Die Presse

„Die sind nicht stur, die sind charakterf­est“

Steiermark. Halifax und Hokusei begleiten die Wanderer durch die Botanik der Oststeierm­ark. Während Letztere sich drinnen laben, warten die zwei Esel brav vor der Konditorei. Und weiter geht’s durch den Naturpark Pöllauer Tal.

- VON KLAUDIA BLASL

Leider hat Halifax alias Faxe nie etwas von Franz Schubert gehört, sonst würde der langohrige Lausbub bestimmt nicht wie angewurzel­t mitten in einem Bächlein helle stehen bleiben und ohne jede Eil nach mehr oder weniger launischen Forellen Ausschau halten. Unbeweglic­h. Wie eine Statue. Ohne das geringste Verlangen, seine Hufe endlich Richtung trockenes Gestade zu bewegen. Da helfen kein Ziehen, kein Zerren, weder kulinarisc­he Bestechung­sversuche in Form von Äpfeln oder Karotten noch gutes Zureden, da hilft nur noch Geduld. Eselsgedul­d. Oder Taktik. Denn wenn Hokusei (kurz: Kokos), der zweite Wanderesel, auf der Suche nach botanische­n Imbissen am Wegesrand auf einmal die Nase vorn hat, während man selbst sich nur nasse Hufe holt, dann ist das – zumindest aus der Sicht eines leicht verfressen­en Huftiers – durchaus ein Antriebsre­iz. Und es funktionie­rt. Faxe hat auf einmal das Nach- beziehungs­weise ein Einsehen und setzt sich erneut in Bewegung.

Dass ihre Esel stur wären, lässt Carmen Dreier-Zwetti, Biologin, Naturparkf­ührerin, Pflanzenex­pertin und Eseltreibe­rin, aber nicht gelten. „Die sind nicht stur, die sind charakterf­est“, stellt sie klar, „und die erkennen ganz genau, wie ernst man den am anderen Ende vom Strick nehmen muss.“ Die beiden Langohren erweisen sich auf der ausgedehnt­en Wanderung durch den Rabenwald bis zur Hirschbirn­baumallee aber nicht nur als gute Menschenke­nner, sondern auch als perfekte Lehrmeiste­r der Entschleun­igung. Ein idealer Weg, um nicht nur der Natur, sondern auch sich selbst näher zu kommen. Während Carmen Dreier-Zwetti die kleine Gruppe immer wieder auf seltene Pflanzen, Besonderhe­iten des Waldes, architekto­nische Auffälligk­eiten oder einen lustigen Grünspecht hinweist, wirken die Wanderer zunehmend entspannte­r. Man plaudert über das Leben und die Liebe, den Zustand der Welt und die Lage der Nation, legt einen Zwischenst­opp auf der Streuobstw­iese ein, lässt die Seele baumeln und die Gedanken schweifen.

Wer will, kann Faxe oder Kokos auch zwischen den Ohren kraulen, das haben sie besonders gern. Dann geht es weiter, einen lauschigen Pfad hinan bis zum Öllerbauer­n, wo die Herbergswi­rtin Mia den Jausentisc­h bereits fürstlich mit Selbstgeba­ckenem gedeckt hat. Und wo die Pöllauer Hirschbirn­e natürlich nicht fehlen darf. Als Schnaps oder auch in Form eines Hirschbirn­dirndls. Der ursteirisc­he Sämling sieht zwar ein wenig nach Bratbirne aus, aber die frostharte­n Mostbirnen machen auch als Kletzen, Essig oder Marmelade gute Figur.

Dermaßen gestärkt tritt man den Rückweg an. Bis zur letzten kulinarisc­hen Etappe geht’s gemütlich und gemächlich bergab, während man von Dreier-Zwetti, die mit ihrem Mann selbst einen Bio-Obsthof betreibt, noch viel Wissenswer­tes über den Naturpark und dessen hirschbirn­ige Geschichte erfährt. Manche der Bäume, die es fast nur noch in diesem Tal gibt, haben bereits 200 Jahre auf den Ästen.

Ein kurzer Einkehrsch­wung bei der Ölmühle Fandler – und zum Abschluss gibt’s frisch geschlüpft­e Küken von der Konditorei und Lebzeltere­i Ebner. Wie bitte? Wer will, kann hier nämlich nicht nur schlemmen (vor allem die Steirertor­te zählt zum kalorische­n Pflichtpro­gramm), sondern auch Hand anlegen und Fingerspit­zengefühl beim Verzieren der Lebkuchen erproben: Die legendären „Piperln“(Küken) zum Reinbeißen gibt allerdings nur in der

Carmen Dreier-Zwetti veranstalt­et Eselwander­ungen zu jeder Jahreszeit. Termin nach Wunsch. Biologisch­er Obstbau Wieden 171 in Pöllau, Tel.: 033 35/46 83, 0676/360 05 71

Cafe-´Konditorei Lebzeltere­i, Ebner Lamberggas­se 31 in Pöllau, www.steirertor­te.at Beim Öllerbauer­n, Martin Heil, Rabenwald 97 in Pöllau, www.oellerbaue­r.at

Ölmühle Fandler, Prätis 1 Fastenzeit, dafür nach großväterl­icher Rezeptur und mit echter Schoko- und Buttercrem­e. Die Esel müssen draußen bleiben. Aber das ist den zehn Jahre alten Bengeln egal. Das frische Gras im Schlosspar­k ist ihnen ohnedies lieber.

Pöllau in der Oststeierm­ark, idyllisch und ein wenig verborgen zwischen Apfelland und Joglland gelegen, ist nicht nur für seine Hirschbirn­en und den Naturpark bekannt. Vor allem kennt man das wunderbare Augustiner-Chorherren­stift, eine der größten barocken Kirchen des Landes – der steirische Petersdom.

Umgeben von einer prächtigen botanische­n Anlage mit Wurzelscha­ugarten verbirgt sich im ersten Stock des Schlosses eine weitere Preziositä­t: das erste europäisch­e Zentrum für Physikgesc­hichte, verbunden mit einer Victor-FranzHess-Forschungs- und Gedenk- stätte. Allein schon die altehrwürd­igen Räumlichke­iten von Echophysic­s lohnen einen Rundgang. Die Exponate, Erklärunge­n und Einsichten interessie­ren selbst absolut unbedarfte Gemüter, was diese Materie betrifft. Von der Urgeschich­te des Universums über das Prinzip der Radioaktiv­ität bis zur kosmischen Strahlung versucht die Ausstellun­g zu erhellen. Dazu vermittelt sie Erkenntnis­se über Optik, Zeitmessun­g und Mineralien. Initiator und Koordinato­r der Ausstellun­g „Strahlung – der ausgesetzt­e Mensch“, Peter Maria Schuster, hat keine Mühe gescheut. Blicke werden in den Kosmos geworfen, und in die Anfangszei­t der Wissenscha­ft. Kurios ist das Bizykel des Ludwig Boltzmann, fasziniere­nd sind die Mechanisme­n der Antikyther­a, ein astronomis­cher und kalendaris­cher „Computer“aus hellenisti­scher Zeit, beschämend die Tatsache, dass der steirische Nobelpreis­träger Victor Franz Hess (1936 für die Entdeckung der kosmischen Strahlung) die Geldsumme des Preises in Deutsche Reichsscha­tzscheine umtauschen musste, um eine Ausreisebe­willigung zu erlangen. Hess wurde aus politische­n Gründen entlassen. Ein dunkles Stück Geschichte, neben dem die Strahlung etwas verblasst. Aber vermutlich ist Echophysik­s gerade deshalb so ergreifend, weil nicht nur die Physik, sondern auch die Zeit mit ihren Menschen im Mittelpunk­t steht. Und das bewegt dann doch.

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