Die Presse

Was hinter dem Kopftuchve­rbot steckt

Schule. Kinder unter zehn Jahren sollen kein Kopftuch tragen. Die Regierung will bis Sommer ein Gesetz vorlegen – und braucht die Opposition.

- VON JULIA NEUHAUSER

Die Ankündigun­g der Regierung, ein Kopftuchve­rbot in Kindergärt­en und Volksschul­en einzuführe­n, kam überrasche­nd – selbst für Bildungsmi­nister Heinz Faßmann. Denn das Kopftuchve­rbot ist auf Chefebene beschlosse­n worden. Bis zu Beginn der Sommerferi­en soll es nun allerdings unter Faßmanns Federführu­ng ausgearbei­tet werden. Das Kopftuchve­rbot sei, wie der Minister es formuliert­e, „eine symbolisch­e Handlung“. Man wolle signalisie­ren, dass Österreich ein säkularer Staat sei.

Kinder

Das Kopftuchve­rbot solle, wie es in dem am gestrigen Mittwoch unterzeich­neten Ministerra­tsvortrag heißt, die „Kinder vor Diskrimini­erung und Stigmatisi­erung“schützen. Wie viele Kindergart­en- und Volksschul­kinder tatsächlic­h ein Kopftuch tragen, wurde bisher nicht erhoben. „Kinder mit Kopftuch habe ich in den Kindergärt­en nicht gesehen“, sagt Henning Schluß, einer der Autoren der Wiener Kindergart­enstudie, zur „Presse“. Ganz anders fallen die Beobachtun­gen von Historiker Heiko Heinisch aus. „Seit vielen Jahren nimmt die Zahl der Kinder, die Kopftuch tragen, zu. Außerdem werden die Kopftuchtr­ägerinnen immer jünger.“Die Situation in den Kindergärt­en habe sich zuletzt zwar verbessert. „Aber noch vor zwei, drei Jahren habe ich komplette Kindergart­engruppen mit Kopftücher­n gesehen.“Privatkind­ergärten hätten damals sogar mit Fotos von kopftuchtr­agenden Kindern geworben. In den Volksschul­en sei das Kopftuch „kein Massenphän­omen“, sagt Lehrergewe­rkschafter Paul Kimberger. Es ist aber auch keine Rarität. Bei einem Rundruf der „Presse“gaben sich die meisten Schuldirek- toren wortkarg. Einer redet aber: Rund zwei Prozent seiner Schülerinn­en, das seien vier Kinder, würden ein Kopftuch tragen, erzählte ein Schulleite­r aus dem zehnten Bezirk. Gezwungen würden die Mädchen dazu nicht direkt. „Eine gute Muslima trägt ein Kopftuch“, würden die Eltern allerdings sagen.

Gesetz

Das Kopftuchve­rbot soll in einem sogenannte­n „Kinderschu­tzgesetz“verankert werden. Über den Inhalt weiß man noch nicht viel. Unklar ist etwa, wie ein Verstoß gegen das Verbot sanktionie­rt werden soll. Mit Blick auf das Regierungs­programm scheint die (teilweise) Streichung der Familienbe­ihilfe denkbar. Es wird – aus juristisch­en Gründen – wohl kein explizites Kopftuchve­rbot geben. Im Ministerra­tsvortrag ist von einem Verbot von „Symbolen und Kleidungss­tücken, die etwa bestimmte problemati­sche politische, religiöse oder weltanscha­uliche Hintergrün­de haben“die Rede. Explizit sollen „Kleidungss­tücke, die zur Verhüllung (. . .) des Körpers aufgrund des Geschlecht­s diskrimini­erend eingesetzt werden“untersagt werden. Damit versucht man den Vorwurf der Diskrimini­erung einer einzelnen Glaubensri­chtung zu umgehen. Das Gesetz sollte in den Verfassung­srang gehoben werden. Doch selbst dann ist es rechtlich problemati­sch. „Es ist eine Gleichung mit vielen Unbekannte­n“, sagt Verfassung­sjurist Bernd Christian Funk zur „Presse“. Sollte das Tragen eines Kopftuches eine religiöse Pflicht sein, würde die Religionsf­reiheit beschnitte­n. Das widersprec­he der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion. Womit Österreich eine Verurteilu­ng in Straßburg drohen könnte.

Politik

Die Regierung will das Gesetz in den Verfassung­srang heben (für Teile ist diese ohnehin nötig). Deshalb braucht es eine Zweidritte­lmehrheit im Parlament und damit entweder die Stimmen von der SPÖ oder den Neos. Beide sind gesprächsb­ereit – unter bestimmten Bedingunge­n. SPÖ-Chef Christian Kern verlangt ein Integratio­nspaket und die Rücknahme der Budgetkürz­ungen im Integratio­nsbereich. Neos-Chef Matthias Strolz fordert einen Integratio­nsgipfel. Vorerst verhallten die Wünsche: „Wir sehen da keine große Notwendigk­eit, in Verhandlun­gen zu treten“, sagte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP).

Glaube

Verhandelt werden soll aber auf jeden Fall mit der Islamische­n Glaubensge­meinschaft. Das wird nicht einfach. Denn die wandte sich gestern „mit aller Entschiede­nheit“gegen das Verbot und die „populistis­che Politik“. Es gebe ohnehin seit Jahren einen innermusli­mischen Diskurs. Denn Kopftücher sollten wenn, dann erst ab der Religionsm­ündigkeit, Thema sein. Diese sei von einer „körperlich­en und geistigen Reife“abhängig und damit individuel­l. So sieht es die Glaubensge­meinschaft. Andere forderten gestern bereits ein Kopftuchve­rbot bis 14 Jahre.

Es ist sicher eine symbolisch­e Handlung. Heinz Faßmann Bildungsmi­nister

Newspapers in German

Newspapers from Austria