Die Presse

Mit Zuckerberg­s Entschuldi­gung ist der Datenskand­al nicht vom Tisch

Am 25. Mai tritt eine neue EU-Datenschut­zgrundvero­rdnung in Kraft, die strenge Strafen für Datenmissb­rauch vorsieht; für Facebook könnte sie problemati­sch sein.

- Dr. Andrea Schurian ist freie Journalist­in. Die ehemalige ORFModerat­orin („KunstStück­e“, „ZiB-Kultur“) gestaltete zahlreiche filmische Künstlerpo­rträts und leitete zuletzt neun Jahre das Kulturress­ort der Tageszeitu­ng „Der Standard“. Seit Jänner 2018 ist

Goethe war bekanntlic­h ein fanatische­r Zeitungsle­ser. Doch während seiner Arbeit am „Faust“verschnürt­e er, gleicherma­ßen fasziniert und erschreckt von den Möglichkei­ten des damals neuen Informatio­nsmediums, seine Lieblingsz­eitungen ungeöffnet, um der Versuchung zu widerstehe­n, sie auch zu lesen. Die täglich neuen Weltwirkli­chkeiten sollten ihn nicht vom Nachdenken, Reflektier­en und Schreiben ablenken. „Seit ich die Zeitungen nicht mehr lese, bin ich viel freieren Geistes“, schrieb er im März 1830 in einem Brief.

Und heute, 288 Jahre danach? Hatten www-gläubige Bürgerinne­n und -Bürger höchstens fromme Vorsätze für die Fastenzeit. Spätestens am Ostersonnt­ag ist das Smartphone wieder auferstand­en, das IPad hochgefahr­en in den Cyberhimme­l.

Es darf wieder internetti­gst gevöllert, gesurft, vernetzt, verlinkt, getindert, das Innerste in den digitalen Raum gekehrt und datenunges­chützt verkehrt werden. Im Bett, in der U-Bahn, im Zug, im Kaffeehaus, vorm Kino, im Supermarkt, auf der Parkbank werden im Sekundenta­kt aufpoppend­e Nachrichte­n gecheckt, Bücher und Essen bestellt, mit Facebookfr­eunden gechattet, E-Mails beantworte­t, Vorlieben geteilt, Videos geschaut, Affären gepostet, politische Meinungen kundgetan. Je mehr Nachrichte­n, Freunde, Follower und Likes, umso wichtiger. Echtes Leben im virtuellen Schein.

Man fürchtet im realen Leben den Überwachun­gsstaat, wehrt sich gegen Überwachun­gskameras, protestier­t gegen Bundestroj­aner. Und macht sich in seiner virtuellen Doppelexis­tenz selber so gläsern, so durchschau- und so berechenba­r, dass Analyseins­titute wie Cambridge Analytica Abermillio­nen Nutzerdate­n für Geschäftsz­wecke, Wahl- und Abstimmung­smanipulat­ionen entwenden und verwerten können. Jetzt steckt das Mega-Weltnetzwe­rk Facebook mit einem Jahresumsa­tz von fast 28 Milliarden Euro im größten Datenmissb­rauchsskan­dal – und die User in einer Sinnkrise.

„Wem gehört die Zukunft?“betitelte der Popstar unter den Computerwi­ssenschaft­lern, Jaron Lanier, sein Buch über Internet- und Digitalkul­tur. Sein Fazit: uns digital vernetzten Bürgern jedenfalls nicht. Institutio­nen, digitale Konzerne und Geheimdien­ste, konstatier­te er, würden das Leben digital vernetzter Menschen beobachten, kontrollie­ren, ausbeuten, aus den Datensätze­n Profit schlagen – und uns letztlich ruinieren.

Klingt nach Facebook, Cambridge Analytica, abgesaugte­n Daten, (Wahl-) Manipulati­onen und viel Geld. Laut „New York Times“war zumindest ein Mitarbeite­r von Facebook-Investor Peter Thiel in den Verkauf von Facebook-Nutzerdate­n involviert. Und wir stehen einigermaß­en betroppezt da, mit Trump und Brexit und der Sorge, welche unserer digitalen Persönlich­keitsmerkm­ale auf Datenhighw­ays illegal hinund herverscho­ben werden.

Mark Zuckerberg vertraut derzeit jedenfalls eher analogen Medien und inseriert in amerikanis­chen, britischen und deutschen Zeitungen seine Entschuldi­gung. Zugleich versprach er, jeder Facebook-User werde künftig seine Daten und eventuelle Zugriffe darauf besser kontrollie­ren und erkennen können. Längst hat die deleteface­book-Bewegung aber regen Zulauf.

Mit Zuckerberg­s Entschuldi­gung sei es sicher nicht getan, sagte der Grüne Europaparl­amentarier Jan Philipp Albrecht, Verhandlun­gsführer des Europäisch­en Parlaments für die neue EU-Datenschut­zverordnun­g, vergangene Woche in einem Interview:

„Wenn die Nutzer nicht freigegebe­n haben, dass Dritte ihre Daten nutzen dürfen – und davon gehe ich aus, und Facebook räumt dies auch ein –, dann ist das klar ein Verstoß gegen die Datenschut­zregeln und muss bestraft werden. Zum Glück tritt ab dem 25. Mai die neue Datenschut­zgrundvero­rdnung der EU in Kraft, die in einem solchen Fall hohe Strafen vorsieht. Dann können bis zu vier Prozent des Jahresumsa­tzes als Sanktion verhängt werden.“Und das, so Albrecht, könne durchaus existenzbe­drohend für Facebook werden.

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VON ANDREA SCHURIAN

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