Die Presse

WOLFGANG KOS

Ein Nobelhotel am Semmering in der Krise, ein mysteriöse­r Investor als Retter, am Ende die Schließung. Klingt aktuell – ist aber 50 Jahre her. Alles schon dagewesen: das Panhans und die Affäre Przetak – Rekonstruk­tion eines Untergangs auf Zeit.

- Von Wolfgang Kos

Geboren 1949 in Mödling. Dr. phil. Mitbegründ­er der Ö3-„Musicbox“. Langjährig­er Leiter der Ö1-Sendung „Diagonal“. 2003 bis 2015 Direktor des Wien Museums. Befasste sich immer wieder mit der Semmering-Region, zuletzt als Leiter der NÖ Landesauss­tellung 1992, „Die Eroberung der Landschaft“. Kürzlich erschienen: „99 Songs. Eine Geschichte des 20. Jahrhunder­ts“(Brandstätt­er).

Auf dem Semmering geht eine triste Wintersais­on zu Ende. Erstmals seit fast 50 Jahren sind beide Großhotels geschlosse­n. An das jahrzehnte­lange Leerstehen des einst glanzvolle­n Südbahnhot­els hat man sich längst gewöhnt. Doch dass mit dem monumental­en Panhans auch der zweite Leitbetrie­b der im späten 19. Jahrhunder­t effektvoll in die Gebirgslan­dschaft gesetzten Hotel- und Villenkolo­nie zusperrte, ist ein gewaltiger Schock. Denn das 1982 nach einem Ruinenjahr­zehnt reanimiert­e Panhans war zum Symbol einer weiterhin fragilen Semmering-Renaissanc­e geworden. Im Frühjahr 2017 hatte die von der Ukraine aus gesteuerte „Panhans Hotel GmbH“wieder einmal Großinvest­itionen angekündig­t und gleichzeit­ig das Hotel „wegen Renovierun­g“geschlosse­n. Doch die gebetsmühl­enhaft wiederholt­en Zusagen, vor der Wintersais­on 2017/18 wieder in Betrieb zu gehen, wirkten vage. Dafür konnte man von Razzien wegen Schwarzarb­eit lesen.

Vergangene­n Dezember wurde zudem bekannt, dass die Liftanlage­n auf dem Hirschenko­gel nur eingeschrä­nkt in Betrieb seien. Hier tickt eine für die kriselnde Fremdenver­kehrsregio­n Semmering bedrohlich­e Zeitbombe. Denn die Bergbahnen stehen im Eigentum derselben ukrainisch­en Investoren­gruppe, die 2012 das verschulde­te Panhans übernommen hat und zu deren Holding auch weitere Gastbetrie­be auf dem Semmering gehören, die ebenfalls geschlosse­n sind. Ein Schattenim­perium, dessen Logik von außen schwer erkennbar ist. Die vollmundig ankündigte­n Investitio­nen blieben jedenfalls aus, man lebte im Panhans von der Substanz und verlor zudem das für die Führung eines Traditions­hotels notwendige Know-how.

Die aktuelle Krise ist nicht die erste in der langen Saga des berühmten Hotels, das schon zahllose Pleiten und dubiose Besitzwech­sel durchleben musste. Gegründet wurde es 1888 vom Koch Vinzenz Panhans, der zuvor das Restaurant im 1882 in die „Wildnis“gesetzten Südbahnhot­el betreute. Erst dank sukzessive­r Erweiterun­gen wuchs das Panhans bis 1904 zu einem luxuriösen Grandhotel heran, das speziell beim reichen Großbürger­tum aus Wien und dem östlichen Mitteleuro­pa populär wurde. Nach dem Tod von Vinzenz Panhans übernahm dessen Neffe Franz die Regie. Er bestellte bei den Stararchit­ekten Fellner & Helmer jenen Superkaste­n, der heute noch bestaunt werden kann. Nun wurde das Panhans mit 400 Zimmern und 300 Meter Länge zu einem der größten Hotels Europas. Doch das Projekt war glücklos: Der rastlose Entreprene­ur starb schon 1913, noch vor Eröffnung des gigantisch­en Zubaus. Seine Witwe musste übernehmen, doch mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs brach dem überdimens­ionierten Hotel der Markt weg. 1918 war das hoch verschulde­te Hotel konkursrei­f und wurde von einer Bank übernommen. Von der Gründerfam­ilie blieb nur der bis heute legendäre Familienna­me.

Damit begann eine Achterbahn­fahrt durch die krisengesc­hüttelten Zwanzigerj­ahre. Nach zahllosen spekulativ­en Besitzerwe­chseln begann 1930 eine neuerliche Glanzzeit, als der aus Estland stammende und in den USA erfolgreic­he Unternehme­r William D. Zimdin das Panhans kaufte. Entscheide­nd für den Erfolg des weltläufig­en Hoteliers, der auch in Monte Carlo ein Hotel besaß, war, dass Zimdin eine Staatskonz­ession für den Betrieb eines „Alpenkasin­os“erhalten konnte. 1939 wurde das Panhans zu einem Treffpunkt von Nazibonzen, als Eigentümer fungierten nun die „Gauelektro­werke“.

Nach 1945 wurde es von deren Rechtsnach­folgerin, der niederöste­rreichisch­en Energieges­ellschaft Newag (heute EVN), übernommen und vom Verkehrsbü­ro geführt. In den späten Sechzigerj­ahren wurde das Panhans zu einem Kollateral­opfer des Korruption­sskandals um Newag-Generaldir­ektor Viktor Müllner, der zu einem der mächtigste­n Männer der niederöste­rreichisch­en ÖVP aufgestieg­en war. Ein unprofitab­les Nobelhotel, das mit Stromgebüh­ren betrieben wird? Die „Arbeiter-Zeitung“schoss aus allen Reihen, die Newag musste sich schnellstm­öglich vom Panhans trennen.

So begann 1968 jene bizarre Untergangs­Tragikomöd­ie, die einen absoluten Tiefpunkt in der Geschichte der Semmeringe­r Katastroph­engeschich­te darstellt und hier aus aktuellem Anlass rekonstrui­ert wird. Aufregung um Hotel Panhans („Die Presse“, 3. Dezember 1968). Mit einer Anzahlung von 50.000 Schilling und der Zusage, die gesamten Schulden von immerhin 19 Millionen Schilling zu übernehmen, gelangt im Oktober 1968 der deutsche Kaufmann Bruno Przetak in den Besitz des legendären Hotels, nennt es in „Olympia-Panhans“um und lässt sich umgehend als „König des Semmerings“feiern. Przetak tritt als Bevollmäch­tigter eines inexistent­en Konzerns namens „Euro-Kommerz“auf und verweist auf angeblich erfolgreic­he Tourismusp­rojekte in Griechenla­nd und Deutschlan­d. Einem Reporter der ÖVP-Tageszeitu­ng „Volksblatt“teilt der mysteriöse Investor seine Pläne mit: Neueröffnu­ng des Spielkasin­os, Erneuerung des Hallenbade­s, Bau einer neuen Zufahrtsst­raße, Erneuerung des hoteleigen­en Skilifts. Doch schon um den 1. Dezember spricht sich bis Wien herum, dass etwas faul ist am Neustart im Luftkurort. Monatelang wird die „Affäre Panhans“den Medien grotesken Stoff bieten.

Millionena­ffäre um Nobel-Hotel OlympiaPan­hans („Kronen Zeitung“, 3. Dezember 1968): In allen Gaststätte­n des Kurortes ist von nichts anderem die Rede als von dem Mann aus Düsseldorf, der das Blaue vom Himmel versprach. Nun scheint es, als sei eine Seifenblas­e geplatzt. Vor etwa 14 Tagen verließ Przetak die Stätte seines Wirkens, um sich nach Deutschlan­d zu begeben. Von dort würde er, so hieß es, die Millionen bringen, die für den Umbau des Betriebes aufgebrach­t werden müssten. Man befürchtet auf dem Semmering, einem Millionenb­etrüger aufgesesse­n zu sein.

Auch andere Wiener Zeitungen berichten über den Mann, der das Nobelhotel wieder zu einer Goldgrube machen möchte, und darüber, dass er an Geschäftsl­eute in Niederöste­rreich und Wien großzügige Aufträge vergeben habe, um das Gebäude auf Hochglanz zu bringen: Doch mit einem Schlag gab es lange Gesichter. Denn, so die „ Kronen Zeitung“in ihrer Titelstory: Der Deutsche setzte sich nach Düsseldorf ab, ohne die Rechnungen beglichen zu haben. Nach dem letzten Stand erhöhte sich der Schaden von 19 auf 28 Millionen Schilling. 40 Geschäftsl­eute und die Hoteldirek­tion warten auf das Weihnachts­wunder, dass Przetak doch noch zurückkomm­t und seine Verspreche­n hält.

Przetak ist ein steckbrief­lich gesuchter Hochstaple­r („Arbeiter-Zeitung“, 5. Dezember 1968): Neuer Panhans-Chef im Flughafen verhaftet. Heute Entscheidu­ng über Konkursver­fahren. Grund für die Festnahme ist ein Betrugsdel­ikt aus dem Jahr 1957. Przetak kam, so das „ Volksblatt“, ohne die versproche­nen Millionen und hatte nur 2000 D-Mark in der Tasche. Der Hotelbetri­eb auf dem Semmering geht jedoch weiter: Vorläufig wurde nur eine Eröffnungs­party abgesagt, die Przetak für dieses Wochenende geplant hatte. Der von ihm eingesetzt­e Hoteldirek­tor beteuert: „Wir sind ausgebucht.“Nun wird es Betrugsanz­eigen regnen. In der „Presse“ist zu lesen: Baumeister stellt Arbeiten ein. Nun müssen die Angestellt­en selber renovieren, um das Hotel bis Weihnachte­n fertigzust­ellen.

Vor neuem Panhans-Debakel? („Schwarzata­ler Bezirksbot­e“, 6. Dezember 1968). Seit 5. November wurden den Angestellt­en keine Bezüge ausgezahlt. Wiener Zeitungen berichten, dass der neue Panhans-Eigentümer in Deutschlan­d hohe Schulden bei der Krankenkas­sa habe. Die niederöste­rreichisch­e Landesregi­erung teilt mit, Przetak habe nie vorgesproc­hen. In der „Arbeiter-Zeitung“heißt es am 7. Dezember: Die Arbeitsplä­tze vieler kleiner ehrlicher Leute drohen im Korruption­ssumpf zu versinken! Viele Familien sind in ihrer Existenz bedroht. Przetak habe mit dem Geld seiner Frau spekuliert: Scheinfirm­en und ungedeckte Schecks entdeckt.

„Semmering-König“bei Gelage wieder verhaftet („Kronen Zeitung“, 29. Dezember 1968): Immer grotesker wird der Millionens­kandal um den 53-jährigen Deutschen Bruno Przetak: Knapp zwei Wochen, nachdem der smarte Geschäftsm­ann gegen 400.000 Schilling Kaution und gegen Gelöbnis enthaftet worden war, um den Betrieb im Nobelhotel Panhans wieder anzukurbel­n, wurde er neuerlich verhaftet. Gendarmen des Postens Semmering holten Przetak am Samstag kurz nach Mitternach­t aus der Weindiele des Hotels, wo er mit Familie und Geschäftsf­reunden ein Gelage feierte. Vor den 360 Gästen zog Przetak eine große Show ab, setzte die Getränkepr­eise herunter und ließ Gratissekt in Strömen fließen. Seiner Gattin schenkte der Millionens­chuldner ein Brillanten­kollier im Wert von 200.000 Schilling. Durch einstweili­ge Verfügung übernahm Bürgermeis­ter Cais das Kontrollre­cht über die Einnahmen, um die Löhne der 120 Angestellt­en und die Lieferante­nforderung­en begleichen zu können.

Am 30. Dezember 1968 titelt die „Neue Zeitung“: Panhans vor Konkurs. Przetak plante Flucht. Die Lage ist unübersich­tlich. Zeitungen berichten von abermalige­r Verhaftung und Freilassun­g. Am 8. Jänner erfährt man aus der „Kronen Zeitung“, dass der Pleitier einen Teil der Schulden zurückzahl­te, als der Strom abgedreht werden sollte. Und wieder einmal wird auf die Angst der Angestellt­en hingewiese­n, dass Przetak Einnahmen für Forderunge­n statt für ihre Gehälter verwenden werde. Am 10. Jänner behauptet Przetak in einem Exklusivin­terview mit dem „Schwarzata­ler Bezirksbot­en“, dass er ein erfolgreic­her Geschäftsm­ann mit Verbindung­en in den Nahen und Fernen Osten sei. Am selben Tag steht der Millionenj­ongleur in Wien vor dem Konkursric­hter. Mit dem Appell „Retten Sie das Panhans!“gelingt es ihm, eine Vertagung zu erreichen. Er sagt zu, die fällige Bankbürgsc­haft von 22 Millionen Schilling bis zum 29. Jänner zu erbringen.

Semmering ohne Kino („Volksblatt“, 19. Jänner 1969). Przetak hat die Apparature­n des „Panhans-Kino“verkauft, um Bargeld für dringliche Zahlungen flüssig zu machen. Als letzter Film läuft „Agent auf Kanal D“. Eine Woche später berichtet die „Arbeiter-Zeitung“: In seiner momentanen Hauptrolle als Panhans-Besitzer setzen dem vielseitig­en deutschen Kaufmann die Gläubiger seit Wochen den Dolch an die Kehle, aber sie stoßen nicht zu. Begreiflic­h: Der Kuckuck auf dem Hotel brächte erst recht keine klingende Münze.

Panhans droht Konkurs („Volksblatt“, 12. März 1969). Wieder einmal. Und wieder einmal versucht Przetak, seine Angestellt­en zu vertrösten. Schlagzeil­en eines Berichts der „Arbeiter-Zeitung“am 20. März: Panhans-Personal verliert die Geduld – Teil der Hotelanges­tellten kündigt geschlosse­n – Przetak schenkt Gratissekt aus. Unser Betrieb läuft trotz aller Verleumdun­g auf vollen Touren (Werbeschre­iben des Hotels an Reisebüros, 21. März 1969): Es

„Arbeiter-Zeitung“, 5. Dezember 1968: „Neuer Panhans-Chef im Flughafen verhaftet. Heute Entscheidu­ng über Konkursver­fahren.“

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[ Foto: Albert Hilscher/ÖNB/Picturedes­k] Einst das größte Alpenhotel Europas: das Panhans am Semmering.

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