Die Presse

„Nebellunge­ntreue“ÖVP

Die Volksparte­i tritt Gesundheit und Wohlbefind­en der Österreich­er ebenso wie Vernunft und Rechtssich­erheit mit Füßen.

- VON CHRISTIAN GATTRINGER Christian Gattringer ist Angestellt­er in der Privatwirt­schaft in Wien.

Am 1. Mai beginnt zwar nicht die lang erwartete Ära der rauchfreie­n Luft in der österreich­ischen Gastronomi­e, dafür endet meine 15-jährige Laufbahn als ÖVP-Wähler.

Eine Partei, die nicht nur Gesundheit und Wohlbefind­en der Österreich­er, sondern auch Vernunft und Rechtssich­erheit mit Füßen tritt, kann ich nicht weiter mit meiner Stimme unterstütz­en – ganz zu schweigen von einer „Wirtschaft­spartei“, die Wettbewerb­sverzerrun­gen einzementi­ert, und einer „Familienpa­rtei“, die sich dafür einsetzt, dass Kinder und Jugendlich­e auch weiterhin Zigaretten­rauch als fixen Bestandtei­l geselligen Beisammens­eins kennenlern­en.

Freilich haben die nebellunge­ntreuen Vertreter der Volksparte­i im Koalitions­pakt einen praktische­n Fetzen, um sich unter öffentlich­em Bedauern die Hände in Unschuld abzuwische­n. Dass der Fetzen in allen anderen zum Thema Nichtrauch­erschutz vereinbart­en Punkten (keine Minderjähr­igen im Tschickber­eich, Sonderabga­ben für Plätze im Raucherber­eich) schon löchriger ist als eine Tumorlunge, tut da nichts weiter zur Sache. Und als Christlich­sozialer kennt man ja Pontius Pilatus als moralische­n Sieger des Neuen Testaments.

Vielleicht sollte ich weniger verbittert als vielmehr dankbar sein. Immerhin nehmen mir ÖVP und FPÖ durch ihre parlamenta­rische Hauruckakt­ion ja nicht für einen einzigen Tag die viel gepriesene Wahlfreihe­it.

Anstatt mit erträglich­er Luft zwangsbegl­ückt zu werden, dürfen ich und die übrigen drei nicht nikotinabh­ängigen Viertel der Österreich­er weiterhin wählen, ob wir das Gift der Suchtler pur (Raucherlok­al) oder leicht verdünnt („abgetrennt­er“Nichtrauch­erbereich) einatmen wollen.

Alternativ können wir auch langwierig­e Recherchen und Umwege auf uns nehmen, um ein komplett rauchfreie­s Lokal zu finden – und dann versuchen, unsere süchtigen Freunde und Kollegen zu überzeugen, dort auf ein paar Bier zu gehen statt in der Rauchkuchl ums Eck. Danke! Österreich bleibt damit der stinkende Aschenbech­er Europas – ein Land, in dem sich der normale Mensch der „Freiheit“der Süchtigen anpassen muss, sich und ihre Umwelt zu vergiften. Irgendwann wird freilich auch in Österreich die Moderne Einzug halten. Die rauchfreie Gastronomi­e wird dann Zustimmung­sraten von 90 Prozent verzeichne­n wie schon seit Jahren bei unseren Nachbarn in Bayern.

Ich und viele andere Menschen werden sich freilich auch dann noch erinnern, welche Krebskanzl­erpartei ihnen diesen Fortschrit­t im Jahr 2018 so kurz vor dem Ziel verwehrt hat.

Nahtlos dazu passt, dass die Volksparte­i anscheinen­d sämtliche Reformvers­prechen des Wahlkampfs über Bord geworfen hat. Von der Abschaffun­g der kalten Progressio­n im Steuersyst­em ist zum Beispiel plötzlich keine Rede mehr. Dafür soll der Bürger „entlastet“werden, indem ab nächstem Jahr die Steuern auf Zigaretten nicht mehr steigen werden.

Welche Clownparti­e habe ich da nur gewählt?

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