„Wachstum in Verfassung ist absurd“
Interview. Um den Standort zu stärken, brauche es keine „politischen Ansagen“, sondern konkrete Maßnahmen bei Steuern, Bildung und Arbeitsmarkt, sagt Wienerberger-Chef Scheuch.
Die Presse: Wienerberger hat jüngst bekannt gegeben, Teile des Geschäfts in Österreich verkaufen und sich künftig stärker auf Osteuropa konzentrieren zu wollen. Ist der Standort Österreich nicht mehr interessant? Heimo Scheuch: Nein. Der Standort Österreich ist für Wienerberger sehr interessant. Wir haben gesagt, dass wir uns von einzelnen Aktivitäten in Österreich trennen, weil sie strategisch für uns nicht so bedeutsam sind oder wir das Wachstum dort nicht sehen. Die dadurch frei werdenden Kapazitäten sollen in Osteuropa genutzt werden, wo es derzeit ein starkes Wachstum gibt. Grundsätzlich glauben wir aber sehr wohl an Österreich.
Sie erwähnten gerade das zurückgekehrte Wachstum in Osteuropa. Ist der Boom von der Zeit vor der Krise zurück? Bei weitem nicht. In den Boomjahren zwischen 2006 und 2009 gab es eine richtige Blase mit einer zum Teil enormen Verschuldung. Heute sind die Haushalte weitgehend entschuldet. Und die lokalen Regierungen haben auch das Problem der Frankenkredite gelöst. Wir haben jetzt ein solides Wachstum, das von einer zunehmenden Industrialisierung dieser Länder getrieben wird. Osteuropa ist zur Werkbank des Westens geworden. Das sichert den Aufschwung ab.
Allerdings gibt es in Osteuropa das Risiko der politischen Entwicklung. In vielen Ländern wird es derzeit autokratischer. Ist das ein Problem für einen Konzern wie Wienerberger? Unser Produkt wird überall lokal hergestellt und vertrieben. Dadurch sind wir in Finnland Finnen und in Amerika Amerikaner. Das gleiche gilt auch für Rumänien und Ungarn. Daher sind wir solchen Entwicklungen nicht so stark ausgesetzt. Aber man spürt derzeit natürlich weltweit einen gewissen Hang zum Nationalismus. Das ist vielfach eine Gegenbewegung zur Globalisierung. Und die Osteuropäer sind da in meinen Augen nicht schlimmer als andere. Man denke nur an den Slogan „America First“von US-Präsident Trump.
Zurück zum Standort Österreich. Den hat sich auch die türkisblaue Regierung auf die Fahnen geschrieben. Sie will unter anderem die Körperschaftsteuer senken. Eine gute Idee? Wenn man als Standort internatio- nal wettbewerbsfähig sein und Betriebe anlocken will, dann muss man das machen. Sonst gehen die Firmen in die Nachbarländer. Attraktive Steuersätze sind hier jedenfalls ein wichtiges Thema.
Ist Österreich derzeit zu teuer? Im Fall der Körperschaftssteuer sind wir derzeit nicht konkurrenzfähig. Hier anzupassen ist ein Muss.
Nicht entnommene Gewinne sollen niedriger besteuert werden. Würde Wienerberger aufgrund einer solchen Regelung wieder mehr in Österreich investieren? Wenn wir beispielsweise die Möglichkeit haben, in Forschung und Entwicklung aufgrund steuerlicher Bedingungen wieder mehr zu investieren, warum sollten wir das nicht tun? Allerdings sind wir gerade bei internationalen Fachkräften auch hinsichtlich der Lohnsteuer im starken Wettbewerb. Und hier ist ein Steuersatz von 50 Prozent mitunter abschreckend. Das Thema Steuern muss also breiter gesehen werden. Es geht nicht nur um den Satz der Körperschaftsteuer.
Die Regierung will auch Bürokratie reduzieren und großen In- frastrukturvorhaben Vorrang einräumen. Ist es das, was es braucht? Es braucht ganz konkrete Schritte und nicht nur langfristige politischer Ansagen. Der Ausbau der Infrastruktur – sowohl bei Mobilität als auch bei Telekommunikation – muss auf jeden Fall getätigt werden. Aber auch bei der Bildung oder dem Arbeitsmarkt braucht es Verbesserungen. Sonst überholen uns langsam Länder wie Frankreich, die wir bei diesem Thema immer belächelt haben. Unter der Regierung Macron sind die gar nicht mehr so weit hinten.
Trotz sinkender Arbeitslosigkeit ist die Zahl der Arbeitslosen in Österreich nach wie vor hoch. Dennoch klagen viele Unternehmen, dass sie nicht genügend Arbeitskräfte finden. Betrifft das auch Sie? Wir haben glücklicherweise keinen Engpass bei Arbeitskräften. Wenn ich mir allerdings die Betriebe ansehe, die unsere Produkte verwenden – also Dachdecker oder Installateure – dann gibt es hier große Probleme.
Wienerberger ist auf vielen Märkten aktiv. Insofern haben Sie einen guten Vergleich mit anderen Ländern. Wo hakt es in Österreich? Grundsätzlich geht es einmal darum, dass die Politik eine positive Stimmung erzeugt. Dann gibt es kurzfristig drängende Punkte: die Steuern, die Migration. Und dann muss man sich auch um die langfristigen Themen wie Bildung oder Reformen am Arbeitsmarkt kümmern. Bis das wirkt, dauert es oft Jahre. Und anfangs sind solche Maßnahmen oft unpopulär. So wie bei der Agenda 2010 von Gerhard Schröder. Er wurde dafür abgewählt, seine Nachfolgerin Angela Merkel profitiert nun bereits seit drei Amtsperioden davon.
Bringt das Staatsziel Wirtschaftswachstum in der Verfassung was? Nein. Ich halte es für absurd, wenn alles in die Verfassung geschrieben wird.
Die Regierung will, dass Wachstum wieder ebenbürtig mit dem Umweltschutz ist, der bereits in der Verfassung steht. Auch der Umweltschutz müsste nicht extra in der Verfassung als Ziel festgehalten sein. Umweltschutz sollte doch das Selbstverständnis einer hoch entwickelten Gesellschaft sein.
Sie erwähnten Steuern als drängendes Problem. Für viele Produkte gibt es ermäßigte Steuersätze. Nicht jedoch für den Wohnbau. Ist das ein Problem? Ja. Es gibt genügend Beispiele aus anderen Ländern – etwa Ungarn –, wo auf Bauleistungen und Baumaterialien die geringsten Steuersätze entfallen. Und das hat in diesen Ländern zu einem richtigen Investitionsboom geführt. Wenn diese niedrigen Steuersätze auch auf die Arbeitsleistungen anfallen, kann damit auch die Schwarzarbeit sehr effektiv bekämpft werden.
In Ballungszentren herrscht in ganz Europa Wohnungsmangel. Welche Rolle spielen die Baukosten eigentlich noch? Hauptgrund für die hohen Kosten sind natürlich die explosionsartig gestiegenen Grundstückspreise in den Städten. Allerdings steigen auch die Baukosten zunehmend an. Grund dafür ist jedoch weniger das Material, sondern die mangelnde Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften. Nach Jahren geringer Bauleistung ist derzeit die Nachfrage einfach größer als das Angebot, weshalb die Baufirmen an ihre Kapazitätsgrenzen kommen.