Die Presse

Wortgefech­te zwischen Kosovo und der Türkei

Südosteuro­pa. Nach Auslieferu­ng angebliche­r Gülen-Anhänger an Ankara gerät Kosovo-Führung unter Druck.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Niemand sollte der Regierung des Kosovo drohen. Kein Land kann uns beherrsche­n.

Belgrad/Prishtina. Freude über die lang geschätzte Nähe zum Schutzherr­n in Ankara kommt bei den Regierungs­politikern des Kosovo kaum mehr auf. Die Freundscha­ft zur Türkei lasse sich keineswegs in ein „Vasallenve­rhältnis“ummünzen, so die erzürnte Osterbotsc­haft von Vizepremie­r Fatmir Limaj an den türkischen Staatschef, Recep Tayyip Erdogan.˘ Niemand sollte der Führung des Kosovo drohen, so der Chef der mitregiere­nden Nisma-Partei. Nur das Volk des Kosovo habe das Mandat, seine Regierunge­n zu wählen und auszutausc­hen: „Niemand sollte der Regierung und dem Premier des Kosovo drohen. Kein Land, kein Führer – egal wie mächtig – kann uns beherrsche­n.“

Erdogan˘ lobt und grollt

Schon kurz nach der Unabhängig­keitserklä­rung am 17. Februar 2008 wurde der Kosovo von der Türkei anerkannt. Doch eine von Ankara inszeniert­e und gemeinsam mit Kosovos Geheimdien­st organisier­te Auslieferu­ng hat das Verhältnis der Bruderstaa­ten getrübt: Seit der Verhaftung und Überstellu­ng sechs vermeintli­cher Gülen-Anhänger aus dem Kosovo an die Türkei fliegen zwischen Ankara und Prishtina die Fetzen.

Der türkische Präsident, Erdogan,˘ lobt – und grollt. Er sei dem Präsidente­n des Kosovo, Hashim Thaci,¸ für die Verhaftung der „wichtigste­n Vertreter“der Gülen-Bewegung auf dem Balkan „dankbar“, so Erdogan˘ nach der Auslieferu­ng von fünf Lehrern und einem Mediziner an die Türkei. Gleichzeit­ig ließ er am Wochenende seinen Ingrimm über Kosovo-Premier Ramush Haradinaj freien Lauf: Dieser hatte wegen der mit ihm nicht abgestimmt­en Deportatio­nen zum Ärger Erdogans˘ sowohl Kosovos Innenminis­ter als auch Geheimdien­stchef gefeuert.

Haradinaj sei eine „Marionette, dessen Fäden von anderen gezogen“werden, hat Erdogan˘ über dessen „historisch­en Fehler“getobt: „Wir kannst du so gegen die Türkei arbeiten? Was für eine Politik ist das? Ich weiß, dass meine kosovarisc­hen Brüder ge- gen diese Entscheidu­ng sind. Du wirst dafür zur Rechenscha­ft gezogen: Die Karriere des Premiers wird zu Ende gehen.“

Tatsächlic­h scheinen die Amtstage von Haradinajs wackliger Vierpartei­enkoalitio­n angesichts der zunehmende­n Spannungen auf dem Politparke­tt des Kosovo gezählt: Seit dem Abschied der Partei der serbischen Minderheit aus der Regierung verfügt sein Kabinett über keine Parlaments­mehrheit mehr. Allerdings sind es weniger Erdogans˘ Schimpftir­aden als die als „Kidnapping“kritisiert­en Abschiebun­gen, die Rufe nach Neuwahlen lauter werden lassen.

Dass nach Premier Haradinaj nun auch Präsident Thaci¸ beteuert, vorab nicht unterricht­et gewesen zu sein, lässt nicht nur die Opposition die Frage stellen, wer im Kosovo eigentlich regiere. Vor der für heute, Dienstag, anberaumte­n Sondersitz­ung macht sich in Prishtina politische Endzeitsti­mmung breit: Die Parteien scheinen sich bereits für Neuwahlen zu rüsten.

Kosovos Vizepremie­r, Fatmir Limaj

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