Ist Nordkoreas Diktator in China?
Diplomatie. War Nordkoreas Machthaber auf geheimer Mission in Peking? Die Regierungen beider Länder hüllten sich in Schweigen. Doch die Front gegen Pjöngjang scheint zu bröckeln.
Peking. Nordkorea sucht vor den geplanten Gipfeltreffen mit Südkorea und den USA offenbar die Abstimmung mit seinem wichtigsten Verbündeten China. Ein ranghoher Vertreter Nordkoreas sei in Peking, verlautete aus diplomatischen Kreisen am Dienstag. Medienberichten zufolge soll es sich um Machthaber Kim Jong Un selbst handeln. Das chinesische Außenministerium wollte dies nicht bestätigen.
War er in Peking? Oder war er es nicht? Die ersten Anzeichen, dass Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un nach China gereist sein könnte, gab es bereits am Montag. Schwer bewacht und mit großem Sicherheitsaufgebot fuhr in der Grenzstadt Dandong ein dunkelgrüner Zug mit knallgelbem Streifen über die chinesisch-nordkoreanische „Freundschaftsbrücke“. Das zumindest berichtet der japanische Fernsehsender NHK.
Schon Kims Vater, der damalige Machthaber Kim Jong-il, hatte einen solchen Zug für Reisen nach China und Russland benutzt. Dieser Zug fällt auch deswegen auf, weil er im Gegensatz zu den chinesischen Hochgeschwindigkeitszügen altbacken wirkt.
In dem Zug könnte allerdings auch Kim Yo-jong gesessen haben, die jüngere Schwester des nordkoreanischen Diktators. Ihr kommt offenbar eine zentrale Rolle in Nordkoreas jüngster Entspannungspolitik zu, seitdem sie im Februar zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele nach Südkorea gereist war und vom südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in empfangen wurde.
Nur: Dann hätten die Beteiligten nicht so großen Aufwand betrieben. In Seoul war Kims Schwester mit dem Flugzeug gelandet. Am Dienstag waren die Pekinger Bahnhofsgegend und das gesamte Regierungsviertel weiträumig abgesperrt. Sicherheitsvorkehrungen in diesem Ausmaß sind normalerweise Staatschefs vorbehalten. Pekinger Passanten haben angeblich auch eine Ehrengarde nahe des Bahnhofs aufmarschieren sehen.
China hüllt sich in Schweigen
Das chinesische Außenministerium wollte am Dienstag einen Besuch des nordkoreanischen Machthabers in Peking nicht bestätigen. „Gegenwärtig“gebe es eine Visite nicht, sagte eine Sprecherin. „Wenn wir Informationen haben, werden wir sie veröffentlichen“, fügte sie hinzu. China wolle aber weiter eine „positive und konstruktive Rolle“im NordkoreaKonflikt spielen, um eine atomare Abrüstung der Koreanischen Halbinsel zu erreichen.
Auch in den chinesischen Staatsmedien war von einem möglichen Besuch Kims kein Sterbenswörtchen zu finden. Zu der Zeit kursierte im chinesischen Internet bereits ein Bild von Kim, händeschüttelnd mit dem chinesischen Premierminister Li Keqiang. Die Quelle ist unbekannt. Andere Einträge mit Stichwörtern wie Nordkorea oder Kim Jong-un waren in den sozialen Medien binnen weniger Minuten wieder gelöscht. Allerdings hatten auch schon bei Kim Jong-il die chinesischen und nordkoreanischen Staatsmedien immer erst dann über seine Besuche berichtet, wenn er das Land schon wieder verlassen hatte.
Sollte Kim Jong-un tatsächlich die vergangenen zwei Tage in geheimer Mission in Peking gewesen sein, wäre es nicht nur seine erste Auslandsreise, seit er über Nordkorea herrscht. Es wäre auch ein äußerst geschickter Schachzug. Noch vor vier Monaten hatte sich das Regime mit Atomtests und immer neuen Raketenabschüssen in die Isolation manövriert. Selbst China, das einzige Land, das überhaupt noch Handel mit dem völlig verarmten Land betrieb, missbilligte Pjöngjangs Vorgehen und trug schließlich die Sanktionen mit, die die Vereinten Nationen gegen Nordkorea verhängt haben. Der Grenzhandel ist gestoppt.
Ob es die Sanktionen sind, die Nordkoreas Machthaber dazu bewogen haben, nach Jahren der Hasstiraden auf versöhnliche Töne zu setzen? Kim scheint damit erfolgreich zu sein. In seiner Neujahrsrede war der Diktator zunächst überraschend auf Südkorea zugegangen. Ein Treffen mit Moon soll es noch im April geben. Vor drei Wochen hat Kim – noch überraschender – auch bei US-Präsident Donald Trump um direkte Gespräche gebeten. Trump sagte zu. Dieses Treffen soll voraussichtlich im Mai stattfinden. Sollte es Kim nun gelungen sein, sich in geheimer Mission mit China wieder zu versöhnen, wäre er bei den anvisierten Verhandlungen sowohl mit Moon als auch mit Trump gestärkt. Von China hängt es letztendlich ab, ob die Sanktionen wirken oder nicht.
Am Dienstagabend vermeldet die japanische Nachrichtenagentur Kyodo, der „mysteriöse Sonderzug“habe Peking wieder verlassen – gen Nordosten.