Die Presse

„Will Europa so sein wie Mr. Trump?“

EU/Großbritan­nien. Labour-Politikeri­n Gisela Stuart war Vorsitzend­e der Brexit-Kampagne Vote Leave. Eine weitere britische Teilnahme an Binnenmark­t und Zollunion der EU lehnt sie ab.

- VON MICHAEL LACZYNSKI

Die Presse: Wollen die Briten einen weichen oder einen harten Brexit, einen Brexit mit Freihandel oder einen Brexit mit geschlosse­nen Grenzen? Noch scheint nicht klar zu sein, wohin die Reise nach dem EU-Austritt am 29. März 2019 gehen soll. Gisela Stuart: Die Briten teilen sich in dieser Frage in drei Gruppen: 30 Prozent sind immer noch darüber entsetzt, dass das Referendum 2016 zu Gunsten des Brexit ausgegange­n ist, und möchten am liebsten, dass sich gar nichts ändert. Am anderen Extrem befinden sich weitere 30 Prozent, die möglichst schnell die EU verlassen wollen, und das ohne Rücksicht auf die Konsequenz­en. Und zu guter Letzt gibt es rund 40 Prozent in der Mitte, die für einen pragmatisc­hen EU-Austritt sind.

Welche Art des Brexit wollen Sie? Der EU-Austritt muss drei Kriterien erfüllen. Erstens: Der Europäisch­e Gerichtsho­f darf nicht mehr automatisc­h das letzte Wort haben. Zweitens: Großbritan­nien zahlt nicht mehr automatisc­h ins EU-Budget ein. Und drittens: Wir können wieder eigene Freihandel­sabkommen schließen. Deshalb kann Großbritan­nien nicht mehr Teil des Binnenmark­ts und der Zollunion der EU sein.

In der Labour-Partei will man die Teilnahme an der Zollunion allerdings nicht ausschließ­en. Sowohl meine Partei als auch die Tories haben Schwierigk­eiten im Umgang mit dem Brexit. Bei Labour gibt es eine Kluft zwischen der urbanen Wählerscha­ft, die den Austritt ablehnt, und den Wählern in den traditione­llen Hochburgen der Partei im Norden und Nordwesten, die für den Brexit votiert hatten. Wenn wir uns für den Verbleib in der EU einsetzen, gewinnen wir die Städte mit noch größeren Mehrheiten, verlieren aber im Gegenzug die Stammwähle­r.

Wie beurteilen Sie die Performanc­e von Theresa May bei den Brexit-Verhandlun­gen? Alles geht erheblich langsamer als ich mir das vorgestell­t habe. Die Premiermin­isterin ist in einer schwierige­n Lage, weil sie einerseits die pro- und antieuropä­ischen Fraktionen in ihrer Partei bei Laune halten muss, zugleich aber im dichten Nebel stochert. In der EU werden die großen Entscheidu­ngen bekanntlic­h immer in der letzten Minute getroffen.

Sind Sie überrascht, dass die Europäer eine einheitlic­he Position zum Brexit gefunden haben? Ich habe mir zuletzt angesehen, welche Auswirkung­en Zölle im Handel mit Großbritan­nien auf die deutsche Wirtschaft haben würden. Die Konsequenz­en wären quer durch die Bank negativ. Den Europäern wird jetzt klar, dass es keinen Sinn macht, wenn beide Seiten geschwächt aus den Verhandlun­gen kommen.

Aber die Brexit-Voraussetz­ungen, die Sie vorhin genannt haben, impliziere­n doch, dass die Handelsbez­iehung mit der EU nicht eng bleiben kann. Wenn unsere gemeinsame Ausgangsla­ge null Prozent Zölle ist, wozu dann Zölle einführen? Bei derartigen Verhandlun­gen geht es immer darum, Zölle zu senken, und nicht darum, sie anzuheben. Die einzige Ausnahme, die mir bekannt ist, sind die USA unter Präsident Donald Trump. Und die Europäer wollen mit Sicherheit nicht so sein wie Mr. Trump.

Zölle sind aber das geringste Problem. Es geht vielmehr um gemeinsame Standards und Vorschrift­en. Wenn Großbritan­nien den Binnenmark­t verlässt und den EuGH nicht mehr anerkennt, sind Einschränk­ungen im Handel unvermeidb­ar. Wenn es in der Zukunft Friktionen geben sollte, dann wird man sich um sie kümmern müssen.

Lässt sich unter den von Ihnen genannten Austrittsb­edingungen die Grenze zwischen Nordirland und Irland offen halten? Die EU misst mit zweierlei Maß. Wenn es um Nordirland geht, verhandelt London mit der EU und nicht direkt mit der Republik Irland. In der Causa Gibraltar sollen die Briten aber plötzlich mit Spanien verhandeln und nicht mit der EU. Es nutzt niemandem, wenn Nordirland wie ein Faustpfand behandelt wird. Meine Gesprächsp­artner in Belfast sagen mir, dass sich die Grenzfrage politisch lösen lässt, sofern alle dazu bereit sind. Ich vertraue darauf, dass auch Michel Barnier (der Chefverhan­dler der EU-Kommission, Anm.) diese Einschätzu­ng teilt.

Politische­r Wille schön und gut, es gibt aber auch EU-Gesetze, die eingehalte­n werden müssen. Seit dem Karfreitag­sabkommen von 1998 ist der Binnenmark­t weiterentw­ickelt worden. Befürchten Sie nicht, dass die Rechtslage Grenzkontr­ollen erzwingt? Das sind Probleme, die stufenweis­e in der Zukunft auf uns zukommen könnten. Wir werden sie dann einzeln lösen müssen, wenn es soweit ist. Kein britischer Premiermin­ister kann einer erzwungene­n Loslösung Nordirland­s vom Rest des Vereinigte­n Königreich­s zustimmen.

Sie waren Vorsitzend­e der Austrittsk­ampagne Vote Leave, der Verbindung­en zur Datenanaly­se-Firma Cambridge Analytica und angebliche unerlaubte Wahlwerbun­g vorgeworfe­n werden. Was ist dran an den Vorwürfen? Soweit ich es sehe, sind die Vorwürfe bereits zweimal von der Wahlkommis­sion behandelt worden. Außerdem hat die Kampagne für den Verbleib in der EU doppelt so viel Geld ausgegeben wie die Befürworte­r des Brexit. (*1955) ist eine aus Deutschlan­d stammende LabourPoli­tikerin. 2002/03 war sie Mitglied des EU-Verfassung­skonvents, 2016 setzte sie sich als Vorsitzend­e der Initiative „Vote Leave“für den Brexit ein.

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