„Für Kindergarten braucht es keinen Doktor“
Kinder. Leistung dürfe etwas kosten, sagt Gemeindebundpräsident Alfred Riedl (ÖVP). Das gelte auch für Kindergärten. Von akademisierten Pädagoginnen hält er nichts. Bei Ganztagsschulen will er mehr finanzielles Engagement vom Bund.
Die Presse: Die Bundesregierung wird sich wohl bald den Kindergarten vornehmen. Was erwarten Sie, was befürchten Sie? Alfred Riedl: Das Thema, Familie und Beruf zu vereinbaren, ist sehr wichtig. Da werden die Gemeinden grundsätzlich auch alle immer bereit sein für Verbesserungen. Wir sehen ja auch, dass es einen Standortwettbewerb gibt. Eine der ersten Fragen ist: Was gibt es in einer Gemeinde für meine Kinder?
Öffnungszeiten und Schließtage am Land seien eine Katastrophe, hat unlängst eine Expertin gesagt: Was gedenken Sie zu tun? Ich nehme das von Betroffenheiten Einzelner wahr. Eine Frage ist aber auch, ob man die Standards so hochschrauben muss, wie es vielleicht die Großstadt braucht. Ist dafür überall auch Bedarf? Die Gemeinden erheben ja mit den Eltern gemeinsam den Bedarf. Und dementsprechend werden die Öffnungszeiten angepasst.
Es macht aber vielfach am Land nicht den Eindruck, dass Kindergärten gut geeignet sind, um Familie und Beruf zu vereinbaren. In Niederösterreich etwa befragt jeder Kindergarten die Eltern der Kinder pro Jahr zweimal, oft auch vier Mal zu ihrem Bedarf. Und entsprechend gibt es auf Anträge von Eltern auch Änderungen bei den Öffnungszeiten. Allerdings werden dann auch die Kosten verrechnet. Und sobald man zahlen muss, ist kein Bedarf mehr da.
In Oberösterreich gab es jüngst Proteste und Abmeldungen, weil Eltern für den Nachmittag zahlen müssen. Verständlich? Ich bin schon immer der Meinung, dass Leistung etwas kosten darf. Ich sehe auch nicht ein, warum jemand, der gut verdient, kostenlos den Kindergarten in Anspruch nehmen können soll. Für jene, die es sich nicht leisten können, gibt es eine soziale Staffelung.
Der Vormittagskindergarten ist für die Fünfjährigen gratis, jetzt plant die Regierung ein zweites Pflichtjahr für jene, die es brauchen, das auch gratis sein soll. Haben Sie etwas dagegen? Der Bund darf sich ja alles wünschen, er muss nur dafür sorgen, dass es auch machbar ist. Und hier haben wir das Problem: Beim ersten Kindergartenjahr hat der Bund für die entfallenen Elternbeiträge 70 Millionen Euro gegeben. Gekostet hat es aber mehr, wir sind
(ÖVP) ist seit dem Jahr 2017 Präsident des Österreichischen Gemeindebundes, der die heimischen Gemeinden vertritt; daneben gibt es noch den Städtebund. Seit dem Jahr 1990 ist der 65-Jährige Bürgermeister von Grafenwörth (Niederösterreich). Die Gemeinden sind für die Kindergärten zuständig, außerdem sind sie die Schulerhalter der Pflichtschulen (das sind v.a. Volksschulen, Neue Mittelschulen). auf etwa 30 Millionen pro Jahr sitzen geblieben. Jetzt will man auch das zweite Kindergartenjahr gratis machen, ohne die Kosten voll zu ersetzen. Gleichzeitig ist noch gar nicht geklärt, wie es mit dem Kostenersatz für das erste Kindergartenjahr über 2018 hinaus weitergeht. Wir brauchen eine nachhaltige Finanzierung. Wenn es die gibt, jederzeit.
Sprachförderung soll im Kindergarten verstärkt werden. Haben Sie dafür das Personal? Derzeit ja. Aber wir machen manches zu einem Problem, das keines ist. Es müssen keine akademischen Sprachlehrer sein. Die Kindergartenpädagoginnen können das – ohne Extra-Ausbildung oder, um sich des Themas im Besonderen anzunehmen, auch mit einer kurzen Zusatzqualifikation. Aber wir reden stattdessen immer im Elfenbeinturm über den Wunsch der höchsten Ausbildung, keiner weiß, wer das zahlen soll – und vielleicht gibt es gar keinen Bedarf.
Sie sprechen auch grundsätzlich die oft wieder geforderte Akademisierung der Kinderpädagoginnen an. Sie halten davon nichts. Ich brauche keine Wissenschaftler, keine Doktoren, sondern Menschen, die mit Kindern umgehen können. Wenn man grundsätzlich in Österreich eine höhere Akademikerquote will, soll man das auch so sagen. Aber für den Kindergarten braucht es keinen Doktortitel und auch keine Dissertation.
Laut Regierungsprogramm sollen die Kindergartenleiterinnen eine tertiäre Ausbildung haben. Dagegen habe ich nichts. Ich denke, dass der Job der Leiterin besondere Voraussetzungen hat. Wie geht es Ihnen damit, Kindergartenpädagoginnen zu finden? Wir haben in vielen Ländern jung Ausgebildete auf Wartelisten.
Den Eindruck, dass Gehalt und Arbeitsbedingungen viele abschrecken, teilen Sie also nicht. Es gibt regionale Unterschiede. In Vorarlberg ist es schwieriger. Aber in der Mehrheit der Bundesländer ist das Angebot da.
Es soll laut dem Regierungsprogramm auch einen verbindlichen Wertekanon für die Kindergärten geben. Hapert es da? In den Gemeinden wird immer wieder über die Vorbereitung der religiösen Feste diskutiert, über Kreuze. Die gehören aber in unserem Kulturkreis einfach dazu.
Weihnachten und Ostern gehören im Kindergarten gefeiert? Meiner Meinung nach ja.
Was halten Sie von einem Kopftuchverbot, wie es Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) jüngst wieder gefordert hat? Ich halte von einem Verbot grundsätzlich nichts. Und wir diskutieren ein großstädtisches Problem, als hätten wir es im ganzen Land. Wir in den Gemeinden haben dieses Problem einfach nicht.
Neben den Kindergärten ist auch die ganztägige Betreuung in den Schulen ein großes Thema für die Gemeinden. Sie wollen vom Bund für den Ausbau mehr Geld. Dass die Mittel dafür über einen längeren Zeitraum gestreckt werden, ist eine Verschlechterung. Und wenn es immer nur Anschubfinanzierung gibt, bleiben wir am Ende auf den Personalkosten für die Betreuung sitzen. Der Bund muss sich hier über die Nachhaltigkeit Gedanken machen.
Was ist die Lösung? Wir haben ein Gutachten in Auftrag gegeben, das klären soll, was die gesetzliche Pflicht der Gemeinden als Schulerhalter ist. Aus meiner Sicht war immer klar, dass die Freizeitpädagogen pädagogisches Personal sind. Und das ist Bundessache, auch finanziell.