Stimme, Brot und Zukunft für die Ohnmächtigen
Eine „Gesundschrumpfung“der Caritas würde wahrlich niemandem helfen.
Grundlegende Reformen braucht von Zeit zu Zeit jede größere Organisation. Das ist banal. Trotzdem scheut sich Frau Walterskirchen nicht, in ihrem „Quergeschrieben“(19. 3.) unter diesem Vorwand die Caritas zu attackieren, offenbar weil diese den Armutskurs der Regierung kritisiert hatte. Walterskirchen verlangt „Gesundschrumpfung“– was bei zunehmender Armut zu weiterer Verarmung führen und die Caritas stark schwächen würde.
Um ihre Forderung zu stützen, stellt die Autorin Behauptungen auf, denen man widersprechen muss. Sie zielen darauf ab, die Caritas zu desavouieren. So ist die Caritas keinesfalls ein Auffangbecken für Grünpolitiker. Der Sachverhalt ist schlichter: Viele Grüne kommen aus der katholischen Jugend, der Jungschar etc. Dass sie im Dunstkreis der katholischen Kirche bleiben, ist logisch.
Der Vorwurf „partei“politischer Einmischung ist unsinnig. Armut wird oft entscheidend von politischen Maßnahmen geprägt. Also sind Stellungnahmen zur Armut notgedrungen politisch und bei einer einäugigen Regierung wie der jetzigen zwangsläufig parteipolitisch. Der Vorwurf, die Caritas habe sich zu einem „Sozialkonzern“entwickelt, ist richtig, aber unberechtigt. Durch die Globalisierung wurden Wohlfahrtsorganisationen gezwungen, entsprechende Strukturen zu schaffen. Ohne diese Strukturen wäre der Staat in der Flüchtlingskrise hoffnungslos „abgesoffen“.
Manche Fragwürdigkeit (etwa Spendensammeln auf Provisionsbasis) irritiert. Aber die Jagd nach Spenden ist angesichts des Rückzugs des Staates unvermeidlich (auch wenn die Öffentlichkeit viele Kosten jener Aufgaben trägt, die von der Caritas für sie erledigt werden). Eine Organisation, die aufgrund ihrer Erfahrungen mit Armut keine begeisterte Fürsprecherin neoliberaler Ideen ist, kommt zwangsläufig mit Parteien und deren Politik in Konflikt. Gesundschrumpfen hilft da wenig. Es wäre vielmehr die Kapitulation vor jenen, die eine ausschließliche Ausrichtung auf eine überholte Art karitativen Denkens wünschen: Nächstenhilfe aus Barmherzigkeit. Das exkludiert den Kampf um gesicherte Rechte – keine rechtlichen Ansprüche, sondern Hoffen auf freiwilliges Mitleid mit jenen, die „mühselig und beladen“sind.
Im Gegensatz zu Frau Walterskirchen weiß ich, worüber ich schreibe. Armut ist mir aus meiner Jugend bekannt. So pilgerte ich jeden Sommer in ein Haus am Währinger Ring zu „Onkel“Macho, damals Direktor der Wiener Caritas. Von ihm (natürlich von der Caritas) bekam ich jenes Geld, das ich für den Schulbuchkauf brauchte.
Die Caritas war schon damals ein Sozialkonzern. Nie ließ man mich meine Armut spüren, trotzdem wuchs in mir die Überzeugung, dass caritatives Wirken nicht reicht. Wir benötigen Rechtsansprüche und müssen versuchen, die Armut zu beseitigen. Das geht nicht mit (partei)politischer Abstinenz. Ich war froh, als das Gratisschulbuch kam, und ich nicht mehr zur Caritas musste.
Ich erlebe die Caritas keineswegs als parteipolitisch einseitig, sondern als gesellschaftliche Kraft, die den Ohnmächtigen Stimme, Brot und Zukunft zu geben versucht und für die Verrechtlichung von Ansprüchen kämpft. So verstehe ich moderne Caritas und Barmherzigkeit. Ja, die Caritas hat seelsorgerische Aufgaben, aber ein „Gesundschrumpfen“würde wahrlich niemandem helfen. Denn vom Beten und seelischen Beistand allein kann man nicht leben.