Zuzug aus Ostrom in Windopolis
Schallaburg. Die Ausstellung „Byzanz & der Westen. 1000 vergessene Jahre“widmet sich den wirren Wechselbeziehungen am Mittelmeer von der Spätantike bis zur frühen Neuzeit.
Mitten auf dem Land, in einem Renaissanceschloss in Niederösterreich, glaubt man plötzlich, das Meer rauschen zu hören. Der Eindruck täuscht auch wirklich nicht. Wie ein Gestade ist der Innenhof gestaltet, mit Illustrationen wichtiger Hafenstädte (von Angelo Monne), und aus einer Installation im Inneren hört man tatsächlich diskret das Spiel von Wind und Wellen. Die Ausstellung auf der Schallaburg führt an das Mare Nostrum, wie die Römer einst das Mittelmeer genannt haben. Dieser praktische Verkehrsweg erleichterte es wesentlich, von Europa aus ein Reich zu errichten, das weit hinein nach Asien reichte und auch Afrikas Norden umfasste.
„Byzanz & der Westen“beschäftigt sich mit der Spätphase des Römischen Reiches, den „1000 vergessenen Jahren“. Im Westen wird das Ende des Imperiums landläufig mit dem Jahr 476 festgesetzt, als ein weströmischer Offizier germanischer Herkunft namens Odoaker den Teenager-Kaiser Romulus Augustulus absetzte und sich selbst zum König von Italien erklärte. Vergessen wird dabei oft, dass dieses Datum recht willkürlich ist. Man könnte auch 395 nehmen, als das Weltreich in Ost und West geteilt wurde, oder spätere Zeitpunkte. Das Zentrum der Macht lag ohnehin längst weit im Osten. In Byzanz herrschten noch fast 1000 Jahre oströmische Kaiser. Erst 1453, mit der Eroberung von Konstantinopel durch die Osmanen, ging das Imperium endgültig unter.
Die Vielfalt von Byzanz wird in zwanzig Abteilungen chronologisch, mittels Hunderter Objekte verdeutlicht – darunter sind bedeutende Kunstwerke aus dem Louvre, Venedigs Schatzkammer von San Marco, dem Israel-Museum und vieles aus Wien. Es ist hier echtes Gold, was glänzt. Aufgelockert wird die Vielfalt durch didaktische Übungen, einige davon auch kindgerecht. Rauminstallationen z. B. in drei Übergangsräumen fordern nicht nur zum Schauen, sondern auch zum Zuhören auf. Gelehrte des RömischGermanischen Zentralmuseums Mainz, Byzantinisten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Universität Wien, die diese Schau gemeinsam erarbeitet haben, kommen in Filmclips zu Wort. Und gleich in Raum eins werden die Besucher mit babylonischer Sprachenvielfalt begrüßt, um dann in den nächsten Abteilungen einen groben Überblick über den langen Zeitraum zu erfahren. Latein verliert seinen Universalstatus, wird im Osten nach und nach durch das Griechische abgelöst. Man verstand sich jedoch weiterhin als Römer, der Begriff Byzantiner war ungebräuchlich.
Von Anfang an war Byzanz ein Sehnsuchtsort für den Westen, der sich in der Völkerwanderung zersplitterte, in dem sich neue Reiche etablierten. Merowinger, Karolinger, Ottonen, Salier pflegten den kulturellen Austausch. Kostbare Stoffe, Seide, Gold, Elfenbein und besonders Reliquien wurden von der Elite im Westen begehrt. Und oströmische Prinzessinnen. Lange hatten es die oströmischen Kaiser vermieden, ihre Töchter mit „Barbaren“zu vermählen. Doch als es nicht mehr nur als Skandal empfunden wurde, dass sich Karl der Große, Herrscher über das immer mächtiger gewordene Reich der Franken, zu Weihnachten 800 in Rom zum Kaiser krönen ließ, als dann im elften Jahrhundert die Zeit der Kreuzzüge und erneut auch ein regerer kultureller wie ökonomischer Austausch zwischen Ost und West begann, gehörte die Vergabe edler Frauen längst zu den Mitteln ihrer Diplomatie.
Auch Österreicher bekamen welche. Der Babenberger Heinrich II. wurde bei der Rückkehr vom Kreuzzug 1148/49 in Konstantinopel mit der Kaisernichte Theodora Komnena vermählt. Durch die Mitgift der „Griechin“konnte der Herzog seine neue Residenzstadt Wien ausbauen lassen. Theodora war auch hilfreich als Diplomatin. Man begegnet ihr auf Urkunden aus „Windopolis“. 1203 heiratete ihr Enkel als Herzog Leopold VI. eine zweite Theodora aus Ostrom, von der aber weniger überliefert wurde. Nichtsdestoweniger rankten sich um diese und andere orientalische Frauen faszinierende Mythen.
Wer will es den Märchenerzählern verdenken? Die Pracht hier regt die Fantasie an. Man sieht etwa den filigranen Tragaltar des hl. Willibrod aus Trier, Gold und Silber der Staurothek von Esztergom, mit der Isaakios II. Angelos um 1190 einen Erzbischof beschenkte (eine Vertiefung im Objekt war für eine Kreuzreliquie gedacht). Einmalige Handschriften, Schmuck, Elfenbeinschnitzereien, Instrumente sind ausgestellt, auch der Einfluss des Islam wird gezeigt, der erst zur Konkurrenz, bald zur Übermacht wurde.
Verheerend für Ostrom war jedoch der vierte Kreuzzug, als Franzosen und Venezianer Konstantinopel plünderten. Das Reich wurde zerstückelt, es hat sich davon nie erholt, seine Eroberung durch Fatih Sultan Mehmet 250 Jahre später war nur die letzte Konsequenz daraus. Eine neue alte Geschichte beginnt. Schon steht man in Raum 20, wie im Offenen. Es rauscht das Meer.