Es muss nicht immer Drehleier sein: Erstmals setzen die Decemberists Synthesizer ein. Das klingt fies, aber schön.
Pop.
Wie oft noch wollen wir Drehleier und Banjo bemühen?“, fragten sich die Decemberists nach 17 Jahren gemeinsamen Musizierens. 2001 in Portland, Oregon gegründet, hat diese Band mit großer Lust Höhen und Tiefen erlebt. Colin Meloy, ein Bandleader der Marke freundlicher Diktator, drängte öfters in krude Richtungen. Einmal waren es die frühen Genesis, dann wieder Hüsker Dü, einmal Gentle Giant, dann gar Black Sabbath, die das Vorbild für die oft ins Barocke ausufernde Komponierkunst Meloys abgaben.
Nach dem fantastischen Majorlabel-Debüt „The Crane Wife“(2006) wusste die Band nicht so recht, wie sie mit den neuen Erfolgskoordinaten wie „Airplay“umgehen sollte. So legte sie eine sperrige Folkoper nach. Eine Saison später ging Meloy der Knopf auf, er spürte Lust, kurze, wiedererkennbare Lieder zu schreiben. Das führte zum Triumph: Das Album „The King Is Dead“raste 2011 auf Platz eins der US-Hitparade. Dann stockte der Fluss der attraktiven Melodien wieder. Doch jetzt haben sich die Decemberists ein weiteres Mal neu erfunden: In der heiklen Phase ihrer jüngsten Selbstzweifel entdeckten sie ein sperriges, angestaubtes Gerät in einer Ecke ihrer Instrumentenkammer. Es war ein Synthesizer. „Unsere Idee war“, sagt Meloy, „dass wir wieder einmal ins kalte Wasser springen, um gezwungen zu sein, ungewöhnliche Entscheidungen zu treffen.“
So gingen sie für ihr achtes Album, „I’ll Be Your Girl“, in ein neues Studio, mit einem neuen Produzenten: John Congleton, der zuletzt St. Vincents erfolgreiches „Masseduction“betreut hatte, ein idealer Nerd. Dieser Mann kennt die Historie der Popmusik genauso gut wie die Decemberists; er hat Legenden wie die Sparks und David Byrne mit jüngeren Kräften wie Franz Ferdinand und St. Vincent zusammengebracht. Mit den Decemberists hat er nun das geschaffen, was Bandleader Meloy eine „Apocalyptic Dance Party“nennt: Herrlich opulente Synthieklänge peitschen die Folkmelodien von „Cutting Stone“und „Served“unerbittlich auf die Tanzfläche. Das Melos von Meloys Stimme entwickelt in diesen für alte Fans ungewohnten musikalischen Arrangements erstaunliche Sogkraft. Denn trotz der meist tänzelnden Grundhaltung steigt die melancholische Essenz in den Songs letztlich doch hoch. „Tripping Along“ist so ein verzweifeltes Liebeslied, in dem es der Protagonist gar nicht fassen kann, in welchem Strudel der Leidenschaft er gefangen ist. Liebes- und Todessehnsucht scheinen hier eines zu sein.
Besonders fatal ergeht es den traurigen Helden im über acht Minuten langen „Rusalka, Rusalka/Wild Rushes“, das – wie Dvorˇaks´ Oper „Rusalka“– auf dem slawischen Mythos von Nixen beruht, die am Flussgrund leben, aber nachts an Land gehen und sich unters Volk mischen, um Männer zu betören und in einen nassen Tod zu locken. Zwei Opfer führt Meloy vor: Der eine Bursche ist naiv und vom bösen Schicksal überrascht, der andere nimmt sein Fatum willig an. „Come down, little darling and lay at my breast“, lockt die Nixe: „For deeper the water, the sweeter the sin.“
Ein anderes Highlight ist „Sucker’s Prayer“, eine ein wenig an The Band erinnernde Ode an den Feigling: „I want to love somebody, but I don’t know how“, klagt der Antiheld. Dazu heulen und zwitschern die Gitarren, als wären die Siebzigerjahre nie zu Ende gegangen. Dafür, dass es nicht zu dramatisch wird, sorgt der Glam-Rock-Stampfer „We All Die Young“, der von der Simplizität her auch von Gary Glitter stammen könnte. Der Songtext ist allerdings zwei Leistungsstufen darüber: Meloy verwebt Überliefertes aus der Sezessionskrieg-Mythologie mit Fantasien vorzeitiger Selbstauflösung. Dem Bodenlosen solcher Hirngespinste steht die Erdigkeit der Grooves gegenüber. Das paradoxe Motto dieser Liedkunst wird evident: Je schauriger die Szenarien, umso fröhlicher wird das Tanzbein gelockt. Fies, aber schön.