Mit Zuckerbergs Entschuldigung ist der Datenskandal nicht vom Tisch
Am 25. Mai tritt eine neue EU-Datenschutzgrundverordnung in Kraft, die strenge Strafen für Datenmissbrauch vorsieht; für Facebook könnte sie problematisch sein.
Goethe war bekanntlich ein fanatischer Zeitungsleser. Doch während seiner Arbeit am „Faust“verschnürte er, gleichermaßen fasziniert und erschreckt von den Möglichkeiten des damals neuen Informationsmediums, seine Lieblingszeitungen ungeöffnet, um der Versuchung zu widerstehen, sie auch zu lesen. Die täglich neuen Weltwirklichkeiten sollten ihn nicht vom Nachdenken, Reflektieren und Schreiben ablenken. „Seit ich die Zeitungen nicht mehr lese, bin ich viel freieren Geistes“, schrieb er im März 1830 in einem Brief.
Und heute, 288 Jahre danach? Hatten www-gläubige Bürgerinnen und -Bürger höchstens fromme Vorsätze für die Fastenzeit. Spätestens am Ostersonntag ist das Smartphone wieder auferstanden, das IPad hochgefahren in den Cyberhimmel.
Es darf wieder internettigst gevöllert, gesurft, vernetzt, verlinkt, getindert, das Innerste in den digitalen Raum gekehrt und datenungeschützt verkehrt werden. Im Bett, in der U-Bahn, im Zug, im Kaffeehaus, vorm Kino, im Supermarkt, auf der Parkbank werden im Sekundentakt aufpoppende Nachrichten gecheckt, Bücher und Essen bestellt, mit Facebookfreunden gechattet, E-Mails beantwortet, Vorlieben geteilt, Videos geschaut, Affären gepostet, politische Meinungen kundgetan. Je mehr Nachrichten, Freunde, Follower und Likes, umso wichtiger. Echtes Leben im virtuellen Schein.
Man fürchtet im realen Leben den Überwachungsstaat, wehrt sich gegen Überwachungskameras, protestiert gegen Bundestrojaner. Und macht sich in seiner virtuellen Doppelexistenz selber so gläsern, so durchschau- und so berechenbar, dass Analyseinstitute wie Cambridge Analytica Abermillionen Nutzerdaten für Geschäftszwecke, Wahl- und Abstimmungsmanipulationen entwenden und verwerten können. Jetzt steckt das Mega-Weltnetzwerk Facebook mit einem Jahresumsatz von fast 28 Milliarden Euro im größten Datenmissbrauchsskandal – und die User in einer Sinnkrise.
„Wem gehört die Zukunft?“betitelte der Popstar unter den Computerwissenschaftlern, Jaron Lanier, sein Buch über Internet- und Digitalkultur. Sein Fazit: uns digital vernetzten Bürgern jedenfalls nicht. Institutionen, digitale Konzerne und Geheimdienste, konstatierte er, würden das Leben digital vernetzter Menschen beobachten, kontrollieren, ausbeuten, aus den Datensätzen Profit schlagen – und uns letztlich ruinieren.
Klingt nach Facebook, Cambridge Analytica, abgesaugten Daten, (Wahl-) Manipulationen und viel Geld. Laut „New York Times“war zumindest ein Mitarbeiter von Facebook-Investor Peter Thiel in den Verkauf von Facebook-Nutzerdaten involviert. Und wir stehen einigermaßen betroppezt da, mit Trump und Brexit und der Sorge, welche unserer digitalen Persönlichkeitsmerkmale auf Datenhighways illegal hinund herverschoben werden.
Mark Zuckerberg vertraut derzeit jedenfalls eher analogen Medien und inseriert in amerikanischen, britischen und deutschen Zeitungen seine Entschuldigung. Zugleich versprach er, jeder Facebook-User werde künftig seine Daten und eventuelle Zugriffe darauf besser kontrollieren und erkennen können. Längst hat die deletefacebook-Bewegung aber regen Zulauf.
Mit Zuckerbergs Entschuldigung sei es sicher nicht getan, sagte der Grüne Europaparlamentarier Jan Philipp Albrecht, Verhandlungsführer des Europäischen Parlaments für die neue EU-Datenschutzverordnung, vergangene Woche in einem Interview:
„Wenn die Nutzer nicht freigegeben haben, dass Dritte ihre Daten nutzen dürfen – und davon gehe ich aus, und Facebook räumt dies auch ein –, dann ist das klar ein Verstoß gegen die Datenschutzregeln und muss bestraft werden. Zum Glück tritt ab dem 25. Mai die neue Datenschutzgrundverordnung der EU in Kraft, die in einem solchen Fall hohe Strafen vorsieht. Dann können bis zu vier Prozent des Jahresumsatzes als Sanktion verhängt werden.“Und das, so Albrecht, könne durchaus existenzbedrohend für Facebook werden.