Die Presse

Wie die Trauer Frankreich eint – und spaltet

Gedenkfeie­rn. Rechtspopu­listin Le Pen und der Linke Melenchon´ stoßen auf Widerstand.

- Von unserem Korrespond­enten RUDOLF BALMER

„Alle gemeinsam gegen die Banalität des Bösen“, lautete der Titel eines Aufrufs der 1927 gegründete­n Internatio­nalen Liga gegen Rassismus und Antisemiti­smus (Licra) zu einer Mahnwache und Gedenkfeie­r für Mireille Knoll. Die 85-jährige Jüdin war am vergangene­n Freitag in ihrer Wohnung getötet worden. Die Staatsanwa­ltschaft geht explizit von einem antisemiti­schen Verbrechen aus. Zumindest einem der beiden verhaftete­n mutmaßlich­en Täter war bekannt, dass Knoll – seine Nachbarin und Vermieteri­n – während des Holocaust nur knapp der Deportieru­ng entgangen war. Die beiden Inhaftiert­en, die sich im Gefängnis kennengele­rnt haben, beschuldig­en sich seit ihrer Festnahme offenbar gegenseiti­g, den Tod ihres Opfers verursacht und dabei antisemiti­sche Beschimpfu­ngen gemacht zu haben.

Für den Dachverban­d der Jüdischen Institutio­nen Frankreich­s (Crif ), der die Kundgebung auf dem als Symbol der Einheit ausgewählt­en Place de la Nation im Osten der Hauptstadt organisier­t hat, bestand von Anfang an kein Zweifel am antisemiti­schen Charakter des Verbrechen­s. Denn Mireille Knoll ist kein Einzelfall. Rassistisc­he und im Speziellen antijü-

hatte am Mittwoch zwei Trauerfeie­rn zu bewältigen: Erst gedachte es in Anwesenhei­t von Präsident Macron des Polizisten Arnaud Beltrame, der bei einem Terroransc­hlag in Südfrankre­ich getötet worden war. Am Abend fand ein Trauermars­ch für die ermordete Holocaust-Überlebend­e Mireille Knoll statt. dische Aggression­en sind in Frankreich an der Tagesordnu­ng.

„Der Antisemiti­smus tötet, er hat immer getötet und wird weiterhin töten“, mahnte die Licra, die den Staatspräs­identen Emmanuel Macron, die Regierung und die gesamte Nation zur Solidaritä­t im Kampf gegen Rassismus und Judenfeind­lichkeit aufrief.

Der Crif ist dagegen selektiv. Sowohl Marine Le Pen und die Anhänger von ihrem rechtspopu­listischen Front National (FN) als auch der Linke Jean-Luc Melenchon´ von der Partei France insoumise (FI) sind laut dem Crif-Vorsitzend­en Francis Kalifat Personae non gratae, das heißt aus politische­n Gründen bei dem Trauermars­ch „nicht willkommen“. FN-Gründer Jean-Marie Le Pen war mehrfach wegen antisemiti­scher Äußerungen und Verharmlos­ung des Holocaust (als „Detail der Geschichte“) verurteilt worden. Melenchon´ wird vorgeworfe­n, zu einem Boykott Israels aufgerufen und die Existenzbe­rechtigung des israelisch­en Staates infrage gestellt zu haben.

Damit stellt der Crif-Chef Melen-´ chon und Le Pen im Kampf gegen den Rassismus auf dieselbe Stufe. Kalifat musste im Radio aber einräumen, er habe nicht behauptet, dass Melenchon´ wegen seiner Haltung zu Israel ein Antisemit sei. Bezeichnen­derweise sucht Marine Le Pen dagegen seit Langem in Israel den Kontakt mit ihr verwandt erscheinen­den Kräften der nationalis­tischen Rechten. Natürlich hofft sie so auf einen definitive­n Freispruch von den antisemiti­schen FN-Erbsünden, welche immer noch auf der extremen Rechten lasten. Das ist so durchsicht­ig, dass sie nicht mit dem Applaus der Antirassis­ten rechnen durfte.

Sowohl Melenchon´ wie Le Pen kündigten umgehend an, sie würden trotzdem an der Solidaritä­tsveransta­ltung teilnehmen – so wie beide am Mittwochvo­rmittag im Hof des Invalidend­oms an der Seite anderer Politiker und Amtsträger erschienen. Dort wurde vom Gendarmeri­eoberst Arnaud Beltrame Abschied genommen, der sich bei dem islamistis­chen Terroransc­hlag in Tr`ebes bei Carcassonn­e vor einer Woche für eine Geisel hatte eintausche­n lassen und dies mit dem Tod bezahlte.

Präsident Macron würdigte ihn als „Held der Nation“, als Vorbild und Symbol der Widerstand­skraft. Explizit erwähnte er in seiner Trauerrede auch Mireille Knoll. Macron warnte vor einer neuen Form des Islamismus, „diesem unterirdis­chen Islamismus, der sich über die sozialen Netzwerke ausbreitet“. Die Fernsehkam­eras schwenkten mehrfach in die Reihen der Anwesenden, um den Zuschauern Marine Le Pen und JeanLuc Melenchon´ zu zeigen und so die Einheit über Parteigren­zen hinweg zu unterstrei­chen.

Der Sohn der Ermordeten, Daniel Knoll, wünschte sich auch aus Anlass der Kundgebung gegen den Antisemiti­smus eine solche breite nationale Einheit: „Alle ohne Ausnahme sind dazu eingeladen. Der Crif macht Politik, ich öffne mein Herz“, sagte er vor der Gedenkfeie­r für seine Mutter.

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