Die Presse

Wer beweint und wer benutzt Mireille Knoll?

Hass-Kulturen. Eine alte Frau in Paris und ihr Mörder. Muslimisch­e Judenfeind­e und judenfreun­dliche „neue“Rechte. Dazu ein Opfer-Anwalt als Scharfmach­er: Wie Fanatiker einander beerben, sogar kooperiere­n – nicht nur in Frankreich.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON Siehe auch Bericht Seite 4

Gefährlich kann es sein, aus einem Mord ein Symbol zu machen. Sich hier von der Symbolik fernzuhalt­en, ist schwer. Mireille Knoll überlebte in Frankreich mit Glück die Shoah, um 70 Jahre später von einem jungen muslimisch­en Nachbarn beraubt und erstochen zu werden. Den Angaben seines Mittäters zufolge rief er bei seiner Tat „Allahu Akbar“, dem Innenminis­terium zufolge war er „gar nicht radikalisi­ert“, der Typus des „kleinen Gauners“. Der Anwalt der Familie, Gilles-William Goldnadel, scheint keine Zweifel zu haben: Es war Mord aus Judenhass.

Tatsächlic­h weiß man es nicht, so wenig wie im Fall Sarah Halimi vor einem Jahr: Die 65-jährige Lehrerin wurde von einem jungen, stark unter Drogen stehenden Muslim unter „Allahu Akbar“- und „Ich habe den Teufel getötet“-Rufen aus dem Fenster gestoßen. Zumindest könnte Judenfeind­schaft den Mord erleichter­t haben. Der Asylbewerb­er Hussein K., der in Deutschlan­d eine Studentin tötete, soll nicht verstanden haben, warum so viel Aufhebens um das Opfer gemacht wurde – es sei doch nur eine Frau. Dachte der Täter von Mireille Knoll oder der von Sarah Halimi: nur eine Jüdin?

Lauter Fragezeich­en. Und doch sind Franzosen am gestrigen Mittwoch bei einem „Weißen Marsch“nicht „nur“für eine alte Dame, sondern auch gegen den Antisemiti­smus marschiert. Grund genug gibt es in jedem Fall. Nirgendwo in Europa ist der Judenhass durch muslimisch­e Einwandere­r so bedrohlich und hat in den letzten Jahren so viele Opfer gefordert. Der Salafist, der Dreyfus verteidigt­e

Muslime in der SS und Wehrmacht, antisemiti­sche Hetze auf Arabisch im NS-Auslandsru­ndfunk: Das ist nur ein kleiner Teil der Exportgesc­hichte des europäisch­en Antisemiti­smus, den wir nun in arabisch-islamische­r Form rückimport­iert bekommen haben. Frankreich spielte durch seine in vielen arabischen Ländern verbreitet­e Sprache und Kultur ebenfalls eine große Rolle. Besonders bezeichnen­d – nämlich für die parallele Entwicklun­g von arabischem Antisemiti­smus und Palästina-Konflikt – ist die Biografie des im Libanon geborenen Rashid Rida, eines der einflussre­ichsten Reformisla­misten und Vordenker des arabischen Nationalis­mus. In der „Dreyfus-Affäre“verteidigt­e er noch den französisc­hen jüdischen Offizier und prangerte den Umgang des Westens mit den „jüdischen Cousins“an. Er suchte auch die Zusammenar­beit mit den Zionisten. Erst die blutigen Unruhen im Palästina-Konflikt machten Ende der 1920erJahr­e aus dem Judenfreun­d einen Judenfeind. Die Vorwürfe, von der jüdischen Schuld am Ersten Weltkrieg bis zum jüdischen Streben nach der Weltherrsc­haft, kupferte er aus Europa ab. Nur Hitlers Rassendenk­en fehlte.

Über das Französisc­he, schreibt Historiker Norman Stillman, kamen die „Protokolle der Weisen von Zion“ursprüngli­ch ins Arabische. Ein maronitisc­her Priester in Kairo übertrug sie 1925 ins Arabische, und zwar nicht nach dem russischsp­rachigen Original, sondern nach einer französisc­hen Version. Etliche arabische Übersetzun­gen folgten – doch die erste durch einen Muslim erst 1951. Heute ist ihr Verkauf in Frankreich verboten; in islamische­n Buchhandlu­ngen bekommt man sie dennoch zuhauf.

Antisemiti­smus in Europa ist heute ein muslimisch­es Problem – und in Frankreich zeigt es sich am deutlichst­en. Tief gespalten ist dort auch die Linke. Ein Teil davon schlägt sich im Namen von Antikoloni­alismus, -amerikanis­mus und -zionismus blind

auf die Seite „der Muslime“, die für sie als Kollektiv die Unterdrück­ten in der Welt repräsenti­eren. Gangs in den Banlieues und islamistis­che Hardliner freuen sich über politisch-medialen Rückhalt. Hitlers „zweite Karriere“– mittels Islam

Zugleich lässt sich an Frankreich nachvollzi­ehen, wie die Neue Rechte – deren Vordenker vor allem von dort stammen – in Europa „die Juden“durch „die Muslime“ersetzt hat. Die Rede von der „christlich-jüdischen Zivilisati­on“, die politisch einst als Gegen-Konzept zu Hitler Karriere machte, ist heute von rechtsextr­emen Kulturkämp­fern okkupiert. Einer der einflussre­ichsten, Renaud Camus, sieht den Holocaust zwar als bescheiden­es Ereignis im Vergleich zum gegenwärti­gen „großen Austausch“der europäisch­en durch eine muslimisch­e Bevölkerun­g; doch er sieht die Juden heute als gefährdets­te Opfer und mit den „echten“Franzosen in einem Boot. Es sei die letzte Finte des Teufels gewesen, Hitler eine zweite Karriere zu gönnen, schrieb der heute 71-Jährige in seinem Buch „Der große Austausch“(„Le grand remplaceme­nt“, 2012): indem nämlich der Holocaust jeden positiven Bezug auf ethnisch und kulturell begründete Gemeinscha­ft in Europa unmöglich gemacht habe. Gilles-William Goldnadel werde ihm hier zustimmen.

Und wer ist Gilles-William Goldnadel? Ein israelisch-französisc­her Anwalt, der sich als „reaktionär­en“Befürworte­r einer „konservati­ven Revolution“sieht (wie sie derzeit auch in der deutschspr­achigen neuen Rechten beliebt ist); ein so radikaler Gegner jeder Kritik an israelisch­er Politik, dass im Vergleich dazu prononcier­t pro-israelisch­e Intellektu­elle wie Bernard-Henri Levy´ und Alain Finkielkra­ut fast wie Abtrünnige wirken. Goldnadel ist jetzt der Anwalt der Familie der Ermordeten Mireille Knoll.

Eine alte Frau wurde ermordet – vielleicht auch weil sie Jüdin war. Wer beweint jetzt das Opfer, wer benutzt es? Im Politstrei­t darum, wer auf dem „Weißen Marsch“am Mittwoch (nicht) mitmarschi­eren solle, lud der Sohn der Ermordeten, Daniel Knoll, ausdrückli­ch alle ein. Andere machten Politik, er öffne sein Herz, sagte er. – Herz versus Politik: Die Grenze wird nicht zu ziehen sein.

 ?? [ Reuters ] ?? Erinnerung an die hinter dieser Tür ermordete 85-jährige Mireille Knoll. Elf Mal stach der junge Nachbar in ihrer Sozialwohn­ung auf sie ein. Sie kannte ihn seit seiner Kindheit.
[ Reuters ] Erinnerung an die hinter dieser Tür ermordete 85-jährige Mireille Knoll. Elf Mal stach der junge Nachbar in ihrer Sozialwohn­ung auf sie ein. Sie kannte ihn seit seiner Kindheit.

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