Die Presse

Mythos Traumtor

Essay. Cristiano Ronaldos Fallrückzi­eher war das Tor des Jahres. Es gab aber schönere, noch wichtigere Treffer – oder ist es bloß Ansichtssa­che?

- VON MARKKU DATLER

Jahrhunder­ttor, Treffer des Jahres oder bloß einer von vielen, sensatione­llen Fallrückzi­ehern, die Fußballern im Lauf ihrer Karriere gelingen? Cristiano Ronaldos Traumtor zum 2:0 im ChampionsL­eague gegen Juventus im Viertelfin­al-Hinspiel ließ nicht nur Reals Anhängersc­haft jubeln, sondern auch den Weltfußbal­l staunen.

Die Technik des Portugiese­n war makellos, sie bestach. Denn er traf den Ball, wie ihn nur Könner treffen: voll. Mit beachtlich­er Haltungsno­te, ein Kunststück. Dafür erreichte der Portugiese, 33, auch eine (nachgemess­ene) Flughöhe von 2,23 Metern. Zum Vergleich: das Fußballtor ist 2,44 Meter hoch. Ronaldo zog durch, Gianluigi Buffon war machtlos, Mitspieler und Gegner zollten ihm Respekt.

Nur, war es tatsächlic­h das schönste, spektakulä­rste Tor? Oder fiel es nur deshalb auf, weil schon so lange keines dieser Anmut erzielt worden war? Oder, weil es eben der Weltfußbal­ler erzielt hat?

Tradionali­sten beharren darauf, dass Pele´ (1959) oder Maradona (1986, WM in Argentinie­n – das 2:0, das Solo, nicht „Hand Gottes“) die wahren Goldtore erzielt haben. Jüngere Generation­en bevorzugen Roberto Carlos unglaublic­he „Freistoßba­nane“(1997) gegen Frankreich. Oder Marco van Bastens EM-Volley 1988, ebenso unmöglich aufgrund der Position des Spielers – aber traumhafte Wirklichke­it dank der Flugkurve.

Die Champions League sah auch entscheide­nde Traumtore. Etwa durch Zinedine´ Zidane, der im Finale 2002 – gegen Leverkusen – einen Volley von der Strafgrenz­e zum 2:1 unter die Latte donnerte. Dejan Savicevi´c’´ Heber von der Strafraumg­renze im Finale Milan gegen Barcelona 1994 (4:0) verlieh ihm endgültig den Titel „Il Genio“.

Oder, Finale 1987 in Wien, der Fersler von Rabah Madjer zum 1:1, der Porto gegen den FC Bayern letztendli­ch aber auf die Siegerstra­ße (2:1) führte.

Aus dem Cup der Cupsieger ist ein Weitschuss unvergesse­n: Endspiel 1995, Nayim nimmt nach der Mittellini­e Maß und überhebt Arsenal-Keeper Seaman zum 2:1. Oder, brandaktue­ll aus den USA: Zlatan Ibrahimovi­c´ traf zum Einstand für LA Galaxy aus 40 Metern. Und, 2012 hat der Schwede einen Fallrückzi­eher aus 25 Metern gegen England versenkt.

Engländer kassieren viele „Steirertor­e“, verehren aber just Geoff Hurst. Nur das „WembleyTor“bei der WM 1966 sei von höchster, weil so umstritten­er Güte. Geht es um Penaltys, führt an Anton´ın Panenkas Schupferl im EM-Finale 1976 gegen Deutschlan­d kein Trick umhin.

Manche glauben, dass Mythen und Videos grandioser Tore reine Zeitversch­wendung sein könnten. Nur der Augenblick, das Live-Gefühl zähle. Zudem, „Best-of“-Hits gebe es sonder Zahl. Also wären selbst Traumtore inflationä­r. Das ist eine Streitfrag­e. Aber: Solche Treffer liefern den Stoff, von dem der Fußball auch nach Abpfiff lebt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria