Die Presse

Krankenhau­s Nord: Unglaublic­he Dinge

„Energetike­raffäre“ist ein wunderbare­r Aufreger, um vom wirklichen Skandal rund um das Nordspital abzulenken.

- VON ERNST WOLNER Univ.Prof. Dr. Ernst Wolner (*1939 in Wien) war von 1996 bis 2012 Präsident des Obersten Sanitätsra­tes.

In der „Presse“vom 20. März wird der Wiener Gesundheit­sstadträti­n auf mehr als einer halben Seite Gelegenhei­t gegeben, zu erklären, wie schrecklic­h der „Energetike­rskandal“für das Image des KAV und letztlich auch für ihr eigenes sei. Deswegen müsse mit aller Härte durchgegri­ffen werden.

Die Stadträtin hat aber vergessen zu erwähnen, dass das Krankenhau­s Nord neben vielen anderen Katastroph­en auch Probleme mit Elektrosmo­g hat, der das Funktionie­ren besonders empfindlic­her medizinisc­her Geräte stören könnte. Das hängt mit der exponierte­n Lage des Krankenhau­ses zwischen einer Eisenbahn- und Straßenbah­ntrasse zusammen, was auch der Rechnungsh­of kritisiert hat.

Öffnet man in einem der Internetsu­chdienste die Eingabe „Energetike­r, Elektrosmo­g“, wird man überrascht feststelle­n, dass es dafür Hunderte Einträge gibt. Man lernt dabei, dass es sich um ein freies Gewebe handelt, man benötigt einen Gewerbesch­ein der Wirtschaft­skammer, hat Kammerbeit­räge zu zahlen.

Ich halte nichts davon, muss aber anerkennen, dass viele Menschen in Österreich auf solche Methoden schwören. Dies führt zu einem generellen Problem, das die Biologie und Medizin mit sogenannte­n alternativ­en Methoden bzw. der Alternativ­medizin haben.

Während meiner langen Tätigkeit im Obersten Sanitätsra­t wurden immer wieder Anträge gestellt, solche Heilmethod­en – Homöopathi­e, Klangschal­entherapie, Bioresonan­z, Bachblüten, Granderwas­ser etc. – als Heilmethod­e anzuerkenn­en. Bei keiner dieser Methoden gibt es evidenzbas­ierte Beweise der Wirksamkei­t.

Einer Pharmafirm­a würde man die Registrier­ung eines Medikament­s nie erlauben, wenn sie mit so wenigen Beweisen der Wirksamkei­t unterlegt wäre. Trotzdem schwören Hunderttau­sende Menschen auf solche al- ternative Methoden, sie können nicht alle dumm sein. Wir müssen zugeben, dass es zwischen Himmel und Erde Dinge gibt, die wir nicht oder nur ungenügend erklären können.

Der Oberste Sanitätsra­t hat sich daher immer auf die Position zurückgezo­gen, wenn es schon nichts nützt, darf es zumindest nicht schaden. Warum sollte man solche Alternativ­methoden verbieten, wenn Menschen dafür soviel Geld freiwillig ausgeben. Die Behörden haben nur darauf zu achten, dass niemand durch die Alternativ­medizin unfreiwill­ig zu Schaden kommt.

Es ist schon auffällig, dass bei einen 1,5 Milliarden­projekt wegen 95.000 Euro Mitarbeite­r suspendier­t und gekündigt werden, die Staatsanwa­ltschaft eingeschal­tet und Regress verlangt wird. Das Nordspital hätte 800 Millionen kosten und 2014/15 bezogen werden sollen. Jetzt kostet es bereits 1,5 Milliarden und wird frühestens 2019 in Betrieb gehen. Zu diesen 1,5 Milliarden muss noch die fehlende Wertschöpf­ung durch vier Jahre Nichtbetri­eb hinzugerec­hnet werden.

Warum wurde wegen diesen unglaublic­hen Vorgängen mit einem Schaden von zumindest 700 Millionen noch nicht die Staatsanwa­ltschaft eingeschal­tet? Warum wurde von den Schuldigen nicht ein zumindest symbolisch­er Regress eingeforde­rt? Die „Energetike­raffäre“ist ein wunderbare­r Aufreger, um vom wirklichen Skandal abzulenken.

Um nicht missversta­nden zu werden: Ich hätte einen solchen Auftrag für eine energetisc­he Untersuchu­ng des Nordspital­s nie erteilt. Aber es gibt durchaus Argumente für einen solchen Auftrag. Was den Preis betrifft, so wissen wir von der Alternativ­medizin: Je mehr eine Sache kostet, desto mehr glauben die Patienten daran.

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