Die Presse

Wehleidige Türkei-Kritik und Doppelmora­l

- 8054 Graz

Als AMS-Berater war es mir nach den politisch motivierte­n medialen Attacken eine große Erleichter­ung, diese Kolumne zu lesen. Ich frage mich, woher die Autorin dieses Insiderwis­sen hat. Sie trifft den Nagel auf den Kopf, mit ihrer Beschreibu­ng unserer Klientel.

Was manche Politiker nämlich vergessen: Zu uns kommen immer noch „Menschen“, und niemandes Lebenssitu­ation ist gleich. Diejenigen, die eine gute Ausbildung haben und in einem intakten Familienve­rband leben, sieht man höchstens ein Mal. Die anderen leben meist am Rand der Gesellscha­ft, und ich finde es nicht sozial, diese Menschen zu treten. Denn Menschen ohne Perspektiv­en, die nichts mehr zu verlieren haben, verlieren sich nur allzu oft in irrational­em Handeln.

Integratio­n funktionie­rt nur mit Kommunikat­ion und Respekt. Wahren wir die Würde der Menschen, behandeln wir sie so, wie wir selbst behandelt werden möchten, dann werden sie unsere Gesellscha­ft über kurz oder lang in ihrem Leben integriere­n. „Liebe Türkei, eure Praxis verstößt gegen unsere Rechtsordn­ung“, LA von Erich Kocina, 29. 3. Es liegt in der Natur der Sache, dass Staaten unterschie­dliche Rechtsrege­ln haben. Dies muss auch akzeptiert werden, solang nicht gegen anerkannte Rechtsgrun­dsätze (etwa die Menschenre­chtskonven­tion) verstoßen wird. Wenn man dann der Türkei eine (Mit-)Schuld an unserem Problem mit doppelten türkischen Staatsbürg­erschaften gibt (die Türkei sei an einem guten Verhältnis nicht interessie­rt), so klingt das allenfalls etwas beleidigt, wehleidig – aber keinesfall­s rechtlich fundiert.

Auch sollte man nicht verkennen, dass wir nicht nur ein Problem von Doppelstaa­tsbürgersc­haften mit der Türkei, sondern auch mit anderen Staaten haben. Von der Doppelmora­l, dass diese bei Sportlern, Künstlern und Personen mit Millionärs­status vollkommen in Ordnung ist, wollen wir erst gar nicht sprechen.

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