Liebe Türkei, eure Praxis verstößt gegen unsere Rechtsordnung
Bei illegalen Staatsbürgerschaften hätte Österreich die Türkei früher in die Pflicht nehmen müssen – und sollte es bei der Aufarbeitung auch jetzt tun.
S agen wir es so, es ist kompliziert. Da haben sich türkischstämmige Österreicher jahrzehntelang die türkische Staatsbürgerschaft wieder geholt, die sie zuvor abgeben mussten, um die österreichische zu bekommen. Da waren türkische Behörden, die das nicht nur geduldet, sondern sogar aktiv gefördert haben. Und da war der Staat Österreich, der das offenbar nicht so genau sehen wollte. Dieses Prozedere ist aufgeflogen – und nun geht es um zwei Dinge. Erstens die Aufarbeitung, wie es dazu kommen konnte. Und zweitens, wie man verhindert, dass so etwas in Zukunft weiter passiert.
Schon der erste Punkt zeigt ein Dilemma. Dass nämlich zwei unterschiedliche Rechtsordnungen aufeinandertreffen. Da die österreichische, in der eine doppelte Staatsbürgerschaft – mit Ausnahmen – nicht vorgesehen ist. Und dort die türkische, die kein Problem damit hat. Die türkischen Behörden können sich also rechtlich auf den Standpunkt stellen, dass sie ja nach ihrer Rechtsordnung nichts Verbotenes gemacht haben. Und dass sie für die Vollziehung des österreichischen Rechts nicht zuständig sind. Jo eh. Nur ist das eher kein Zeichen dafür, dass man an einem guten Verhältnis interessiert ist.
Der österreichischen Seite kann man wiederum den Vorwurf nicht ersparen, das alles zugedrückten Auges hingenommen zu haben. Denn natürlich war es bekannt, wie die türkischen Konsulate arbeiteten. Warum löste man das Problem nicht auf diplomatischem Weg? Liebe Leute, eure Praxis verstößt gegen unser Recht, und es liegt auch in eurem Interesse, dass Menschen mit türkischen Wurzeln nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Und im Sinne guter Beziehungen ist es sowieso eine Selbstverständlichkeit, den anderen nicht zu hintergehen.
Abgesehen davon ist das türkische Vorgehen auch gegenüber jenen verantwortungslos, die diesen Service in Anspruch genommen haben. Man suggerierte ihnen, dass das schon in Ordnung sei, es keine negativen Konsequenzen geben würde. Nun, mittlerweile mussten die Ersten die österreichische Staatsbürgerschaft wieder abgeben, Tausenden steht dasselbe bevor. Vielen Dank, lieber Konsul, werden die Menschen denken, denen mit freundlichem Lächeln ein Rechtsbruch nahegelegt wurde.
Klar ist aber auch, dass sich diese Menschen nicht auf die türkischen Behörden ausreden können. Sie haben gegen österreichisches Recht verstoßen. Ob wissend oder unwissend, die Konsequenzen müssen sie in jedem Fall tragen. Hier setzt aber auch die zweite Frage an, nämlich wie man den Fall lösen und künftige Schwierigkeiten verhindern kann. Nun, im Fall der nun betroffenen Menschen ist eine Lösung mit Augenmaß sinnvoll. Was bedeutet der Entzug der österreichischen Staatsbürgerschaft etwa beruflich? Sind Menschen darunter, die den Schritt gar nicht selbst gemacht haben, sondern von ihren Eltern mitgenommen wurden? Soll man die, die die türkische Staatsbürgerschaft später doch wieder zurückgelegt haben, gleich behandeln wie jene, die diesen Schritt nicht gemacht haben? U nd für die Zukunft sollte Österreich zwei Dinge beherzigen. Erstens, dass man derartige Schlupflöcher entdecken und der anderen Seite – in diesem Fall der Türkei – auf diplomatischer Ebene deutlich klarmachen muss, dass man damit ein Problem hat. Das Land auch deutlich darauf hinweisen, dass die Kooperation in diesem Bereich Grundbedingung für Vertrauen ist. (Was übrigens auch für die Kooperation bei der Aufarbeitung der aktuellen Fälle gilt.)
Und zweitens, dass man eine Debatte über das Konzept der Staatsbürgerschaft führen muss. Was davon halten wir für sinnvoll und wollen es bewahren – etwa die Kopplung des Wahlrechts an den österreichischen Pass. Und was sollten wir neu verhandeln – etwa die Frage, wie der Staat in einer immer mobileren Gesellschaft Loyalität auch anders als über die Staatsbürgerschaft darstellen kann. Das ist vor allem eines nicht, nämlich einfach. Aber darüber reden sollten wir, auch wenn die Sache kompliziert ist. Damit man bei Konflikten und Problemen in der Zukunft mehr sagen kann, als dass man es kommen gesehen hat.