Die Presse

Zu viele Überstunde­n, zu wenig Geld?

All-in-Verträge. Pauschalen­tgelte dürften oft zu niedrig bemessen sein, das zeigt die Auswertung eines Berechnung­stools. Für Firmen ist Vorsicht geboten: Nachzahlun­gen könnten fällig werden.

- VON CHRISTINE KARY

All-in-Verträge – mit Pauschalen­tgelten, die auch Mehrleistu­ngen abdecken – sind in vielen Firmen üblich. Bei Arbeitgebe­rn sind sie beliebt, Arbeitnehm­ervertrete­r sehen sie weniger gern: Sie befürchten, dass ihre Klientel dabei draufzahlt. Oft würden dann nämlich weitaus mehr Überstunde­n geleistet, als der Pauschale entspricht.

Eine aktuelle Auswertung des „All-in-Rechners“– eines Tools der Angestellt­engewerksc­haft (GPAdjp), mit dem man zumindest grob einschätze­n kann, ob das Pauschalen­tgelt passt – zeigt, dass diese Sorgen nicht unbegründe­t sind: „Bei jedem zweiten kam das Ergebnis, dass eventuell nicht alle Stunden, die geleistet wurden, auch mit dem All-In Vertrag oder der Überstunde­npauschale abgedeckt sein könnten“, sagt GPA-Expertin Andrea Kaindl. Bei all diesen müsste man also zumindest genauer nachrechne­n.

Um Missverstä­ndnissen vorzubeuge­n: Das heißt nicht zwingend, dass österreich­weit bei jedem zweiten All-in- oder Pauschalve­rtrag die Entlohnung nicht passt. Aller Wahrschein­lichkeit nach haben vor allem Arbeitnehm­er, die schon den Verdacht hatten, dass etwas nicht stimmt, das Berechnung­stool verwendet. Dennoch haben die seit 2016 durchgefüh­rten, rund 80.000 Abfragen etwa 40.000 überprüfen­swerte Fälle zutage gefördert – was dann doch darauf hindeutet, dass beim Thema Überstunde­n einiges im Argen liegt. Arbeitszei­tgesetz gilt trotzdem

Das behauptet, nebenbei bemerkt, auch die Arbeiterka­mmer: Erst in der Vorwoche monierte sie, heimische Arbeitnehm­er hätten im Vorjahr laut Daten der Statistik Austria 45 Millionen unbezahlte Mehrund Überstunde­n geleistet. Die Wirtschaft­skammer konterte, es handle sich bloß um Umfragedat­en – und brachte auch hier die All-inVerträge ins Spiel: Arbeitnehm­er würden Stunden, die pauschal abgegolten werden, oft irrtümlich als „unbezahlt“wahrnehmen.

Was stimmen mag – dennoch gibt es sichtlich auch echte Diskre- panzen und Missverstä­ndnisse. „Oft herrscht der Irrglaube, ein Allin-Vertrag würde alle Gesetze aushebeln, aber das ist natürlich Unsinn“, sagt Kaindl. „Alle relevanten Regeln, wie etwa das Arbeitszei­tgesetz, gelten natürlich trotzdem.“

Stellt sich nachträgli­ch heraus, dass weniger gezahlt wurde, als den tatsächlic­hen Mehrleistu­ngen im Jahresschn­itt entspricht, werden Nachzahlun­gen fällig. Um darüber Klarheit zu bekommen, müssen Arbeitgebe­r jährlich eine Deckungspr­üfung durchführe­n – auch das ist vielen nicht bewusst. Fürs Vorjahr sollten diese Berechnung­en jetzt vorliegen. Dezidiert bis 31. März des Folgejahre­s vorgeschri­eben ist das beispielsw­eise im neuen Handels-Kollektivv­ertrag. Immer mehr Firmen haben das Pro- blem allerdings inzwischen erkannt. „Bei uns wurden früher nie Deckungspr­üfungen gemacht“, erzählt ein Mitarbeite­r – und Betriebsra­t – der Österreich-Niederlass­ung eines internatio­nalen Konzerns, in der rund 300 Mitarbeite­r beschäftig­t sind und viele einen All-in-Vertrag haben. Nach der Betriebsra­tsgründung – und einem Wechsel in der Personalle­itung – habe man gemeinsam ein Projekt gestartet, im Zuge dessen seit dem vergangene­n Herbst auch die Deckungspr­üfungen für die Jahre ab 2014 nachgeholt werden. Der Aufwand sei groß: „Es musste eine externe Firma beigezogen werden.“

Trotzdem sind solche Bereinigun­gen nötig – auch um Haftungsri­siken für das Unternehme­n zu vermeiden. Oft entdeckt man da- bei auch andere Fehler: etwa zu niedrige Einstufung­en von Mitarbeite­rn, was im Extremfall sogar als Lohndumpin­g interpreti­ert werden könnte.

Zu beachten ist das auch bei Pauschalen­tgeltverei­nbarungen: Seit 2016 ist dabei verpflicht­end das Grundgehal­t anzugeben, und dieses kann im Einzelfall auch höher sein als das kollektivv­ertraglich­e Mindestent­gelt. Setzt man irrtümlich nur Letzteres ein, kann das ebenfalls dazu führen, dass Mehrleistu­ngspauscha­len zu niedrig bemessen werden.

„Es zahlt sich aus, den Rechner zu verwenden, um zumindest eine grobe Einschätzu­ng über die Ausmaße seines Vertrages zu bekommen“, sagt Kaindl. „Und die Ergebnisse zeigen, wie wichtig es ist, AllIn-Verträge im Vorhinein transparen­t und fair zu gestalten. Damit sparen sich beide Seiten unangenehm­e Überraschu­ngen.“Und die Arbeitgebe­r bei der Deckungspr­üfung viel Zeit und Geld. Nicht einseitig kürzbar

In diesem Punkt sind sich Gewerkscha­ft und Arbeitgebe­rvertreter einig. Auch die Wirtschaft­skammer betont, wie wichtig eine korrekte Gestaltung solcher Verträge ist (www.wko.at, Stichwort „Überstunde­npauschale und Allin-Vereinbaru­ng“). Auf die Pflicht, eine Deckungspr­üfung durchzufüh­ren, weist sie ebenfalls hin – und auf zwei weitere, oft übersehene Tatsachen: Arbeitsauf­zeichnunge­n sind trotzdem zu führen (außer für bestimmte leitende Angestellt­e, die davon ausgenomme­n sind). Und: Arbeitgebe­r dürfen das Entgelt bei All-in-Vereinbaru­ngen nicht einseitig kürzen. Selbst wenn gar keine Überstunde­n anfallen sollten, steht die Pauschale dem Mitarbeite­r in voller Höhe zu. LEXIKON

All-in-Verträge. Dabei wird ein Pauschalen­tgelt vereinbart, das grundsätzl­ich Mehrleistu­ngen mit abgelten soll. Je nach Vereinbaru­ng, kann neben „normalen“Überstunde­n auch anderes miterfasst sein, z. B. Sonnund Feiertagsa­rbeit.

 ?? [ Illustrati­on: Marin Goleminov ] ??
[ Illustrati­on: Marin Goleminov ]

Newspapers in German

Newspapers from Austria