„Will Europa so sein wie Mr. Trump?“
EU/Großbritannien. Labour-Politikerin Gisela Stuart war Vorsitzende der Brexit-Kampagne Vote Leave. Eine weitere britische Teilnahme an Binnenmarkt und Zollunion der EU lehnt sie ab.
Die Presse: Wollen die Briten einen weichen oder einen harten Brexit, einen Brexit mit Freihandel oder einen Brexit mit geschlossenen Grenzen? Noch scheint nicht klar zu sein, wohin die Reise nach dem EU-Austritt am 29. März 2019 gehen soll. Gisela Stuart: Die Briten teilen sich in dieser Frage in drei Gruppen: 30 Prozent sind immer noch darüber entsetzt, dass das Referendum 2016 zu Gunsten des Brexit ausgegangen ist, und möchten am liebsten, dass sich gar nichts ändert. Am anderen Extrem befinden sich weitere 30 Prozent, die möglichst schnell die EU verlassen wollen, und das ohne Rücksicht auf die Konsequenzen. Und zu guter Letzt gibt es rund 40 Prozent in der Mitte, die für einen pragmatischen EU-Austritt sind.
Welche Art des Brexit wollen Sie? Der EU-Austritt muss drei Kriterien erfüllen. Erstens: Der Europäische Gerichtshof darf nicht mehr automatisch das letzte Wort haben. Zweitens: Großbritannien zahlt nicht mehr automatisch ins EU-Budget ein. Und drittens: Wir können wieder eigene Freihandelsabkommen schließen. Deshalb kann Großbritannien nicht mehr Teil des Binnenmarkts und der Zollunion der EU sein.
In der Labour-Partei will man die Teilnahme an der Zollunion allerdings nicht ausschließen. Sowohl meine Partei als auch die Tories haben Schwierigkeiten im Umgang mit dem Brexit. Bei Labour gibt es eine Kluft zwischen der urbanen Wählerschaft, die den Austritt ablehnt, und den Wählern in den traditionellen Hochburgen der Partei im Norden und Nordwesten, die für den Brexit votiert hatten. Wenn wir uns für den Verbleib in der EU einsetzen, gewinnen wir die Städte mit noch größeren Mehrheiten, verlieren aber im Gegenzug die Stammwähler.
Wie beurteilen Sie die Performance von Theresa May bei den Brexit-Verhandlungen? Alles geht erheblich langsamer als ich mir das vorgestellt habe. Die Premierministerin ist in einer schwierigen Lage, weil sie einerseits die pro- und antieuropäischen Fraktionen in ihrer Partei bei Laune halten muss, zugleich aber im dichten Nebel stochert. In der EU werden die großen Entscheidungen bekanntlich immer in der letzten Minute getroffen.
Sind Sie überrascht, dass die Europäer eine einheitliche Position zum Brexit gefunden haben? Ich habe mir zuletzt angesehen, welche Auswirkungen Zölle im Handel mit Großbritannien auf die deutsche Wirtschaft haben würden. Die Konsequenzen wären quer durch die Bank negativ. Den Europäern wird jetzt klar, dass es keinen Sinn macht, wenn beide Seiten geschwächt aus den Verhandlungen kommen.
Aber die Brexit-Voraussetzungen, die Sie vorhin genannt haben, implizieren doch, dass die Handelsbeziehung mit der EU nicht eng bleiben kann. Wenn unsere gemeinsame Ausgangslage null Prozent Zölle ist, wozu dann Zölle einführen? Bei derartigen Verhandlungen geht es immer darum, Zölle zu senken, und nicht darum, sie anzuheben. Die einzige Ausnahme, die mir bekannt ist, sind die USA unter Präsident Donald Trump. Und die Europäer wollen mit Sicherheit nicht so sein wie Mr. Trump.
Zölle sind aber das geringste Problem. Es geht vielmehr um gemeinsame Standards und Vorschriften. Wenn Großbritannien den Binnenmarkt verlässt und den EuGH nicht mehr anerkennt, sind Einschränkungen im Handel unvermeidbar. Wenn es in der Zukunft Friktionen geben sollte, dann wird man sich um sie kümmern müssen.
Lässt sich unter den von Ihnen genannten Austrittsbedingungen die Grenze zwischen Nordirland und Irland offen halten? Die EU misst mit zweierlei Maß. Wenn es um Nordirland geht, verhandelt London mit der EU und nicht direkt mit der Republik Irland. In der Causa Gibraltar sollen die Briten aber plötzlich mit Spanien verhandeln und nicht mit der EU. Es nutzt niemandem, wenn Nordirland wie ein Faustpfand behandelt wird. Meine Gesprächspartner in Belfast sagen mir, dass sich die Grenzfrage politisch lösen lässt, sofern alle dazu bereit sind. Ich vertraue darauf, dass auch Michel Barnier (der Chefverhandler der EU-Kommission, Anm.) diese Einschätzung teilt.
Politischer Wille schön und gut, es gibt aber auch EU-Gesetze, die eingehalten werden müssen. Seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 ist der Binnenmarkt weiterentwickelt worden. Befürchten Sie nicht, dass die Rechtslage Grenzkontrollen erzwingt? Das sind Probleme, die stufenweise in der Zukunft auf uns zukommen könnten. Wir werden sie dann einzeln lösen müssen, wenn es soweit ist. Kein britischer Premierminister kann einer erzwungenen Loslösung Nordirlands vom Rest des Vereinigten Königreichs zustimmen.
Sie waren Vorsitzende der Austrittskampagne Vote Leave, der Verbindungen zur Datenanalyse-Firma Cambridge Analytica und angebliche unerlaubte Wahlwerbung vorgeworfen werden. Was ist dran an den Vorwürfen? Soweit ich es sehe, sind die Vorwürfe bereits zweimal von der Wahlkommission behandelt worden. Außerdem hat die Kampagne für den Verbleib in der EU doppelt so viel Geld ausgegeben wie die Befürworter des Brexit. (*1955) ist eine aus Deutschland stammende LabourPolitikerin. 2002/03 war sie Mitglied des EU-Verfassungskonvents, 2016 setzte sie sich als Vorsitzende der Initiative „Vote Leave“für den Brexit ein.