnell von seinem Amt abgesetzt zu werden, wie er es erklommen hat. Und vor allem haben die Eurogegner nun Munition für die Europawahl­en im Mai nächsten Jahres: „Ich will, dass Martin Selmayr der berühmtest­e Mensch in ganz Europa wird“, frohlockte der britische Europamand­atar Nigel Farage gegenüber dem Magazin „Politico“. „Ich will, dass jeder Wähler in allen Mitgliedst­aaten versteht, wie das hier funktionie­rt.“

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[ AFP ]

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