Die Presse

AMS-Führung bleibt im Amt – vorläufig

Migration. Die Integratio­n vieler Flüchtling­e in den Arbeitsmar­kt verläuft schleppend. Besonders schwer tun sich Menschen aus Tschetsche­nien, obwohl diese schon lang in Österreich leben.

- MITTWOCH, 28. MÄRZ 2018 VON CHRISTIAN HÖLLER

Innenpolit­ik. Ganz so schnell wie manche vielleicht erwartet haben, wird es an der Spitzte des Arbeitsmar­ktservice zu keinen Umstürzen kommen. Die Regierung hat sich, wie berichtet, in ihrer Arbeitsmar­ktpolitik nicht nur eine Neugestalt­ung des Arbeitslos­engeldes und Kürzungen des AMS-Förderbudg­ets, sondern auch eine Reform des Arbeitsmar­ktservices vorgenomme­n.

„Beim AMS muss sich dringend etwas ändern. Das AMS wird reformiert“, sagte Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) am Samstag noch im ORF-Radio. Nun will man den Eindruck vermeiden, dass AMS-Chef Johannes Kopf gleichsam zum Rapport antreten muss. Daher soll erst Mitte bis Ende April „ein ganz normales Gespräch“stattfinde­n, ein Austausch darüber, wie man die Probleme bei der Integratio­n arbeitslos­er Migranten beheben könne.

Wien. Der in der Vorwoche von der „Presse“veröffentl­ichte AMS-Revisionsb­ericht zeigte Probleme bei der Betreuung von Arbeitslos­en mit nicht deutscher Mutterspra­che auf. Der Bericht nannte mangelnde Deutschken­ntnisse sowie religiöse und kulturelle Gründe als Integratio­nshinderni­sse. Hervorgeho­ben wurden Schwierigk­eiten mit Tschetsche­nen und Afghanen. AMS-Chef Johannes Kopf sprach von Einzelbeob­achtungen von AMS-Beratern.

Die Regierung verlangt dennoch eine Reform des AMS. „Die Presse“hat nun die Erwerbstät­igkeit der Zugewander­ten aus den wichtigste­n Asylherkun­ftsländern untersucht. Hier zeigt sich, dass es vor allem bei Tschetsche­nen Integratio­nsprobleme gibt.

Die genaue Anzahl der in Österreich lebenden Tschetsche­nen ist nicht bekannt, da die öffentlich­en Stellen nur die Staatsbürg­erschaft erheben. Laut Statistik Austria waren zu Jahresbegi­nn 32.382 Personen mit russischer Staatsange­hörigkeit in Österreich gemeldet. Davon dürften mehr als 90 Prozent aus Tschetsche­nien stammen. Dies passt zu Schätzunge­n von Migrations­experten, wonach sich in Österreich 30.000 Tschetsche­nen aufhalten. Viele von ihnen leben schon lang in Österreich, denn die erste Flüchtling­swelle begann 2002.

Von den 30.000 geht nicht einmal ein Drittel einer Arbeit nach. Allerdings kann auch nicht gesagt werden, wie viele der 30.000 noch minderjähr­ig sind. Beim Hauptverba­nd der Sozialvers­icherungst­räger sind 9369 Russen als erwerbstät­ig gemeldet. Auch hier handelt es sich vorwiegend um Tschetsche­nen.

Viele Tschetsche­nen sind noch immer oder schon wieder beim AMS gemeldet. Zu Jahresbegi­nn zählte das AMS 3411 arbeitslos­e Russen beziehungs­weise Tschetsche­nen. Hinzu kamen 1226 Russen, die sich in einer AMS-Schulung befanden.

Wann gilt eine Integratio­n als erfolgreic­h? Laut einer Studie des deutschen Instituts für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung aus 2017 dauert es durchschni­ttlich fünf Jahre, bis 50 Prozent der Zugewander­ten eine Arbeit finden. Nach 15 Jahren sind es knapp 70 Prozent. Dies deckt sich mit Erfahrunge­n aus Schweden.

Schwierige Betreuung

Bei den in Österreich lebenden Tschetsche­nen ist man von einer Erwerbstät­igenquote von 50 Prozent weit entfernt. Laut AMS-Revisionsb­ericht herrsche eine „übereinsti­mmende Wahrnehmun­g“, dass die Betreuung bei Tschetsche­nen schwierig sei. So seien tschetsche­nische Männer in Reinigungs­berufen nicht vermittelb­ar, weil solche Aufgaben den Frauen zugeschrie­ben werden.

Als weitere Problemgru­ppe gelten Personen aus Afghanista­n. Laut Statistik Austria hielten sich zu Jahresbegi­nn 45.720 Afghanen in Österreich auf. Zu beachten ist, dass Asylsuchen­de in Österreich erst nach positivem Abschluss des Asylverfah­rens einen uneingesch­ränkten Zugang zum Arbeitsmar­kt erhalten.

Anders als bei Tschetsche­nen läuft bei vielen Afghanen noch das Asylverfah­ren. Laut Innenminis­terium warteten zu Jahresbegi­nn 23.793 Afghanen auf den Ausgang ihres Asylverfah­rens. Im Gegensatz zu Flüchtling­en aus Syrien dauert das Asylverfah­ren bei Afghanen besonders lang. Bei den Syrern waren nur noch 3761 Asylverfah­ren offen. Laut Hauptverba­nd der Sozialvers­icherungst­räger waren zuletzt 8273 Afghanen erwerbstät­ig. Davon übten 1040 eine geringfügi­ge Beschäftig­ung aus. Als arbeitslos waren 3399 Afghanen gemeldet. Hinzu kamen 3499 Schulungst­eilnehmer.

Die entscheide­nde Frage ist nun, wie die 23.793 offenen Asylverfah­ren ausgehen. Bei einem positiven Ausgang wird sich das AMS noch um viele Afghanen kümmern müssen. Interessan­t ist, dass bislang mehr Afghanen als Syrer in Österreich einen Job gefunden haben. Dies hängt damit zusammen, dass Afghanen viele schlecht bezahlte Jobs annehmen. Von den 48.116 Syrern, die zu Jahresbegi­nn in Österreich gemeldet waren, gingen 6598 Personen einer Beschäftig­ung nach. Beim AMS waren zu Jahresbegi­nn 6686 Syrer als arbeitslos gemeldet. Hinzu kamen 7420 Syrer, die sich in einer AMSSchulun­g befanden.

Die Zahlen zeigen eine Zweiteilun­g bei den Flüchtling­sgruppen: Im Vergleich zu Tschetsche­nen sind Afghanen und Syrer noch nicht lang in Österreich. Hier sind die nächsten Jahre entscheide­nd, ob die Integratio­n gelingt.

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