Die Politik und das AMS: Nicht draufhauen, sondern zuhören!
Das Arbeitsmarktservice hat unsere gesellschaftlichen Konflikte nicht erzeugt. In den dortigen Büros werden sie bloß deutlicher wahrgenommen als anderswo.
In den Wartezimmern des Arbeitsmarktservice sitzen nicht die vom Schicksal Verwöhnten. Sondern Menschen, die nach vielen Jahrzehnten plötzlich ihren Job verloren haben, weil andere, jüngere, billigere nachgedrängt sind. Sie sind unsicher, ob das, was sie können, überhaupt noch etwas wert ist. Ihr Selbstwertgefühl ist angeknackst, sie haben Zukunftsängste – und wenn sie abends im Bett liegen, kommen sie aus dem Grübeln nicht mehr heraus.
Zum AMS kommen Menschen, die in der Arbeitswelt nie richtig Fuß gefasst haben. Vielleicht haben sie sich immer schon schwergetan, sich zu konzentrieren. Vielleicht haben sie ein psychisches Problem. Vielleicht fehlt ihnen Grundvertrauen. Vielleicht sind sie emotional durcheinander. Ständig schleudert es sie aus der Spur, und kaum tut sich eine Chance auf, machen sie selbst wieder alles kaputt.
Zum AMS kommen Menschen, denen ein Krieg die komplette Existenz zerstört hat, samt Haus, Job, Familie und Lebensplänen, und die in Österreich vor dem Nichts stehen. Sie müssen den Verlust erst einmal verkraften – realisieren, dass alles, was man war und konnte, samt allen über Jahre aufgebauten Beziehungen, nichts zählt, und dass man ganz unten neu anfangen muss.
Zum AMS kommen Menschen, die kein Deutsch können. Sie sind damit unvermittelbar – egal, wie gut sie Chinesisch oder Spanisch sprechen, nähen oder kochen, egal, wie nett sie sein mögen, egal, wie sehr sie sich bemühen. In der modernen Arbeitswelt gibt es keine Jobs für sie, nicht einmal putzen können sie gehen.
Zum AMS kommen Menschen, deren Lebensstil sich mit vielen Berufen schwer vereinbaren lässt. Sie wollen nicht früh aufstehen, wollen nicht Auto fahren, wollen nicht mit anderen sprechen. Sie grenzen sich selbst aus, indem sie auffällige Kleidung tragen oder auf die Einhaltung religiöser Vorschriften bestehen. Oder aber: Sie werden ausgegrenzt, weil sie auffällige Kleidung tragen oder auf Einhaltung religiöser Vorschriften bestehen.
Zum AMS kommen Menschen, die in autoritären Systemen aufgewachsen sind und nicht begreifen, wie Arbeitssuche in Österreich eigentlich funktioniert. Sie meinen, hier werde jedem Bürger von Staats wegen ein Arbeitsplatz zugeteilt, und man müsse bloß brav zu allen AMSTerminen kommen, die einem der Berater vorschreibt. Der freie Markt ist ihnen fremd und macht ihnen Angst.
Zum AMS kommen Menschen mit völlig unrealistischen Erwartungen. Menschen ohne jede Antriebskraft. Menschen, die vom Pech verfolgt werden, und solche, die ständig nur neue Ausreden für das eigene Versagen suchen. Zum AMS kommen Unverschämte, Aggressive, Schüchterne, Träumer, Faule, Verzweifelte. Leute, denen alles egal ist, und solche, die jede Absage persönlich nehmen.
Daraus resultieren praktische Fragen: Was tun mit einem guten, handwerklich geschickten, aber sprachlich völlig untalentierten Tischler, der schon zum vierten Mal an der Deutsch-A1-Prüfung scheitert? Was tun mit einer gebildeten, arbeitswilligen, kommunikativen Frau, die nie ein Vorstellungsgespräch bekommt, weil sie auf ihrem Bewerbungsfoto Kopftuch trägt?
Wie umgehen mit Leuten, die meinen, Großmüttern den Popo zu wischen sei kein Job für einen echten Mann? Soll man sie zum Popowischen zwingen – und tut das dann den Großmüttern gut?
All das zielt ins Zentrum unserer gegenwärtigen gesellschaftlichen Konflikte. Die AMS-Berater kriegen es ungefiltert zu spüren, sie sind näher dran als die meisten anderen in diesem Land. Sie müssen damit pragmatisch umgehen und sich so rasch wie möglich melden, wenn sie zur Bewältigung ihrer Aufgabe Hilfe von der Politik brauchen. Bloß eines geht sich nie und nimmer aus: wenn die Politik dem AMS die Schuld dafür zuschiebt, dass alles so ist, wie es ist. Und den AMS-Chef dafür schilt, dass er sagt, was ist.
Man schlägt ja auch nicht auf das Thermometer ein, weil man möchte, dass es wärmer wird.