Die Presse

Mehr Staat, weniger privat: Leitartike­l von Oliver Pink

Ein Kopftuchve­rbot in Kindergärt­en und Volksschul­en ist richtig – und eigentlich längst überfällig. Auch aus liberaler Sicht.

- VON OLIVER PINK E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

E s ist ein altes liberales Dilemma: Einerseits soll der säkulare Staat einem allzu starken Einfluss der Religion – im konkreten Fall nun des Islam – Widerstand entgegense­tzen. Anderersei­ts soll sich der Staat in das Privatlebe­n der Menschen und deren persönlich­e Entscheidu­ngen so wenig wie möglich einmischen – im konkreten Fall nun eben Bekleidung­svorschrif­ten betreffend.

Aber auch gemäß klassisch liberaler Lehre angelsächs­ischer Provenienz gibt es zumindest einen Bereich, in dem dem Staat im Zweifel der Vorzug vor den Interessen des Einzelnen zu geben ist: Und das ist die Bildung – und der Zugang dazu. Das von der Autorität des Staates geschützte Wohl des Kindes steht hier über jener der Eltern. Der Staat gibt den Rahmen vor. Für Eltern, die ihre Kinder nicht in die Schule schicken, forderte der liberale Vordenker John Stuart Mill, der selbst von seinem Vater unterricht­et worden war, harte Strafen.

Man kann das auch auf die Kopftuchde­batte übertragen. Es ist richtig, wenn der Staat hier ebenfalls den Rahmen – und verbindlic­he Regeln – vorgibt. Und der elterliche­n Autorität, die kleinen Mädchen aus religiösen Gründen ein Kopftuch aufzwingt – von einer wirklich freien Entscheidu­ng wird in diesem Alter wohl noch keine Rede sein können –, Grenzen setzt. Man

fragt sich sogar, wieso Kopftücher in Kindergärt­en und Volksschul­en bisher überhaupt erlaubt waren. Eine mögliche Antwort könnte lauten: Weil das Problem bisher nicht allzu sichtbar war, es nur wenige Fälle gab. Aber es gibt sie. Und damit es nicht mehr werden, sollte der säkulare Staat hier auf seinem Hoheitsgeb­iet der Bildung ein Zeichen setzen.

Und man kann so ein Kopftuchve­rbot ja auch anders sehen: Als Akt der Solidaritä­t gegenüber jenen gar nicht so wenigen Muslimen, die das Kopftuch ebenfalls als archaische­s und stigmatisi­erendes Relikt sehen und ablehnen. Als Hilfestell­ung für jene Mädchen, die sich mit dem Verweis auf die staatliche­n Vorgaben dann die Debatten zu Hause ersparen, ob sie nun ein Kopftuch tragen müssen oder nicht.

Die türkis-blaue Bundesregi­erung benötigt für ein Kopftuchve­rbot im Kindergart­en eine Zweidritte­lmehrheit. Und da wäre einerseits zu hoffen, dass die nunmehrige Koalition hierbei nicht so kopflos vorgeht wie die Vorgängerr­egierung beim Burka-Verbot. Da wurde ein vernünftig­es Anliegen legistisch der Lächerlich­keit preisgegeb­en. Plötzlich wurde nur noch darüber diskutiert – und gelacht –, ob man nun einen Schal oder eine Faschingsm­aske tragen darf. Und nicht über ein Unterdrück­ungssymbol des politische­n Islam.

Und anderersei­ts wäre zu hoffen, dass entweder die SPÖ oder die Neos – am besten beide – der Regierung die Zustimmung nicht verweigern. Auch wenn es schwerfall­en mag, mit ÖVP und FPÖ an einem Strang zu ziehen. Der Vorsitzend­e der SPÖ, Christian Kern, hat am Mittwoch jedenfalls schon einmal seine prinzipiel­le Bereitscha­ft signalisie­rt: „Die SPÖ lehnt es ab, wenn Mädchen im Kindergart­en und der Volksschul­e Kopftuch tragen.“A llerdings ist die Kopftuchde­batte für die SPÖ keine unheikle. Als die neue Wiener Landespart­eisekretär­in Barbara Novak unlängst ein Kopftuchve­rbot in Schulen forderte, gab es postwenden­d Kritik von Genossinne­n und Genossen an ihr. Die abtretende SPÖBezirks­vorsteheri­n von Wien Alsergrund, Maria Malyar, griff dabei im Abschiedsg­espräch mit der „Presse“sogar zu einem einigermaß­en skurrilen Vergleich: Dass sechs- bis achtjährig­e Mädchen Kopftuch trügen, sei Nachahmung von Erwachsene­n, kein Zwang, also freiwillig. Achtjährig­e Österreich­er würden aus Nachahmung­sgründen ja auch einmal Bier trinken oder eine Zigarette rauchen. Tja.

Neos-Chef Matthias Strolz wiederum steckt im eingangs geschilder­ten liberalen Dilemma. Man kann ihm argumentat­iv allerdings ganz gut heraushelf­en. Und wenn der Preis für die Zustimmung auch noch ein „Integratio­nsgipfel“ist – dann nichts wie ran.

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