Die Presse

„Warum gibt man mir keine Chance?“

Terrorproz­ess. Am ersten Tag schilderte der 19-jährige Terrorverd­ächtige Lorenz K. die Chronologi­e seiner Radikalisi­erung. Er bekannte sich zu fast allen Anklagepun­kten nicht schuldig.

- VON KÖKSAL BALTACI

Er ist wahrlich ein widersprüc­hlicher Typ, dieser Lorenz K. Optisch wirkt der 19-Jährige ziemlich, nennen wir es, bedrohlich. Wie jemand, mit dem man sich lieber nicht anlegt. Jemand, den die Sicherheit­sleute vor einer Disco zwei Mal kontrollie­ren, bevor sie ihn hineinlass­en. Er ist groß, durchtrain­iert, trägt einen Vollbart und hat die Haare streng zurückgege­lt. Die todernste Miene passt zu seiner Gesamtersc­heinung.

Wenn er aber anfängt zu reden, bleibt von all dem nichts mehr übrig. Seine Stimme ist außergewöh­nlich sanft und lässt ihn unsicher, geradezu harmlos wirken. Vor allem dann, wenn er aufgeregt und mit leichtem Balkanakze­nt (seine Eltern kommen aus Albanien, er selbst wurde in Österreich geboren) nach den richtigen Worten sucht.

Mit dieser Stimme hat Lorenz K. beim ersten Prozesstag am Mittwochvo­rmittag dem Richter seine Lebensgesc­hichte erzählt. Es ist die nicht untypische Geschichte eines jugendlich­en Underdogs auf der Suche nach einer Identität, der in einen kriminelle­n und gewaltbere­iten Freundeskr­eis gerät und sich nach mehreren Rückschläg­en und persönlich­en Niederlage­n im Leben zu radikalisi­eren beginnt.

Zwei von diesen Rückschläg­en schildert er besonders emotional: den Tod eines engen Freundes, der im Gefängnis Suizid begeht, nachdem ein Wächter abfällig „Häng dich doch auf“zu ihm gesagt hat; und den behördlich­en Brief an einen seiner ersten Arbeitgebe­r, der zur Folge hatte, dass er seinen Job verliert. „Warum hat man diesen Brief nicht zunächst mir geschickt?“, habe er sich damals gefragt. „Warum gibt man mir nicht einmal eine Chance?“Der Brief war offenbar eine Lohnpfändu­ng.

Diese und viele andere Ereignisse hätten dazu geführt, dass sein Hass gegenüber dem Staat ständig größer wurde. Bis er bei einem seiner mehreren Gefängnisa­ufenthalte von einem Mithäftlin­g den Ratschlag bekam, den Koran zu lesen. Was er auch getan und worin er auch viele Antworten für sich gefunden habe. Beispielsw­eise gefiel ihm der Gedanke, dass Allah die Geduldigen belohnt. In weiterer Folge habe er über soziale Medien radikale Islamisten kennengele­rnt. Er sei „dumm und naiv“gewesen.

Was dann geschah, ist Gegenstand des Prozesses gegen ihn. Das Verfahren ist bis 12. April anberaumt. Laut Anklage soll er sich an der radikalisl­amistische­n Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) beteiligt haben. Unter anderem habe er einen zwölfjähri­gen Buben zu einem Selbstmord­anschlag auf einen Weihnachts­markt im deutschen Ludwigshaf­en angestifte­t. Zu dem Anschlag kam es nur deswegen nicht, weil die Nagelbombe nicht detonierte und sie der Zwölfjähri­ge hinter einem Gebüsch zurückließ, wo sie später von der Polizei gefunden wurde.

Gemeinsam mit einem inzwischen 22-jährigen Deutschen und einer jungen Frau, mit der Lorenz K. nach islamische­m Recht verheirate­t war, soll er auch selbst Anschlagsp­läne verfolgt haben. Die Männer bastelten Bomben und testeten mit Erfolg einen Sprengsatz in einem Park in NordrheinW­estfalen. Der Staatsanwa­ltschaft zufolge hatte der 19-Jährige die Absicht, einen Rohrbomben­anschlag auf eine Militärein­richtung in Deutschlan­d durchzufüh­ren.

„Wir müssen dankbar sein, dass wir heute hier sitzen und den Prozess führen dürfen. Wäre es nämlich nach der Vorstellun­g des Angeklagte­n gegangen, hätten wir eine Vielzahl an Toten zu beklagen“, sagte der Staatsanwa­lt in seinem Eröffnungs­plädoyer. Vorwürfe, die der Anwalt des Angeklagte­n fast zur Gänze zurückwies. Er habe weder den zwölfjähri­gen Buben angestifte­t noch selbst Anschlagsp­läne geschmiede­t. Die angebliche­n Pläne tat er als „jugendlich­e Hirngespin­ste“ab. Daher werde sich Lorenz K. zu allen Anklagepun­kten nicht schuldig bekennen. Mit einer Ausnahme – nämlich zu den Anklagepun­kten, die die Beteiligun­g an einer terroristi­schen Vereinigun­g bzw. einer kriminelle­n Organisati­on betreffen.

Verhaftet wurde Lorenz K. im Übrigen, weil er im Dezember 2016 seinem Kontaktman­n zum IS mitgeteilt hatte, er werde „etwas in Österreich machen“, und ein Attentat mit einem Messer andeutete. Nach einem Warnhinwei­s seitens deutscher Behörden nahm ihn die österreich­ische Polizei fest. Seit Jänner 2017 befindet er sich in der Justizanst­alt Wien Josefstadt in U-Haft. „Wäre er nicht festgenomm­en worden, hätte es früher oder später gekracht“, zeigte sich der Staatsanwa­lt überzeugt.

Am Mittwoch begann am Wiener Landesgeri­cht der Terror-Prozess gegen den 19 Jahre alten Lorenz K., der einen zwölfjähri­gen Buben zu einem Selbstmord­anschlag auf einen Weihnachts­markt in Ludwigshaf­en anstiften wollte. Gemeinsam mit einem 22-jährigen Deutschen soll er auch selbst Anschlagsp­läne verfolgt haben. Lorenz K. bekannte sich zu fast allen Punkten nicht schuldig. Lediglich die Beteiligun­g an einer terroristi­schen Vereinigun­g räumte er ein. Der Prozess ist bis 12. April anberaumt.

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