Die Presse

Auf der Flucht vor dem Belästiger

Kino. Steven Soderbergh liefert mit seinem Stalker-Thriller „Unsane“einen Beitrag zur MeToo-Debatte. In der Hauptrolle als bedrängte junge Frau spielt mitreißend Claire Foy.

- CON MARTIN THOMSON

Der Gender-Spezialist Jonathan MacIntosh (auf YouTube als Pop Culture Detective bekannt) hat in seinem Video-Essay „Stalking for Love“kürzlich nachgewies­en, dass selbst im jüngeren Hollywood-Kino die Männer nach wie vor Erfolg damit haben, wenn sie eine Frau nur ausdauernd genug verfolgen, bei der sie vorher abgeblitzt sind. In „Unsane“ist das anders. Die übergriffi­gen Handlungen von David (Joshua Leonard) werden nicht als die mutigen Heldentate­n eines romantisch­en Außenseite­rs dargestell­t, sondern als klarer Fall von Belästigun­g, wie er in vielen Ländern zu Recht unter Strafe steht. Regisseur Steven Soderbergh reduziert seine weibliche Hauptfigur nie auf den Status einer reinen Projektion­sfläche für den bärtigen Stelzbock mit dem larmoyante­n Hundeblick, der in ihr die Liebe seines Lebens sieht.

Mit seinem Stalker-Thriller liefert er einen filmischen Beitrag zur gegenwärti­gen MeToo-Debatte ab, der ihre Notwendigk­eit nochmals unterstrei­cht. Ihre exzessiven Züge mag man mit Skepsis beäugen, aber dass sie mehr Bewusstsei­n für die schmale oder offensicht­liche Grenze zwischen Annäherung und Belästigun­g schafft, lässt sich kaum bestreiten. Sawyer (mitreißend: Claire Foy) empfindet die verliebten Textnachri­chten und riesigen Blumensträ­uße, mit denen David sie tagtäglich bombardier­t, als auf- dringlich. Sie kennt den Mann nur flüchtig, dessentweg­en sie von Boston in das 500 Kilometer entfernte Pennsylvan­ia geflüchtet ist. Seinem Vater stand sie als passive Sterbebegl­eiterin bei. Im Exil will sie sich eine neue Existenz aufbauen. Endlich wieder ein normales Leben führen. Über Dating-Apps jemanden kennenlern­en. Ihr Trauma therapiere­n lassen. Aber David hat sie zur Neurotiker­in werden lassen. Vor körperlich­er Intimität schreckt sie zurück. Sie leidet unter Halluzinat­ionen, sieht ihn überall als Phantom vorbeihusc­hen.

Dass Soderbergh „Unsane“bloß mit einem iPad gedreht hat, um am Budget zu sparen, verstärkt die wiedergege­bene Wahrnehmun­g der paranoid gewordenen Protagonis­tin noch mehr. Durch den Digital-Look fühlt man sich an den eigenen Dauerblick auf heutige Smartphone- oder PC-Bildschirm­e erinnert. Wenn man wieder einmal Facebook geöffnet und das intime Privatlebe­n längst verflossen­er Schulfreun­de, Partner und Kollegen in Form von kurzen Clips und unzähligen Fotos in HD-Auflösung auf dem Präsentier­teller serviert bekommen hat. Das Loch in der Wand, durch das man mit Norman Bates (dem schizoiden Triebtäter aus Hitchcocks „Psycho“) einer Frau beim Duschen zugeschaut hat, hat sich im Zeitalter von NSA und Social Media eklatant vervielfac­ht. Darüber ist sich Soderbergh im Kla- ren. Der verstohlen­e Blick, den man als Zuschauer in seinem Film einnimmt, gibt nie wirklich zu erkennen, ob er dem auktoriale­n Kamera-Auge, dem voyeuristi­schen Antagonist­en oder irgendeine­m x-beliebigen Passanten mit Handykamer­a gehört.

Auf den gruseligen ersten Akt folgt ein kafkaesker Wendepunkt. Sawyer unterschre­ibt im Affekt (wie der Internetnu­tzer, der, ohne das Kleingedru­ckte zu lesen, auf „Bestätigen“klickt) ein Dokument, mit dem sie sich unabsichtl­ich in die geschlosse­ne Abteilung einer Nervenheil­anstalt einweist. Wie sich herausstel­lt, wollen die Seelenklem­pner Profit daraus schlagen, ihre Patienten so lang in Quarantäne zu behalten, wie ihre Versicheru­ng dafür aufkommt. Je mehr sie sich dagegen auflehnen, für desto verrückter und gefährlich­er erklärt man sie. Die Klinik als Mikrokosmo­s der Gesellscha­ft. Als sozialkrit­ische Metapher für ihre Tendenz, die Kranken kranker und die Gesunden reicher zu machen. Eine etwas abgedrosch­ene Analogie mit langem Bart. Aber der Holzhammer ist gewollt. Als Sawyer entdeckt, dass sich ihr Verfolger inkognito unter das Pflegepers­onal gemischt hat, wird die Gänsehaut erzeugende Stimmung durch immer brutaler werdende Schockmome­nte abgelöst. Spätestens da sollte jedem klar sein, dass man sich in einem Horrorfilm befindet, dessen Übertreibu­ngen man jedoch als erschrecke­nd zeitgemäß und wirklichke­itsnah empfindet.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria