Ver- oder aber Entgeistigung durch künstliche Intelligenz?
Menschliche Intelligenz trifft Entscheidungen anders als künstliche Intelligenz und wird immer unschlagbar bleiben.
R evolutionäre Innovationen begannen vor Hunderttausenden von Jahren mit Feuer und Faustkeilen, es folgten Bogen und Atlatl und vor 35.000 Jahren die Jagdpartnerschaft mit dem Wolf. Dann wurden über 10.000 Jahre Pflanzen und Tiere domestiziert, bis schließlich vor 250 Jahren die industrielle Revolution die Welt in einem Ausmaß verändert hat, wie es heute Digitalisierung und „künstliche Intelligenz“tun. Statt kluger Menschen entscheiden immer öfter neuronale Netze und Expertensysteme.
Das hat was, denn künstliche Intelligenz entsteht aus ihren Algorithmen, ganz unberührt von typisch menschlichen Vorurteilen und Irrationalitäten. In dieser kalten, entmündigenden Unfehlbarkeit liegt aber auch die dunkle Seite der künstlichen Intelligenz.
Bereits heute nimmt uns ein immer dichter werdendes Netz an Formalismen zunehmend die Luft zum Atmen. Dies mag man als eine nahezu unvermeidliche Nebenwirkung einer immer mehr auf Kontrolle anstatt auf Vertrauen basierten Staatlichkeit sehen. Ältere Ärzte, Lehrer, Universitätsmitarbeiter etc. erleben die Metamorphose vom autonomen Experten zum engmaschig kontrollierten Formularausfüller. Eigentlich trägt niemand Schuld an dieser offenbar unumkehrbaren und systemimmanenten Folge der Digitalisierung. Junge Leute scheinen es eher mit Fassung zu tragen, sie kennen es ja nicht anders.
Die menschliche Intelligenz ist im Gegensatz zur künstlichen integrativ. Das ergibt sich aus der evolutionären Genese der Begabung zum Reflektieren und zum logisch-rationalen Denken, einschließlich der Begabung zum Wahn. Als wäre manch grauhaarigen Denkern ihre evolutionäre Herkunft peinlich gewesen, betrieben diese seit der Antike unsere Selbstüberhöhung durch Emanzipation von Tieren und Natur. Ergebnis war eine Transzendierung, das seltsame Konstrukt eines vom Körper unabhängigen Geistes.
Parallel dazu schufen sich die Buchreligionen über mehrere Zwischenstufen von einem tierbezogenen Animismus ausgehend das Ideal des einen und einzigen Gottes, der alles sieht und alles weiß (sic!). Und dieser hatte gottlob die Gnade, uns einigermaßen nach seinem Ebenbild zu schaffen. Homo sapiens zwar, aber nicht unsterblich; man kann eben nicht alles haben. Menschliche
Intelligenz entsteht durch Integrieren der triebhaften, ökologischen, sozialen und emotionalen Funktionen des Gehirns mit der Logik durch das Stirnhirn. Wir treffen daher Entscheidungen ganz anders als künstliche Intelligenzen. Da übrigens Menschen immer irgendwie „intelligenzverliebt“sind, überschätzen sie diese gern. Dabei hängen die Erfolgschancen in Schule und Leben bekanntlich nur wenig mit dem IQ zusammen, sehr wohl aber mit den sogenannten exekutiven Funktionen.
Diese umfassen unter anderem Impulskontrolle, ein gutes Arbeitsgedächtnis und sozial angemessenes Handeln. Dieses Gesamtpaket einer sozial und praktisch orientierten Intelligenz mag der Objektivität künstlicher Spartenintelligenzen zwar unterlegen sein. Da aber die menschliche Intelligenz als Instrument zur individuellen Anpassung an die Welt entstanden ist, wird sie als Universalinstrument immer unschlagbar bleiben, uns mit dieser Welt, einschließlich Menschen und den anderen Tieren in Beziehung zu setzen – und zu erkennen, was menschlich ist und was nicht.
In diesem Sinne: Frohe Ostern!