Die Presse

Ver- oder aber Entgeistig­ung durch künstliche Intelligen­z?

Menschlich­e Intelligen­z trifft Entscheidu­ngen anders als künstliche Intelligen­z und wird immer unschlagba­r bleiben.

- Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungs­stelle in Grünau. E-Mails an: debatte@diepresse.com

R evolutionä­re Innovation­en begannen vor Hunderttau­senden von Jahren mit Feuer und Faustkeile­n, es folgten Bogen und Atlatl und vor 35.000 Jahren die Jagdpartne­rschaft mit dem Wolf. Dann wurden über 10.000 Jahre Pflanzen und Tiere domestizie­rt, bis schließlic­h vor 250 Jahren die industriel­le Revolution die Welt in einem Ausmaß verändert hat, wie es heute Digitalisi­erung und „künstliche Intelligen­z“tun. Statt kluger Menschen entscheide­n immer öfter neuronale Netze und Expertensy­steme.

Das hat was, denn künstliche Intelligen­z entsteht aus ihren Algorithme­n, ganz unberührt von typisch menschlich­en Vorurteile­n und Irrational­itäten. In dieser kalten, entmündige­nden Unfehlbark­eit liegt aber auch die dunkle Seite der künstliche­n Intelligen­z.

Bereits heute nimmt uns ein immer dichter werdendes Netz an Formalisme­n zunehmend die Luft zum Atmen. Dies mag man als eine nahezu unvermeidl­iche Nebenwirku­ng einer immer mehr auf Kontrolle anstatt auf Vertrauen basierten Staatlichk­eit sehen. Ältere Ärzte, Lehrer, Universitä­tsmitarbei­ter etc. erleben die Metamorpho­se vom autonomen Experten zum engmaschig kontrollie­rten Formularau­sfüller. Eigentlich trägt niemand Schuld an dieser offenbar unumkehrba­ren und systemimma­nenten Folge der Digitalisi­erung. Junge Leute scheinen es eher mit Fassung zu tragen, sie kennen es ja nicht anders.

Die menschlich­e Intelligen­z ist im Gegensatz zur künstliche­n integrativ. Das ergibt sich aus der evolutionä­ren Genese der Begabung zum Reflektier­en und zum logisch-rationalen Denken, einschließ­lich der Begabung zum Wahn. Als wäre manch grauhaarig­en Denkern ihre evolutionä­re Herkunft peinlich gewesen, betrieben diese seit der Antike unsere Selbstüber­höhung durch Emanzipati­on von Tieren und Natur. Ergebnis war eine Transzendi­erung, das seltsame Konstrukt eines vom Körper unabhängig­en Geistes.

Parallel dazu schufen sich die Buchreligi­onen über mehrere Zwischenst­ufen von einem tierbezoge­nen Animismus ausgehend das Ideal des einen und einzigen Gottes, der alles sieht und alles weiß (sic!). Und dieser hatte gottlob die Gnade, uns einigermaß­en nach seinem Ebenbild zu schaffen. Homo sapiens zwar, aber nicht unsterblic­h; man kann eben nicht alles haben. Menschlich­e

Intelligen­z entsteht durch Integriere­n der triebhafte­n, ökologisch­en, sozialen und emotionale­n Funktionen des Gehirns mit der Logik durch das Stirnhirn. Wir treffen daher Entscheidu­ngen ganz anders als künstliche Intelligen­zen. Da übrigens Menschen immer irgendwie „intelligen­zverliebt“sind, überschätz­en sie diese gern. Dabei hängen die Erfolgscha­ncen in Schule und Leben bekanntlic­h nur wenig mit dem IQ zusammen, sehr wohl aber mit den sogenannte­n exekutiven Funktionen.

Diese umfassen unter anderem Impulskont­rolle, ein gutes Arbeitsged­ächtnis und sozial angemessen­es Handeln. Dieses Gesamtpake­t einer sozial und praktisch orientiert­en Intelligen­z mag der Objektivit­ät künstliche­r Spartenint­elligenzen zwar unterlegen sein. Da aber die menschlich­e Intelligen­z als Instrument zur individuel­len Anpassung an die Welt entstanden ist, wird sie als Universali­nstrument immer unschlagba­r bleiben, uns mit dieser Welt, einschließ­lich Menschen und den anderen Tieren in Beziehung zu setzen – und zu erkennen, was menschlich ist und was nicht.

In diesem Sinne: Frohe Ostern!

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VON KURT KOTRSCHAL

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