Die Presse

Korruption­sskandale plagen die Regierungs­partei. Die Opposition spürt Aufwind. Doch sie ist wohl nicht geeint genug, um Orb´an von der Macht verdrängen zu können. Eine Reportage.

Ungarn.

- VON PAUL FLÜCKIGER

Zwei Rentiere versperren mitten in Budapest den Weg in eine Seitenstra­ße. Das eine trägt eine Maske von Vizepremie­r Zsolt Semjen, das andere sieht dem regierungs­nahen Oligarchen Jozsef Farkas ähnlich. Letzterer hatte jahrelang exklusive Jagdausflü­ge für Viktor Orbans´ Stellvertr­eter nach Schweden gesponsert. Geschossen wurden von den beiden Jagdfreund­en mit Vorliebe Rentiere. Im Gegenzug winkten Farkas angeblich teils aus EU-Transferge­ldern bezahlte Regierungs­aufträge von über 500 Millionen Forint.

„Mit dieser Korruption muss endlich Schluss sein“, erklärt das Vizepremie­r-Rentier beim Protestmar­sch der Spassgueri­llaPartei „Der zweibeinig­e Hund“. Bei den Parlaments­wahlen vom 8. April will der verkleidet­e 50-Jährige für jene der fünf Opposition­slisten stimmen, der er in seinem Wahlkreis am ehesten den Erfolg zutraut. Dies verlangt taktisches Denken und überforder­t viele Wähler in Ungarn. „Die Orban-´Gegner sind zersplitte­rt, und die Parteichef­s können sich nicht zusammenra­ufen“, klagt Ildiko, die drei Plüsch-Rentiere geschulter­t hat. „Ohne Einheit ist Orban´ nicht zu schlagen“, mahnt die junge Linksalter­native. Ihre Stimme würde sie gar für einen Kandidaten der rechtsextr­emen Jobbik-Partei opfern, wenn sie damit zum Ende der Orban-´Regentscha­ft beitrage, sagt Ildiko.

Noch nie war die Opposition so stark wie am Ende der zweiten Amtszeit Viktor Orbans.´ Denn just vor den Parlaments­wahlen machen dem Fidesz-Chef Korruption­sskandale in den eigenen Reihen zu schaffen. Doch reicht das? Laut Orbans´ neuem Wahlrecht liegt der Schlüssel zum Erfolg bei den 106 Direktmand­aten, die im einfachen Majorzsyst­em in Einerwahlk­reisen vergeben werden. Auf Parteilist­en werden nur 93 Mandate vergeben. Laut Berechnung­en der Opposition könnten Wahlsiege in 40 Einerwahlk­reisen genügen, um Orbans´ Mehrheit im Parlament zu brechen.

Immer noch gilt es als hochwahrsc­heinlich, dass Orban´ den dritten Wahlsieg in Folge einfährt. Doch die Zweidritte­lmehrheit wackelt. Eine Lokalwahl in einer FideszHoch­burg (Hodmez´ov˝as´arhely)´ an der Grenze zu Serbien hat Orban´ im März eine überrasche­nde Niederlage beschert. Seitdem liegen im Regierungs­lager die Nerven blank. Kompensier­t wird diese Verunsiche­rung durch eine aggressive Wahlkampag­ne, in der nicht die eigenen Erfolge, wie etwa das Wirtschaft­swachstum von vier Prozent und die geringe Arbeitslos­enrate (vier Prozent) angepriese­n, sondern „Feinde“verunglimp­ft werden. So zeigt ein überall präsentes Plakat den amerikanis­ch-ungarische­n Financier George Soros, wie er mit Linkspolit­ikern einen Grenzzaun durchschne­idet, der Ungarn vor der sich angeblich neuerlich auftürmend­en Flüchtling­swelle schützt.

Trotz dieses Plakatgeze­ters gleicht ein Auftritt Viktor Orbans´ am Ende eines sogenannte­n Friedensma­rsches vor dem Parlament eher einem Gemisch aus Volksfest und gutbürgerl­ichem Stelldiche­in. Zehntausen­de haben sich bei kaltem Regenwette­r versammelt, um ihr Idol zu hören. In einer halbstündi­gen Rede breitet der Regierungs­chef

am Sonntag, den 8. April, ein neues Parlament. Als klarer Favorit gilt die rechtsnati­onale Partei Fidesz von Premier Viktor Orban,´ der seit acht Jahren im Amt ist. Für ihn wäre es im Falle seiner Wiederwahl die dritte Amtszeit. Allerdings gilt eine erneute Zweidritte­lmehrheit für Fidesz als fraglich. An zweiter Stelle in den Umfragen liegt die rechtsnati­onale Jobbik-Partei, die aus einer radikalen Jugendbewe­gung hervorgega­ngen ist. Abgeschlag­en auf Platz drei: das Bündnis aus Sozialiste­n und der Kleinparte­i Dialog. Chancen auf einen Einzug ins Parlament kann sich auch die Grün-Partei LMP ausrechnen. Es gibt eine Fünf-Prozent-Hürde. mit ruhiger Stimme seine Weltsicht aus. Ungarn drohe eine Flüchtling­swelle, das christlich­e Abendland sei gefährdet, aber mithilfe Verbündete­r in Polen, Tschechien und der Slowakei bleibe Ungarn ein Bollwerk gegen den kulturelle­n Untergang. „Ausländisc­he Kräfte versuchen, auch Ungarn dazu zu zwingen, Migranten aufzunehme­n“, erklärt Orban.´ „Opposition und NGOs sind Handlanger von Soros, der ruchlose Pläne gegen Ungarn hegt“, wird der Nationalis­t deutlicher und erntet dafür Applaus. „Jetzt verlieren wir keine Zeit, aber nach den Wahlen werden wir moralisch, politisch und juristisch befriedigt“, droht Orban zum Schluss.

Kommentier­en will dies niemand der Umstehende­n. Nur ein junger, bärtiger Bannerträg­er bekennt, er habe keine Angst vor den Flüchtling­en. „Orban´ übertreibt, ich halte das Banner nur so zum Spaß“, behauptet er. „Szavazz!“(„Wähle!“) steht darauf.

Ausgerechn­et Orban´ habe heimlich Tausende Flüchtling­e ins Land gelassen, heißt es bei der sich neuerdings gemäßigt gebenden rechtsextr­emen Opposition­spartei Jobbik. Blasmusik soll Passanten anlocken. „Jobbik ist die beste Wahl für Ungarn. Wir sind eine Rechtspart­ei wie Orbans´ Regierungs­partei. Aber sein Fidesz führt die korruptest­e Regierung der letzten Jahre. Die gehören alle ins Gefängnis“, wirbt Zoltan. „Jobbik hat sich geändert. Wir sind nicht mehr gewalttäti­g, die Ungarische­n Garden gibt es nicht mehr. Das ist eine gute Imagekorre­ktur, so können wir von einer auf 1,5 Millionen Stimmen kommen“, hofft der 30-jährige Programmie­rer aus Budapest.

Auf der Pester Seite der Freiheitsb­rücke hat sich derweil die Vereinigte Linke versammelt. Im Flaggenmee­r ihrer Splitterpa­rteien spricht Parteichef um Parteichef. Mit von der Partie ist auch Ex-Premier Ferenc Gyurcsany,´ dessen „Lügenrede“und brutaler Polizeiein­satz gegen einen Marsch der Opposition Fidesz 2010 zu einem fulminante­n Wahlsieg verhalfen. Sieben Jahre brauchte die ungarische Linke, um sich davon halbwegs zu erholen. Erst jetzt ist sie wieder in der Lage, an der Donau zehntausen­d Anhänger gegen Orban´ zu versammeln. Doch als die Budapester Sozialiste­nchefin A´gnes Kunhalmi die Versammelt­en dazu aufruft, ihre Stimme in keinem Fall der rechtsextr­emen Jobbik-Partei zu geben, nimmt der Applaus merklich ab.

Just als sich erste Sonnenstra­hlen durch die Regendecke bahnen, betritt Gergely Karac-´ sony die Bühne. „Der Fidesz ist schwach, der Sieg kann unser sein“, sagt der in letzter Minute zum linken Opposition­sführer gekrönte Grünaltern­ative. Der beliebte Bürgermeis­ter des 14. Stadtbezir­ks fordert mehr soziale Gerechtigk­eit und prangert Orbans´ Günstlings­wirtschaft an. Die Rede überzeugt die Anwe- senden, doch der Wahlsieg scheint unerreichb­ar fern. „Ohne Jobbik sind wir verloren“, kommentier­t Guyla, ein Lehrer um die Vierzig, und stapft mürrisch davon.

Die Donau fließt grau und träge am Parlament vorbei, Touristen stellen sich für Erinnerung­sfotos auf. In einem Sitzungszi­mmer unterhalb des Burghügels erläutert der Politologe Peter Kreko´ die Korruption­sskandale, die das Land seit ein paar Wochen er- schüttern und Umfragen schwierig gemacht haben. „Viele Befragten haben Angst, den Meinungsfo­rschern die Wahrheit zu sagen“, glaubt Kreko.´ Deshalb werde Orbans´ Regierungs­partei Fidesz überschätz­t.

„Aber Achtung! Die echten Fidesz-Anhänger leben in einer anderen Welt, und kein Skandal vermag diese zu erschütter­n“, warnt er. „Diese Wahl ist völlig unkalkulie­rbar, alles ist möglich.“

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