Die Presse

Liebe Türkei, eure Praxis verstößt gegen unsere Rechtsordn­ung

Bei illegalen Staatsbürg­erschaften hätte Österreich die Türkei früher in die Pflicht nehmen müssen – und sollte es bei der Aufarbeitu­ng auch jetzt tun.

- E-Mails an: erich.kocina@diepresse.com

S agen wir es so, es ist komplizier­t. Da haben sich türkischst­ämmige Österreich­er jahrzehnte­lang die türkische Staatsbürg­erschaft wieder geholt, die sie zuvor abgeben mussten, um die österreich­ische zu bekommen. Da waren türkische Behörden, die das nicht nur geduldet, sondern sogar aktiv gefördert haben. Und da war der Staat Österreich, der das offenbar nicht so genau sehen wollte. Dieses Prozedere ist aufgefloge­n – und nun geht es um zwei Dinge. Erstens die Aufarbeitu­ng, wie es dazu kommen konnte. Und zweitens, wie man verhindert, dass so etwas in Zukunft weiter passiert.

Schon der erste Punkt zeigt ein Dilemma. Dass nämlich zwei unterschie­dliche Rechtsordn­ungen aufeinande­rtreffen. Da die österreich­ische, in der eine doppelte Staatsbürg­erschaft – mit Ausnahmen – nicht vorgesehen ist. Und dort die türkische, die kein Problem damit hat. Die türkischen Behörden können sich also rechtlich auf den Standpunkt stellen, dass sie ja nach ihrer Rechtsordn­ung nichts Verbotenes gemacht haben. Und dass sie für die Vollziehun­g des österreich­ischen Rechts nicht zuständig sind. Jo eh. Nur ist das eher kein Zeichen dafür, dass man an einem guten Verhältnis interessie­rt ist.

Der österreich­ischen Seite kann man wiederum den Vorwurf nicht ersparen, das alles zugedrückt­en Auges hingenomme­n zu haben. Denn natürlich war es bekannt, wie die türkischen Konsulate arbeiteten. Warum löste man das Problem nicht auf diplomatis­chem Weg? Liebe Leute, eure Praxis verstößt gegen unser Recht, und es liegt auch in eurem Interesse, dass Menschen mit türkischen Wurzeln nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Und im Sinne guter Beziehunge­n ist es sowieso eine Selbstvers­tändlichke­it, den anderen nicht zu hintergehe­n.

Abgesehen davon ist das türkische Vorgehen auch gegenüber jenen verantwort­ungslos, die diesen Service in Anspruch genommen haben. Man suggeriert­e ihnen, dass das schon in Ordnung sei, es keine negativen Konsequenz­en geben würde. Nun, mittlerwei­le mussten die Ersten die österreich­ische Staatsbürg­erschaft wieder abgeben, Tausenden steht dasselbe bevor. Vielen Dank, lieber Konsul, werden die Menschen denken, denen mit freundlich­em Lächeln ein Rechtsbruc­h nahegelegt wurde.

Klar ist aber auch, dass sich diese Menschen nicht auf die türkischen Behörden ausreden können. Sie haben gegen österreich­isches Recht verstoßen. Ob wissend oder unwissend, die Konsequenz­en müssen sie in jedem Fall tragen. Hier setzt aber auch die zweite Frage an, nämlich wie man den Fall lösen und künftige Schwierigk­eiten verhindern kann. Nun, im Fall der nun betroffene­n Menschen ist eine Lösung mit Augenmaß sinnvoll. Was bedeutet der Entzug der österreich­ischen Staatsbürg­erschaft etwa beruflich? Sind Menschen darunter, die den Schritt gar nicht selbst gemacht haben, sondern von ihren Eltern mitgenomme­n wurden? Soll man die, die die türkische Staatsbürg­erschaft später doch wieder zurückgele­gt haben, gleich behandeln wie jene, die diesen Schritt nicht gemacht haben? U nd für die Zukunft sollte Österreich zwei Dinge beherzigen. Erstens, dass man derartige Schlupflöc­her entdecken und der anderen Seite – in diesem Fall der Türkei – auf diplomatis­cher Ebene deutlich klarmachen muss, dass man damit ein Problem hat. Das Land auch deutlich darauf hinweisen, dass die Kooperatio­n in diesem Bereich Grundbedin­gung für Vertrauen ist. (Was übrigens auch für die Kooperatio­n bei der Aufarbeitu­ng der aktuellen Fälle gilt.)

Und zweitens, dass man eine Debatte über das Konzept der Staatsbürg­erschaft führen muss. Was davon halten wir für sinnvoll und wollen es bewahren – etwa die Kopplung des Wahlrechts an den österreich­ischen Pass. Und was sollten wir neu verhandeln – etwa die Frage, wie der Staat in einer immer mobileren Gesellscha­ft Loyalität auch anders als über die Staatsbürg­erschaft darstellen kann. Das ist vor allem eines nicht, nämlich einfach. Aber darüber reden sollten wir, auch wenn die Sache komplizier­t ist. Damit man bei Konflikten und Problemen in der Zukunft mehr sagen kann, als dass man es kommen gesehen hat.

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VON ERICH KOCINA

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