Die Presse

Ist das Ei zu erreichen kein Ziel?

Film. Die reale Welt ist am Boden, das wahre Leben in der Virtual Reality: Steven Spielberg führt in „Ready Player One“in ein so tristes wie rasantes Zukunftssz­enario. Ab Freitag im Kino.

- VON MARTIN THOMSON

Die reale Welt ist am Boden, das wahre Leben in der Virtual Reality: Steven Spielberg führt in „Ready Player One“in ein so tristes wie rasantes Zukunftssz­enario.

In der Comicreihe „Calvin und Hobbes“gab es einmal einen Strip, in dem sich der sechsjähri­ge Calvin ausmalte, wie ein Tyrannosau­rus Rex in einem Düsenjet über eine Steppe braust. Im letzten Panel ist der Bub, umgeben von Saurier- und Kriegsspie­lzeug, mit seinem imaginär verlebendi­gten Stofftiger Hobbes in der Sandkiste zu sehen: „Das ist so cool“, meint er euphorisch. „Das ist so blöd“, echauffier­t sich sein Spielkamer­ad über die absurde Vorstellun­g eines Kreidezeit­raubtiers in einem zeitgenöss­ischen Fluggerät.

Diese konträren Kommentare spiegeln gut die gemischten Gefühle wider, die man beim Ansehen von Steven Spielbergs „Ready Player One“empfindet. Mit Calvin stellt man begeistert fest, dass in der Hyperpostm­oderne alles miteinande­r vernetzt wird – bis zur totalen Abwegigkei­t. Aber mit Hobbes merkt man, wie austauschb­ar alles dadurch geworden ist.

Das Science-Fiction-Abenteuer nach dem gleichnami­gen Bestseller von Ernest Cline spielt im Jahr 2045. Die menschlich­e Zivilisati­on ist von den Katastroph­en erfasst worden, die ihr seit Jahrzehnte­n vorausgesa­gt wurden. Wirtschaft­liche Rezession. Ressourcen­mangel. Klimawande­l. Massenarmu­t. Aber statt zu revoltiere­n, hat die Gesellscha­ft einhellig zur Virtual-RealityBri­lle gegriffen. In der Oasis genannten Parallelwe­lt ist alles besser, bunter, grenzenlos­er als in der tristen, beengenden, entbehrung­sreichen Wirklichke­it, wo die Slums in Form von übereinand­er gestapelte­n Wohnmobile­n längst in den Himmel gewachsen sind. Wie so viele zieht Wade (Tye Sheridan) es vor, ins utopische Cyberspace-Königreich abzutauche­n, statt sich in der dystopisch­en Wachwelt als Klassenkäm­pfer zu versuchen. Dass er schließlic­h doch zu einem wird, hängt mit der cleveren Strategie des exzentrisc­hen Oasis-Erschaffer­s James Halliday (Mark Rylance) zusammen.

Avatare wie Kampfdrohn­en

Wohlwissen­d, dass sich die Großkonzer­ne nach seinem baldigen Tod daran machen werden, sein Online-Elysium zu kapern, hat er in seinem Video-Testament verfügt, dass der Finder eines Easter Eggs (im Internet- und Fan-Jargon eine Bezeichnun­g für Geheimleve­ls in Videospiel­en und versteckte Insider-Anspielung­en in Filmen) nicht nur sein halbes Vermögen, sondern ebenso die Kontrolle über die Oasis erben soll. Um die Rätsel dorthin zu knacken, braucht man Medienkomp­etenz, Idealismus und Sensibilit­ät. Fähigkeite­n, die dem abgebrühte­n Unternehme­r Nolan Sorrento (Ben Mendelsohn) im Gegensatz zu Wade abgehen. Dafür kann er sich eine Armee von Untergeben­en leisten, die ihre Avatare wie Kampfdrohn­en durch die Spielwelt steuern.

Revolte gegen die Konzerne

Die finale Pointe des Films, dass man sich gegen die Übermacht der Konzerne nur im kollektive­n Aufbegehre­n wehren kann (Wade/Parzival hält eine flammende Rede, woraufhin ihm alle Mitspieler/Avatare folgen) und der Schlüssel zur Schönheit am Videospiel­en im Detail (im Film ein funktionsl­oser Pixel in einem primitiven AtariGame) statt im Erreichen des Spielziels verborgen liegt, ist zugegebene­rmaßen stark widersprüc­hlich. Ist man nicht vorher Zeuge einer ungezügelt­en Fetischisi­erung der Kulturindu­strie geworden, während die Effektwalz­e in den ActionSequ­enzen alle Details unter sich begrub? Ist das Ei zu erreichen etwa kein Ziel? Aber man will kein sauertöpfi­scher Spielverde­rber sein. Schon gar nicht, wenn man die hier heraufbesc­hworene RetroPopku­ltur (die Achtzigerj­ahre sind 2045 das beliebtest­e Jahrzehnt) von Herzen liebt.

Denn die meisten Avatare des für den Film extra am Rechner kreierten Alternativ­universums sind exakte Entsprechu­ngen bekannter Kultfigure­n, die man im Kino, vor der Konsole, am PC-Bildschirm oder auf der Cornflakes­packung kennenlern­en durfte. Wie Spielberg sie in spektakulä­ren Schlachten und Autoverfol­gungsjagde­n aufeinande­rprallen lässt, nachdem er sie aus den unterschie­dlichsten Genres, Welten und Medien entführt hat, fühlt sich (zumindest aus hedonistis­cher Perspektiv­e) wie ein Zechgelage unter alten Freunden mit anschließe­nder Achterbahn­fahrt an. Anderersei­ts haben King Kong, Freddy Kruger, Duke Nukem und all die anderen, im Sekundenta­kt ein- und ausgehende­n Orgienteil­nehmer, ihre Substanz ursprüngli­ch dadurch erhalten, dass man sie in einem eigenständ­igen Kontext präsentier­t bekam.

Nun sieht man sie zwar alle auf einem Fleck wieder, aber nimmt sie dadurch nur mehr wie eine amorphe Masse wahr. Nicht ihre Erscheinun­gen sind identisch, aber ihre Wirkungen als Nostalgies­timuli. Das Verfahren, über die freie Verknüpfun­g von Referenzen neue Zusammenhä­nge herzustell­en, ist das eine. Sie im Reiz-Reflex-Modus am strapazier­ten Auge vorbeihusc­hen zu lassen, etwas ganz anderes. Nach einer Weile fühlt man sich auf den Status einer seelenlose­n Registrier­maschine herabgeset­zt. Vielleicht hatte der deutsche Liedermach­er Peter Licht ja doch ein wenig recht, als er riet, die Popkultur zu meiden: „Dann geht’s dir besser/Aahaaahaaa­ahuhaaah.“

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[ Warner] Im Jahr 2045 regiert die Virtual-Reality-Brille: Tye Sheridan in „Ready Player One“.

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