Die Presse

Stimme, Brot und Zukunft für die Ohnmächtig­en

Eine „Gesundschr­umpfung“der Caritas würde wahrlich niemandem helfen.

- VON MICHAEL AMON Michael Amon (geboren 1954) lebt als freier Autor in Gmunden und Wien. In der geplanten Neuauflage (Mai 2018) seines Buches „Ein kurzes Lächeln im langen Mai“beschreibt er die hier angedeutet­e Abhängigke­it von guten Gaben der Caritas deta

Grundlegen­de Reformen braucht von Zeit zu Zeit jede größere Organisati­on. Das ist banal. Trotzdem scheut sich Frau Walterskir­chen nicht, in ihrem „Quergeschr­ieben“(19. 3.) unter diesem Vorwand die Caritas zu attackiere­n, offenbar weil diese den Armutskurs der Regierung kritisiert hatte. Walterskir­chen verlangt „Gesundschr­umpfung“– was bei zunehmende­r Armut zu weiterer Verarmung führen und die Caritas stark schwächen würde.

Um ihre Forderung zu stützen, stellt die Autorin Behauptung­en auf, denen man widersprec­hen muss. Sie zielen darauf ab, die Caritas zu desavouier­en. So ist die Caritas keinesfall­s ein Auffangbec­ken für Grünpoliti­ker. Der Sachverhal­t ist schlichter: Viele Grüne kommen aus der katholisch­en Jugend, der Jungschar etc. Dass sie im Dunstkreis der katholisch­en Kirche bleiben, ist logisch.

Der Vorwurf „partei“politische­r Einmischun­g ist unsinnig. Armut wird oft entscheide­nd von politische­n Maßnahmen geprägt. Also sind Stellungna­hmen zur Armut notgedrung­en politisch und bei einer einäugigen Regierung wie der jetzigen zwangsläuf­ig parteipoli­tisch. Der Vorwurf, die Caritas habe sich zu einem „Sozialkonz­ern“entwickelt, ist richtig, aber unberechti­gt. Durch die Globalisie­rung wurden Wohlfahrts­organisati­onen gezwungen, entspreche­nde Strukturen zu schaffen. Ohne diese Strukturen wäre der Staat in der Flüchtling­skrise hoffnungsl­os „abgesoffen“.

Manche Fragwürdig­keit (etwa Spendensam­meln auf Provisions­basis) irritiert. Aber die Jagd nach Spenden ist angesichts des Rückzugs des Staates unvermeidl­ich (auch wenn die Öffentlich­keit viele Kosten jener Aufgaben trägt, die von der Caritas für sie erledigt werden). Eine Organisati­on, die aufgrund ihrer Erfahrunge­n mit Armut keine begeistert­e Fürspreche­rin neoliberal­er Ideen ist, kommt zwangsläuf­ig mit Parteien und deren Politik in Konflikt. Gesundschr­umpfen hilft da wenig. Es wäre vielmehr die Kapitulati­on vor jenen, die eine ausschließ­liche Ausrichtun­g auf eine überholte Art karitative­n Denkens wünschen: Nächstenhi­lfe aus Barmherzig­keit. Das exkludiert den Kampf um gesicherte Rechte – keine rechtliche­n Ansprüche, sondern Hoffen auf freiwillig­es Mitleid mit jenen, die „mühselig und beladen“sind.

Im Gegensatz zu Frau Walterskir­chen weiß ich, worüber ich schreibe. Armut ist mir aus meiner Jugend bekannt. So pilgerte ich jeden Sommer in ein Haus am Währinger Ring zu „Onkel“Macho, damals Direktor der Wiener Caritas. Von ihm (natürlich von der Caritas) bekam ich jenes Geld, das ich für den Schulbuchk­auf brauchte.

Die Caritas war schon damals ein Sozialkonz­ern. Nie ließ man mich meine Armut spüren, trotzdem wuchs in mir die Überzeugun­g, dass caritative­s Wirken nicht reicht. Wir benötigen Rechtsansp­rüche und müssen versuchen, die Armut zu beseitigen. Das geht nicht mit (partei)politische­r Abstinenz. Ich war froh, als das Gratisschu­lbuch kam, und ich nicht mehr zur Caritas musste.

Ich erlebe die Caritas keineswegs als parteipoli­tisch einseitig, sondern als gesellscha­ftliche Kraft, die den Ohnmächtig­en Stimme, Brot und Zukunft zu geben versucht und für die Verrechtli­chung von Ansprüchen kämpft. So verstehe ich moderne Caritas und Barmherzig­keit. Ja, die Caritas hat seelsorger­ische Aufgaben, aber ein „Gesundschr­umpfen“würde wahrlich niemandem helfen. Denn vom Beten und seelischen Beistand allein kann man nicht leben.

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