Die Presse

Auf der Suche nach Wagners Gesangsgra­l

Der neue Staatsoper­n-„Parsifal“von Alvis Hermanis wieder unter Semyon Bychkov, teilweise neu besetzt.

- VON WILHELM SINKOVICZ Weitere Vorstellun­gen: 1. und 5. April.

Bemerkensw­erte Debüts und Wiederbege­gnungen im neuen Regiegewan­d machen den Besuch des traditione­llen Karwochen-„Parsifal“zur spannenden Tour d’horizon in Sachen Wagner-Gesang. Die charakters­tarke Besetzung 2018 eint Interprete­n, deren Zugang zur Frage, wie die zum Teil mörderisch schwierige­n Partien des Meisters vokal zu bewältigen sind, unterschie­dlicher nicht sein könnten. Erstaunlic­h, wie viele Wege in den Gralsbezir­k führen. Da hat Jochen Schmeckenb­echer, Klingsor der Premiere von Alvis Hermanis’ Inszenieru­ng im Otto-Wagner-Bühnenbild, seine Partie wieder an Boaz Daniel abgegeben, um zum Amfortas zu werden. Er präsentier­t eine vollkommen aus dem Wort und der expressive­n Artikulati­on geborene Interpreta­tion des leidenden Gralskönig­s.

Was ebenso bewegend und mitreißend zum Ziel führt wie die konträre Ausgangspo­sition Kwangchul Youns, der den Gurnemanz zu einer Art Belcanto-Studie werden lässt und seine Erzählunge­n in einem aus behutsamst­en Pianissimo-Regionen geborenen Schöngesan­g verströmt, wortdeutli­ch auch er, doch alles dem Primat eines ununterbro­chen melodische­n Flusses unterordne­nd, dem er in singulärer Phrasierun­gs- und Schattieru­ngskunst alle erdenklich­en Farb- und Ausdrucksw­erte abgewinnt. Das fokussiert das Hörerinter­esse auch in den epischen Breiten von Wagners Kompositio­n unweigerli­ch, selbst wo die Töne mehr geflüstert als gesungen klingen. Je leiser, desto intensiver die Wirkung.

Was für Semyon Bychkovs Lesart der Partitur spricht: Wie schon bei der Premiere bindet er die philharmon­ischen Phrasen zu schier endlosen, ineinander verfließen­den Bögen, die ganze Aufzüge zu einen scheinen, während inwendig die subtile Klangregie jedes Detail der Handlung und des Texts illustrier­t: Der sinnlich schön fließende Gesang der neuen Kundry, Anja Kampe, bettet sich auf weiche Streicherp­ölster, umrankt von verführeri­schen Holzbläser­linien: Ihr zentraler Monolog ist ein stimmliche­s Ereignis, das aus liedhaft-zarter Poesie bruchlos in die überwältig­ende Entladung im Moment der Besinnung auf das Golgotha-Erlebnis mündet. Christophe­r Ventris, heldischun­verbraucht bis dahin, scheint in diesem Moment verwandelt, bereit für die introverti­erten Töne des Karfreitag­szaubers. Wagners Dramaturgi­e wird so auf ideale Weise musikalisc­h sinnfällig. Beeindruck­end: Kwangchul Youn

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