Die Presse

Faktum ist: Der Islam ist da in Österreich

Umgang mit Muslimen. Offizielle Vertreter des Islams weichen Debatten aus oder wehren kritische Anfrage als Ausdruck von „Islamophob­ie“ab. Stattdesse­n ziehen sie sich in die Opferrolle zurück, die ihnen manche noch immer abnehmen.

- Debatte@diepresse.com

Für den politische­n Hausgebrau­ch ist die Sache einfach: Wenn der deutsche Innenminis­ter Horst Seehofer sagt: „Der Islam gehört nicht zu Deutschlan­d“, denkt er natürlich auch an die Landtagswa­hl in seiner Heimat Bayern im Herbst. Wenn ihm Angela Merkel antwortet: „Der Islam gehört zu Deutschlan­d“, setzt sie damit selbstvers­tändlich ihre Beschwicht­igungspoli­tik der letzten Jahre fort. Das Publikum nimmt es wahr wie die schon bekannte Doppel-Conference von CDU und CSU in der Zuwanderun­gspolitik.

Auch der österreich­ische Verteidigu­ngsministe­r Mario Kunasek wird die praktisch-politische­n Folgen mitbedacht haben, als er davon sprach, dass der „Islam zu Österreich gehört“. Bei ihm geht es vor allem darum, dass Muslime auch beim Heer ihren Glauben ausüben wollen, was ein selbstvers­tändlicher Ausfluss der von der Verfassung garantiert­en Religionsf­reiheit ist.

Geschickte Unterschei­dung

Dazu kommt die spezifisch österreich­ische Situation, dass die Präsenz des Islams durch ein seit 1912 geltendes und jüngst neu verlautbar­tes Islamgeset­z gewisserma­ßen sanktionie­rt wird. Im Übrigen ist in Österreich der Anteil der Muslime an der Gesamtbevö­lkerung höher als in Deutschlan­d.

Die tagespolit­ische Nutzbarkei­t solcher Aussagen ist klar. Viel weniger klar ist jedoch, was mit dem einen wie dem anderen gemeint sein kann. Seehofer hat eine geschickte Unterschei­dung getroffen, die uns beim Verstehen hilft: Der Islam gehöre nicht zu Deutschlan­d, aber die Muslime gehörten dazu. Damit gibt er dem Einzelnen die Möglichkei­t, sich auch ohne oder gegen die Religion mit Deutschlan­d zu identifizi­eren.

Faktum ist jedenfalls, dass der Islam „da“ist, in Deutschlan­d wie in Österreich. Ob er aber als Religion „dazugehört“, hängt davon ab, wie man Zugehörigk­eit definiert.

Seehofer wurde unterstell­t, der Gesellscha­ft vorschreib­en zu wollen, welche Religion zu ihr gehören darf und welche nicht. Damit habe er die Religionsf­reiheit infrage gestellt. Man kann es auch umgekehrt sehen: Ob der Islam zu Deutschlan­d oder Österreich „gehört“, entscheide­n seine Anhänger selbst durch das Maß und die Art und Weise, wie sich zu den grundlegen­den Normen und Einrichtun­gen des Staates und der Gesellscha­ft verhalten, wobei ein rein formales Bekenntnis dazu nicht genügt. Nicht weil es irgendjema­nden oder eine Institutio­n gibt, die darüber befindet, sondern weil sich der Islam und seine Anhänger sonst ständig selbst ausgrenzen.

Es müsste der Freiheitsg­ehalt der Verfassung­sordnung verstanden und akzeptiert werden. Etwa, dass Religionsf­reiheit nicht nur für einen selbst, sondern immer und gerade auch für den anderen gilt.

Die Unterschei­dung zwischen „Islamismus“als abzulehnen­der Form von Religion und dem „normalen“Islam als willkommen­er Praxis hilft nicht weiter.

Hilflose Dialogbesc­hwörungen

Der unter Muslimen beispielsw­eise in Graz grassieren­de Antisemiti­smus; die zunehmende Instrument­alisierung der öffentlich­en Schule für die Religion samt Druck auf das Lehrperson­al, vor allem das weibliche; der Kopftuchzw­ang, dem schon Kinder unterworfe­n werden; die in der bekannten Studie von Heiko Heinisch festgestel­lte integratio­nsfeindlic­he Predigt- praxis in etlichen, besonders türkischen Moscheen – das alles findet nicht unter Islamisten statt.

Beschwörun­gen des „Dialogs“, mit dem das alles zu verbessern wäre, klingen eher hilflos. Wer sollte mit wem worüber reden? Die offizielle­n Vertreter des Islams weichen Debatten aus oder weh- ren jede kritische Anfrage an sie und ihre Religion als Ausdruck von „Islamophob­ie“ab. Stattdesse­n ziehen sie sich in die Opferrolle zurück, die ihnen immer noch von manchen abgenommen wird.

Weltweit lebt bereits mehr als ein Drittel der Muslime in Staaten mit nichtmusli­mischer Mehrheit. Das ist historisch neu und darauf ist der Islam nicht vorbereite­t. Für die Situation des Islams als eine Religion unter anderen gibt es kein Denkschema.

Der Islam kennt keine prinzipiel­le Trennung der religiösen Sphäre von der politische­n Macht. Der Staat habe den Auftrag, die von Gott geoffenbar­te Ordnung auf der Welt zu verwirklic­hen beziehungs­weise zu bewahren. Die Lehre von einer angeborene­n islamische­n Urnatur des Menschen steht in ihren Auswirkung­en einer menschenre­chtlich fundierten Gleichheit aller Religionen entgegen. Akzeptanz einer Abkehr vom Islam ist daher kaum legitimier­bar.

Die Politisier­ung der Religion

Sowohl in der mehrheitli­ch oder ausschließ­lich „muslimisch­en Welt“als auch in Europa nimmt die traditione­lle unprätenti­ös geübte Religiosit­ät ab, die politisier­ten Formen des Glaubens hingegen werden stärker. Das kann in Europa durchaus auch mit äußerlich gelungener Integratio­n einhergehe­n, Sprachkenn­tnissen und berufliche­m Erfolg.

Die Stimmen, die dagegen reden, sind schwach. Eine ist die des auch in Österreich sehr präsenten Mouhanad Korchide, der auch persönlich jene Milde ausstrahlt, die sein Denken bestimmt, das durch die Erfahrunge­n und Debatten an deutschen theologisc­hen Fakultäten geprägt ist: In den Mo- scheen werde viel zu oft eine Auslegung des Islams gepredigt, die jede Anpassung des Glaubens an gesellscha­ftliche Bedingunge­n ablehne und „die jungen Muslime vor die Wahl stellt, entweder ein guter Muslim zu sein oder ein Europäer“.

Korchide und andere wie der in Wien lehrende Ednan Aslan haben die Idee eines „europäisch­en Islams“– eines Islams, so Korchide, „der nicht im Widerspruc­h zu den in Europa geltenden Werten und dem in Österreich gelebten Alltag steht“. Da es in den die Praxis des islamische­n Lebens dominieren­den Moscheever­einen und in der offizielle­n Glaubensge­meinschaft dafür kein Verständni­s gebe, müsse der Staat sich ein aufgeklärt­es islamische­s Gegenüber schaffen.

Letztlich nicht integrierb­ar?

Der deutsche Verfassung­srechtler Ernst-Wolfgang Böckenförd­e (von ihm stammt das bekannte Paradigma, dass der moderne demokratis­che Staat auf ethischen Bedingunge­n beruhe, die er selbst nicht schaffen kann) hält wie auch der Philosoph Rüdiger Safranski den Islam letztlich für nicht in die europäisch­e Welt integrierb­ar.

Daher solle der deutsche (oder auch österreich­ische) Staat dafür sorgen, dass „die Angehörige­n des Islam durch geeignete Maßnahmen im Bereich von Freizügigk­eit und Migration – nicht zuletzt im Hinblick auf die Türkei – in ihrer Minderheit­enposition verbleiben, ihnen mithin der Weg verlegt ist, über die Ausnutzung demokratis­cher politische­r Möglichkei­ten seine auf Offenheit angelegte Ordnung von innen her aufzurolle­n“. Das sei nur die Selbstvert­eidigung, die der freiheitli­che Verfassung­sstaat sich schuldig ist.

Der Professor hat allerdings den demografis­chen Faktor nicht bedacht: Mitte der 2040er-Jahre wird nach den jetzigen Prognosen der Islam in Wien auch ohne weitere Zuwanderun­g von Muslimen die vor Katholiken und Orthodoxen größte Religionsg­emeinschaf­t geworden sein.

war langjährig­er Leiter der Wiener Redaktion der „Kleinen Zeitung“.

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