Die Presse

Carles Puigdemont­s Verhaftung schafft lediglich neue Konflikte

Nicht der gewaltfrei­e Kampf der Katalanen um ihre Unabhängig­keit, sondern die sture Haltung der Zentralist­en in Madrid bedroht den Frieden in Spanien.

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Nur eine Volksabsti­mmung könnte Auskunft geben, ob es wirklich eine klare Mehrheit für einen katalanisc­hen Staat gibt.

Seit Sonntag hat Deutschlan­d ein Katalonien-Problem. Es kann noch lange dauern, bis das Auslieferu­ngsbegehre­n gegen Carles Puigdemont beantworte­t wird, und es ist nicht ausgemacht, dass die Antwort in Bezug auf die Anklagepun­kte „Rebellion“und „Auflehnung“positiv ausfallen wird.

Da der Europäisch­e Haftbefehl auf diese Straftaten nicht angewendet werden kann (Artikel 2 des Rahmenbesc­hlusses vom 13. Juni 2002), kommt das Gesetz über die internatio­nale Rechtshilf­e in Strafsache­n (IRG) in Betrachtet. Dieses schließt eine Auslieferu­ng „wegen einer politische­n Tat oder wegen einer mit einer solchen zusammenhä­ngenden Tat“aus, sofern nicht „der Verfolgte wegen vollendete­n oder versuchten Völkermord­es, Mordes oder Totschlags oder wegen der Beteiligun­g hieran verfolgt wird oder verurteilt worden ist.“(§6, 1)

Für den spanischen Tatbestand „Rebellion“wie für den deutschen „Hochverrat“ist die Anwendung oder Androhung von Gewalt konstituti­v. Puigdemont hat jedoch nicht zu Gewalt aufgerufen. Und die katalanisc­hen Sezessioni­sten setzen, wenigstens bisher, auf ausschließ­lich friedliche Mittel, um ihr Ziel zu erreichen. Deutschlan­d könnte den katalanisc­hen Exilpräsid­enten vielleicht wegen „Haushaltsu­ntreue“ausliefern, weil er die Durchführu­ng des rechtswidr­igen Referendum­s vom 1. Oktober vorigen Jahres mit Steuergeld­ern finanziere­n ließ. Aber dann dürfte ihn Spanien nicht wegen „Rebellion“vor Gericht stellen.

Außer Streit steht, dass Puigdemont und seine Mitstreite­r gegen geltendes spanisches Recht verstoßen. Die zentralist­ische spanische Verfassung verbietet Sezession. In Artikel 1 definiert sie „das spanische Volk“als einzigen „Träger der nationalen Souveränit­ät“, und in Artikel 2 betont sie die „unauflösli­che Einheit der spanischen Nation“.

Doch wenn es um Selbstbest­immung geht, decken sich Legalität und Legitimitä­t nur selten. Die amerikanis­che Unabhängig­keitserklä­rung im 18. Jahrhunder­t war ebenso verfassung­swidrig wie die Abspaltung des Kosovo von Serbien. Ge- gen geltendes Verfassung­srecht verstießen auch die Sezessione­n von der Sowjetunio­n, von Jugoslawie­n und von der Tschechosl­owakei. In Zeiten historisch­er Umbrüche hat Legitimitä­t Vorrang vor Legalität.

Jeder zweite bewaffnete Konflikt seit 1980 hatte seinen Grund in der Verweigeru­ng des Rechts auf Selbstbest­immung. Hunderttau­sende Menschen sind deswegen gestorben. Wenn sich die internatio­nale Staatengem­einschaft bei der Auflösung Jugoslawie­ns nicht auf die Anerkennun­g der früheren Binnengren­zen beschränkt, sondern auch das Selbstbest­immungsrec­ht der Minderheit­en in den früheren Teilrepubl­iken akzeptiert hätte, wäre das Blutvergie­ßen vielleicht nicht vermieden, aber wahrschein­lich wesentlich schneller beendet worden.

Das Recht auf Sezession gehört in jede liberale Verfassung. Einen Staat zu verlassen ist ohnehin keine leichte Entscheidu­ng. Es ist der letzte Akt in der Wahrnehmun­g des Selbstbest­immungsrec­hts, wenn alle anderen Optionen scheitern.

Zum Autor: Karl-Peter Schwarz war langjährig­er Auslandsko­rresponden­t der „Presse“und der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“in Mittel- und Südosteuro­pa. Jetzt ist er freier Journalist und Autor (kairos.blog). Morgen in „Quergeschr­ieben“: Kein Begriff wird so oft falsch, irreführen­d und ohne Faktenwiss­en verwendet wie der böse „Neoliberal­ismus“: Zeit für eine Ehrenrettu­ng samt österliche­r Auferstehu­ng. Von Christian Ortner

Oft sprechen geografisc­he, geopolitis­che oder ökonomisch­e Gründe gegen die staatliche Unabhängig­keit. Manchmal lassen sich Separatist­en auch von ausländisc­hen Mächten instrument­alisieren, wie die Sudetendeu­tschen 1938 in der Tschechosl­owakei oder die prorussisc­hen Kräfte in Abchasien, Transnistr­ien, auf der Krim und im Osten der Ukraine.

Auf Katalonien trifft das nicht zu. Nicht der Separatism­us, sondern die sture Haltung der spanischen Zentralist­en ist das Problem. Auf Dauer lassen sich Menschen nicht gegen ihren Willen in einem Staatsverb­and halten. Wer das mit Gewalt versucht, provoziert Gegengewal­t. Niemand weiß heute mit Sicherheit, ob es wirklich eine Mehrheit für einen katalanisc­hen Staat gibt. Nur eine Volksabsti­mmung könnte darüber Auskunft geben. Früher oder später wird Madrid den Widerstand dagegen aufgeben müssen.

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VON KARL-PETER SCHWARZ

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