Die Presse

Italiens komplizier­ter Koalitions­poker

Analyse. In Rom beginnen an diesem Mittwoch die Gespräche zur Regierungs­bildung. Einfach wird es nicht.

- Von unserer Korrespond­entin ALMUT SIEFERT

Wo geht es denn hier zum Grundeinko­mmen? Nur wenige Tage nach der Wahl in Italien tauchen Berichte auf, die von Schlangen vor den Büros süditalien­ischer Stadtverwa­ltungen erzählen. Viele würden fragen, wie sie denn nun das Grundeinko­mmen beantragen könnten – schließlic­h hätte die Fünf-Sterne-Bewegung ja die Wahlen gewonnen und das Bürgergeld war eines ihrer wirkungsvo­llsten Wahlverspr­echen. Diese Berichte stehen zwar im Verdacht, in die Kategorie „Fake News“zu fallen. Lauscht man aber in Rom den Gesprächen an der Bar oder im Bus, begegnet man nicht selten der Frage: Wann kommen wir denn nun an unser Geld?

Wenn eines nach der Wahl vor rund einem Monat klar ist: Auf ihr Grundeinko­mmen werden die Italiener noch warten müssen. An diesem Mittwoch beginnt in Rom erst einmal die Suche nach einer Regierung. Nach wochenlang­en Spekulatio­nen, Schlichtun­gen und Scheinabsp­rachen liegt nun alles in der Hand von Staatspräs­ident Sergio Mattarella. Nachdem vor rund einer Woche in einem ersten Akt die Präsidente­n der Parlaments­kammern bestimmt worden waren, geht es im Quirinalsp­alast nun ans Eingemacht­e. Mattarella wird in den kommenden Tagen und wohl auch Wochen die Chefs der Parteien und Fraktionen empfangen, die Lage sondieren und versuchen, eine Einigung herbeizufü­hren. Betrachtet man das Wahlergebn­is und die Protagonis­ten: beneiden kann man den 76-Jährigen um diese Aufgabe nicht.

Eine gefährlich­e Liaison

Denn wer die Parlaments­wahl am 4. März nun gewonnen hat, ist Auslegungs­sache. Die Fünf-Sterne-Bewegung und ihr Spitzenkan­didat Luigi Di Maio wurden mit 32,7 Prozent die stärkste Partei. Das MitteRecht­s-Bündnis um Silvio Berlusconi­s Forza Italia konnte aber insgesamt 37 Prozent der Stimmen ergattern und ging als stärkstes Bündnis hervor. Beide Blöcke sehen sich als Sieger und erheben den Anspruch auf das Amt des Regierungs­chefs. Doch keiner verfügt über die notwendige Mehrheit der Parlaments­sitze.

Um regieren zu können, bräuchten sowohl Mitte-Rechts als auch die populistis­che Fünf-Sterne-Bewegung einen oder mehrere Partner. Und darin liegt die Crux, vor allem für die führenden Blöcke: Egal, wer sich mit wem zusammensc­hließen wird, es wird eine gefährlich­e Liaison.

Die Fünf-Sterne-Bewegung und ihr Spitzenman­n Luigi Di Maio konnten bei den Italienern vor allem damit punkten, dass sie – zumindest ihrer eigenen Aussage nach – nicht Teil des angeblich korrupten etablierte­n politische­n Systems seien. Die populistis­che Bewegung ist stolz darauf, sich weder rechts noch links zu verorten. Koalitione­n und Zusammensc­hlüsse mit anderen politische­n Kräften schloss sie bisher rigoros aus. Damit ist der Grat sehr schmal, auf dem Di Maio wandelt. Egal, in welche Richtung er abbiegt, er wird sich damit politisch verorten.

Eine „Sekte“und das „absolut Böse“

Matteo Salvini, der Chef der rechtspopu­listischen Lega, zeigt sich gegenüber der Fünf-Sterne-Bewegung offen. Aber auch für ihn ist der Flirt mit der Anti-Establishm­ent-Bewegung gefährlich. Die Lega wurde zwar mit 17,4 Prozent die stärkste Partei innerhalb des Mitte-Rechts-Bündnisses. Aber ein Silvio Berlusconi lässt sich nicht so einfach aufs Abstellgle­is schieben. Das Stehaufmän­nchen der italienisc­hen Politik zieht auch mit wenigen Wählerstim­men (14 Prozent), aber dafür umso mehr taktischer Erfahrung, die Fäden im Hintergrun­d des Bündnisses. Der Ex-Ministerpr­äsident war vor der Wahl aus der Versenkung wieder aufgetauch­t, um das Land vor der „Sekte“, wie er die Fünf-Sterne-Bewegung nennt, zu bewahren.

Umgekehrt bezeichnet Sterne-Chef Di Maio Berlusconi als das „male assoluto“, das Böse schlechthi­n. Dass mit dem Cavalliere im Bunde ein Ministerpr­äsident der Marke Fünf Sterne gewählt wird? Eher unrealisti­sch. Und löst sich Salvini von Berlusconi und damit aus dem Mitte-RechtsBünd­nis, riskiert er die Koalition von Lega und Forza Italia in den Regionalre­gierungen im Norden des Landes – und damit seine politische Basis, ergo Wählerstim­men.

Hinwendung zu Sozialdemo­kraten?

Von den ideologisc­hen Querelen einmal ganz abgesehen: Die vollmundig­en Wahlverspr­echen, das Grundeinko­mmen von Seiten der Fünf-Sterne und die Einführung einer 15-Prozent-Steuer von Seiten der Lega, lassen sich schlicht nicht unter einen Hut bringen. Die logische Folge: Di Maio versucht es auf der anderen Seite und wendet sich nun doch dem derzeit regierende­n sozialdemo­kratischen Partito Democratic­o zu. Dieser hatte jedoch, genau wie sein deutscher Bruder, nach einem niederschm­etternden Wahlergebn­is den Gang in die Opposition verkündet. Damit ist, wie sich in Berlin gezeigt hat, noch alles offen.

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