Das völlig korrekte PR-Desaster
Der Fall Selmayr. Die Beförderung von Kommissionschef Junckers mächtigem Kabinettschef war wohl rechtens. Ihre Umstände jedoch sind Wasser auf die Mühlen der EU-Gegner.
Was vor einem Monat auf dem politischen Marktplatz Brüssel als möglicher großer Skandal rasch das digitaltaugliche Signet Selmayrgate erhielt, endet nun dort, wo schon so manche ähnliche Brüsseler Aufregung sich zum Sterben hingelegt hat: in Haarspaltereien über Detailfragen des Personalstatuts, langen Aussprachen im Haushaltskontrollausschuss und dem Fazit, dass die Sache wohl legal war, aber nicht sehr appetitlich aussieht.
Worum geht es? Am 21. Februar ernannte das Kollegium der 28 Kommissare Martin Selmayr, den Kabinettschef von Präsident Jean-Claude Juncker, zum neuen Generalsekretär der Kommission und somit mächtigesten Eurokraten. Genauer gesagt: Sie ernannte ihn erst, gleich zu Beginn ihrer um 9:35 Uhr eingeläuteten wöchentlichen Sitzung, zum Stellvertreter des niederländischen Generalsekretärs Alexander Italianer, der daraufhin zurücktrat, woraufhin der Deutsche Selmayr ihm nahtlos ins Amt folgte. Das Ganze dauerte keine fünf Minuten: um 9:39 Uhr ging bereits die Information an das Brüsseler Korrespondentenkorps hinaus, dass Juncker um 10:30 Uhr spontan eine seiner mittlerweile sehr seltenen Pressekonferenzen geben werde, um über die Kommissionssitzung zu berichten.
Seither blubbert es in der Brüsseler Blase, in der Beamte, Journalisten, Politiker jedes prominente Karriereavancement mit großer Leidenschaft verfolgen. Rasch kamen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der flotten Beförderung des 46-jährigen Juristen und früheren Bertelsmann-Mitarbeiters Selmayr auf. Hatte er sich gleichsam selbst nach oben gehangelt? Und, schlimmer Vorwurf: Hatte er versucht, die Kommissare dafür gefügig zu machen, in dem er ihnen ein eigenes Büro, zwei Mitarbeiter und eine Dienstlimousine für mehrere Jahre nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt in Aussicht stellte?
Selmayr selbst wies diese Anschuldigung bei seiner bisher einzigen öffentlichen Äußerung, anlässlich einer Diskussion mit dem Schriftsteller Robert Menasse, scharf zurück: „Ich bin erstaunt darüber, was ich teilweise über mich lese. Man unterschätzt da die Kommissare. Es gibt nichts, womit sie bestochen hätten werden können.“
Was es damit auf sich habe, wollte auch der Haushaltskontrollausschuss des Europaparlaments wissen. 134 Fragen stellten die Abgeordneten der Kommission, und sie antwortete ebenso geflissentlich wie provokant: ihr 80-seitiges Konvolut landete in der Nacht auf vorigen Sonntag um 3:04 Uhr auf der Kommissionswebsite. „Vielleicht nun an der Zeit für die Brüsseler Blase, sich wieder um wichtige Dinge zu kümmern?“, ätzte Alexander Winterstein, der österreichische stellvertretende Chefsprecher der Kommission, auf Twitter. „Diese Form der Bevormundung verbitte ich mir!“, schoss die CDU-Abgeordnete Inge Gräßle, Vorsitzende des Ausschusses, zurück.
Die Aussprache mit Budget- und Personalkommissar Günther Oettinger verlief am Dienstagnachmittag erwartungsgemäß: hier Anschuldigungen, da deren Zurückweisung. Immerhin gab Oettinger zu erkennen, dass ihm die schiefe Optik von Selmayrs Beförderung bewusst sei: „Die Wahrnehmung ist nicht uneingeschränkt positiv. Eher das Gegenteil. Das Thema berührt politisch interessierte Bürger auch außerhalb Brüssels.“
Unmittelbare Folgen wird die Angelegenheit nicht haben. Am Montag gewährte der Kontrollausschuss der Kommission die Entlastung für das Haushaltsjahr 2016. Nicht einmal ein paar rügende Worte über Selmayrs Bestellung konnten die Grünen in den Beschluss hineinreklamieren. Mittelbar allerdings läuft Selmayr Gefahr, vom nächsten Kommissionsvorsitzenden (also ab Herbst 2019) ebenso schnell von seinem Amt abgesetzt zu werden, wie er es erklommen hat. Und vor allem haben die Eurogegner nun Munition für die Europawahlen im Mai nächsten Jahres: „Ich will, dass Martin Selmayr der berühmteste Mensch in ganz Europa wird“, frohlockte der britische Europamandatar Nigel Farage gegenüber dem Magazin „Politico“. „Ich will, dass jeder Wähler in allen Mitgliedstaaten versteht, wie das hier funktioniert.“