Die Presse

May schlüpft ins Kostüm der „Eisernen Lady“

Großbritan­nien. In der Nervengift-Affäre und in der Russland-Politik hat die durch den Brexit und Parteiintr­igen angeschlag­ene Premiermin­isterin Theresa May an Statur gewonnen. Treibende Kraft ist Außenminis­ter Boris Johnson.

- VON THOMAS VIEREGGE Antisemiti­smus in Frankreich:

Der Schlagabta­usch zwischen Premier und Opposition­sführer am Mittwochmi­ttag ist ein fixes Ritual und oft ein rhetorisch­er Höhepunkt im Londoner Parlament. Seit Beginn der Nervengift-Affäre finden sich Theresa May und Jeremy Corbyn in vertauscht­en Rollen wieder: Die konservati­ve Premiermin­isterin und Ex-Innenminis­terin ist als Hardlineri­n, die den Westen und den Großteil der EU zu einer Solidaritä­tsaktion gegen Russland hinter sich geschart hat, neuerdings in der Offensive.

May hatte die verbündete­n Staats- und Regierungs­chefs in Washington und beim EU-Gipfel in Brüssel von der Bedrohung durch Moskau im Fall des Ex-Doppelagen­ten Sergej Skripal und inmitten des Cyber-Kriegs überzeugt. Angetriebe­n von Boris Johnson, ihrem schillernd­en Außenminis­ter, richtete die noch im Vorjahr schwer ramponiert­e Tory-Führerin jetzt eine scharfe Warnung an die Feinde des Königreich­s, allen voran an die Adresse Russlands, Nordkoreas, des Iran und islamistis­cher Gruppen. London werde mit allen Kapazitäte­n zurückschl­agen, lautete ihre Botschaft. Theresa May schlüpfte ins Kostüm der „Eisernen Lady“Margaret Thatcher.

Die martialisc­hen Töne sollten beweisen: Großbritan­nien befindet sich im Verteidigu­ngsmodus. Wie ernst es um den Zustand Sergej Skripals und seiner Tochter Julia bestellt ist, zeigte eine Aussage der Skripal-Nichte Viktoria in der BBC: Ihre Überlebens­chancen lägen bei einem Prozent.

Dabei galt May seit der Wahlschlap­pe im Vorjahr, Parteiintr­igen um den Brexit-Kurs und unglücklic­hen Auftritten – bei der Brandkatas­trophe im Grenfall Tower – als Premiermin­isterin auf Abruf. Angesichts des moderaten Fortschrit­ts bei den Brexit-Verhandlun­gen sind die Kritiker vorläufig verstummt.

Umgekehrt steht der altlinke Labour-Chef Corbyn plötzlich am Pranger. Die laxe Kritik an Moskau weckte den Argwohn der Briten gegen den deklariert­en Sozialiste­n. Obendrein drängte der Protest jüdischer Organisati­onen gegen antisemiti­sche Tendenzen in der Labour-Partei den Parteichef mit Sympathien für Hisbollah und Hamas ins Abseits, der sich noch vor wenigen Monaten angeschick­t hatte, bei etwaigen Neuwahlen die Macht in London zu übernehmen.

Johnson ist die treibende Kraft in der Eskalation mit Moskau. Sein Treffen mit seinem Kollegen Sergej Lawrow im Kreml im Dezember war eisig verlaufen, und nun ging er soweit, Wladimir Putin die Verantwort­ung für den Giftanschl­ag zuzuschrei­ben. Die Fußball-WM in Russland unter der Ägide Putins im Sommer rief bei ihm die Assoziatio­n der Olympische­n Spiele in Berlin 1936 unter Adolf Hitler hervor. Johnson, der eine Biografie Winston Churchills geschriebe­n hat, sieht sich in dessen Tradition.

Während in der Slowakei eine Debatte um die Ausweisung von Diplomaten tobt, gibt es in Österreich kein Anzeichen für einen Sinneswand­el. In einem Interview mit der BBC betonte Außenminis­terin Karin Kneissl die Rolle Österreich­s als Brückenbau­er im Kalten Krieg und erinnerte an das Treffen zwischen John F. Kennedy und Nikita Chruschtsc­how 1961 in Wien. Ähnliches schwebt Kanzler Sebastian Kurz vor. Trotz aller Misstöne zeigt sich Russland indessen offen für einen Gipfel zwischen Donald Trump und Putin – ohne eine Ortsangabe.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria