Die Presse

Eine Machtprobe mit den Kräften von gestern

Die Anti-Reform-Streiks in Frankreich sind ein Signal für ganz Europa.

- Josef.urschitz@diepresse.com

W er in Frankreich auf die Bahn angewiesen ist, hat jetzt schlechte Karten: In den nächsten drei Monaten wird der Bahnverkeh­r durch Streiks regelmäßig lahmgelegt werden. Aber die Bahn ist nur die Spitze: In vielen anderen staatliche­n und privaten Unternehme­n wird auch gestreikt.

Es geht also um viel mehr als um die Verteidigu­ng von anderswo (etwa auch in Österreich) für neu Eintretend­e längst abgeschaff­te Eisenbahne­rprivilegi­en. Es geht offenbar um die große Machtprobe der in Frankreich sehr starken Gewerkscha­ften mit der Reformregi­erung Macron.

Auch um eine Art Revanche für die Arbeitsref­orm des vergangene­n Herbstes, die relativ friktionsf­rei über die Bühne gegangen war, obwohl die Gewerkscha­ften dagegen stark zu mobilisier­en versucht hatten.

Jetzt, da die Eisenbahne­r die Speerspitz­e gegen die längst überfällig­e Modernisie­rung des Landes sind, erhofft man sich etwas mehr Mobilisier­ungskraft. Schließlic­h werden die Werktätige­n ja drei Monate lang häufig damit konfrontie­rt, dass der Pendlerzug nicht kommt.

Ob die Solidaritä­t des stets von Kündigung bedrohten Fabriksarb­eiters nicht ein wenig überstrapa­ziert wird, wenn er das in Kauf nehmen muss, um den streikende­n Lokführern in alle Ewigkeit 50 Tage Urlaubsans­pruch, Unkündbark­eit und Rente mit 52 zu garantiere­n, wird eine spannende Frage. D ie noch spannender­e wird aber, ob es den Gewerkscha­ften gelingt, die Macron-Reformen mit dieser Brachialst­rategie zu kippen. Das wäre ein inferiores Signal für Europa. Denn eines muss man sehen: Die für das Machtgefüg­e in unserer sozialen Marktwirts­chaft so wichtigen Gewerkscha­ften haben sich in vielen Fällen von der Speerspitz­e des sozialen Fortschrit­ts zu rückwärtsg­ewandten Blockierer­n entwickelt.

Das tut weder den ohnehin abstiegsbe­drohten europäisch­en Ländern gut noch den Gewerkscha­ften selbst. Die werden im digitalen Zeitalter ein Existenzpr­oblem bekommen, wenn sie im 21. Jahrhunder­t eine Arbeitnehm­erpolitik für das 19. Jahrhunder­t versuchen.

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