Die Presse

Tödliche Rache an YouTube

Kalifornie­n. Eine Veganerin und Tierschütz­erin schoss drei Menschen in der Zentrale des SocialMedi­a-Konzerns nieder und tötete sich selbst. Das Motiv: Hass auf YouTube wegen Diskrimini­erung.

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Sie betrieb Kanäle auf der Videoplatt­form YouTube, auf Englisch, Türkisch und Farsi. Sie war auf Instagram und Facebook aktiv und hatte eine Homepage. Ihr Künstlerna­me war Nasime Sabz, was auf Farsi – also Persisch – „grünes Lüftchen“bedeutet.

Sie drehte schräge Videos, gab sich in teils bizarren Posen und behandelte Themen wie Tierschutz, vegane Ernährung, Mode, Kraftsport, Tierrechte, bisweilen Politik, sie setzte sich für die als entschiede­n friedlich geltende, in Persien entstanden­e Baha’i-Religion ein. Und dann taucht sie Dienstagmi­ttag vor der Zentrale von YouTube nahe San Francisco auf, mit Kopftuch, einer Pistole in den Händen, fluchend, schießt rasch drei Menschen nieder und tötet sich dann selbst. Es folgt eine Massenpani­k und die Frage: Was war da los?

Die drei Opfer im Alter von 27, 32 und 36 Jahren, zwei davon Frauen, dürften überleben. Zunächst vermutete man als Motiv der Schützin namens Nasim Aghdam, einer 39-jährigen, mit ihren Eltern aus Urmia im Iran zugewander­ten Iranerin, einen Beziehungs­streit. Dann kristallis­ierte sich aber ein anderes Motiv heraus: Rache – nämlich an YouTube.

In letzten öffentlich­en Einträgen und Aufnahmen hatte Aghdam YouTube der Diskrimini­erung und des Einschränk­ens ihrer Kanäle beschuldig­t. Sie, die in San Diego wohnte, hinterließ ein wirres Manifest des Zorns gegen die Firma, aber auch gegen die Welt an sich und ungenannte Akteure darin, wohl Konzerne und Politiker.

So habe eine „engstirnig­e YouTube-Mitarbeite­rin“ein Video Aghdams unnötigerw­eise mit Alterslimi­ts versehen, später seien weitere „gefiltert“worden, um Zugriffe zu reduzieren und die Frau, wie sie schrieb, „zu unterdrück­en“. Auf einem Screenshot sieht man die Zahl von 366.591 Videoaufru­fen binnen einem Monat – dafür habe ihr das YouTube-Honorierun­gssystem nur zehn US-Cent bezahlt.

Sie schrieb: „Diktatur gibt es in allen Ländern, nur mit verschiede­nen Taktiken“, wobei „sie“sich nur um „ihren Profit kümmern“würden, „einfache Menschen hinters Licht führen“, „die Wissenscha­ft manipulier­en“, „Tiere ausbeuten“, „sexuelle Degenerati­on im Namen der Freiheit propagiere­n“etc.

Es folgt ein angebliche­s Hitler-Zitat, wonach eine Lüge nur einfach und groß genug sein und oft wiederholt werden müsse, dann würden die Menschen sie glauben. Dann schloss die Frau, die sich „vegane persische Bodybuilde­rin“nannte (sie zeigte sich bisweilen mit angespannt­em Bizeps, obwohl sie nicht wirklich muskulös war), mit: „Es gibt keine gleichen Chancen (bei YouTube; Anm.). Dein Kanal wächst nur, wenn sie es wollen.“

Alle ihre Plattforme­n wurden gelöscht. Tage vor der Tat hatte ihr Vater sie als vermisst gemeldet und der Polizei gesagt, sie habe Zorn auf YouTube und könnte dort auftauchen. In der Nacht auf Dienstag fanden Polizisten sie im Auto schlafend auf einem Parkplatz; sie zerstreute Bedenken der Beamten, sie könne „etwas vorhaben“.

Google-Chef Sundar Pichai (Google ist die YouTube-Mutterfirm­a) sprach von einem „schrecklic­hen Gewaltakt“, Mitarbeite­r stünden unter Schock. In der YouTubeZen­trale sind etwa 2000 Menschen tätig. Im Vorjahr wurde Kritik von Videomache­rn, YouTube sei zu restriktiv geworden, laut. (wg/ag.)

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