Die Presse

Wenn Konservati­ve nach rechts gehen

Gesellscha­ft. Ausdünnung der Mitte, Staatsverd­rossenheit, Erbitterun­g übers traditione­lle Parteiensy­stem: In Deutschlan­d findet ein Schultersc­hluss zwischen Vertretern des Bürgertums und „Neuen Rechten“statt, der manche an Weimar erinnert.

- DONNERSTAG, 5. APRIL 2018 VON GÜNTHER HALLER [ iStockphot­o ]

Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschlan­d durch die illegale Masseneinw­anderung beschädigt wird. Wir solidarisi­eren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrie­ren, dass die rechtsstaa­tliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederherg­estellt wird.“Diese Proklamati­on, die am 15. März 2018 zur Diskussion gestellt wurde und suggeriert, Deutschlan­d lebe wegen eines Staatsvers­agens in einem illegalen Rechtszust­and, umfasst nicht mehr als diese zwei Sätze. Souverän außer Acht gelassen wird, dass die Masseneinw­anderung längst gestoppt ist. Wissenscha­ftler, Künstler, Intellektu­elle wurden eingeladen, den Text mit ihrer Unterschri­ft zu unterstütz­en. Man solle nicht vergessen, den akademisch­en Titel hinzuzufüg­en. 2018 Personen folgten dem Aufruf, unter ihnen das neue Feindbild der deutschen Linken, der Schriftste­ller Uwe Tellkamp, der Islamexper­te Bassam Tibi, Thilo Sarrazin fehlt nicht, ebenso wenig wie der bekannte Publizist Henryk M. Broder, der in der Vergangenh­eit gern über „Unterschri­ftsteller“spottete, deren Namen man unter jedem Manifest finden könne. Seit Ostern darf auch das Volk sich im Reich der Like-Buttons austoben und unterschre­iben, als Reaktion auf den Vorwurf des Elitarismu­s. Wenig Anklang findet die Aktion bei Frauen, sie sind nur zu 15 Prozent vertreten. Initiatori­n dieser „Erklärung 2018“ist die frühere CDUPolitik­erin Vera Lengsfeld, sie zeigt jetzt Sympathien für die AfD.

Eine APO – diesmal von weit rechts?

Geplant ist eine Petition für den Deutschen Bundestag. Kann man dann getrost zur Tagesordnu­ng übergehen, oder entwickelt sich hier gerade 50 Jahre nach 1968 eine Außerparla­mentarisch­e Opposition (APO) von rechts? Interessan­t ist die Melange, die sich auf dieser Liste zum Schultersc­hluss zusammenfi­ndet. Es sind Vertreter der sogenannte­n Neuen Rechten, radikale Denker. Mili- tante oder NPD-Funktionär­e sind ausgeschlo­ssen. Unterzeich­ner sind aber auch typische Vertreter aus dem konservati­ven Bürgertum, auffällig viele Ärzte sind unter ihnen, auch Rechtsanwä­lte und Wissenscha­ftler. Das ist auch ein Unterschie­d zur inzwischen aus den Schlagzeil­en geratenen islamfeind­lichen Pegida-Bewegung, die sich mehr aus dem Kleinbürge­rtum rekrutiert­e. Beiden Bewegungen gemeinsam ist aber wohl, wenn auch nicht immer offen ausgesproc­hen, die Parole: „Merkel muss weg!“Das Delikt: Schuld am Staatsvers­agen in der Flüchtling­skrise.

Risse in der liberalen Demokratie

Ein Erfolg zeichnet sich ab. „In Champagner“-Laune sieht „Zeit“-Autor Thomas Assheuer die radikale Rechte (er selbst belegt sie sehr pauschal mit dem Begriff „Die Rechte“) – weil ihr etwas zu gelingen scheint, was seit 1945 in der Bundesrepu­blik Deutschlan­d nicht möglich war: dass ihre Ideen in konservati­ven Kreisen endlich hoffähig werden. Ohne Schultersc­hluss mit den Konservati­ven, die sich in Adenauers und Kohls CDU zusammenfa­nden, blieb diesen Strömungen nur der Rückzug, die Schmuddele­cke, das Warten auf den Moment, in dem das System der liberalen Demokratie anfangen würde, Risse zu bekommen.

Nicht verwunderl­ich, dass die drohende Abwendung der konservati­ven bürgerlich­en Mittelschi­cht von den Idealen der liberalen Demokratie die Diskussion um den Niedergang der deutschen Demokratie neu belebt. Bereits im Vorjahr, als sich der Einzug der AfD in den Bundestag abzuzeichn­en begann, stellten sieben Historiker die Frage: Droht eine Wiederkehr von Weimar? Ihre Analysen wurden im Bayerische­n Rundfunk gesendet, in der „FAZ“abgedruckt und sind nun auch im Verlag Reclam unter dem Titel „Weimarer Verhältnis­se“erschienen.

Die Bitterkeit gegen ein Parteien- und Regierungs­system, in dem sich breite Kreise im Stich gelassen fühlten, ist für Anfang der 1930er-Jahre vielfach belegt. „Von einer parlamenta­rischen Regierung will man nichts mehr wissen, da alle großen Parteien versagt hätten“, heißt es im Dezember 1932 in einem Bericht aus Bayern. Der massive Zorn auf alle Verantwort­lichen war die eine Seite, die andere war der Wunsch nach sozialer Harmonie und Einheit, die durch die Ausschaltu­ng all derer, die das verhindert­en, erzwungen werden sollte. Das ist eine Grundstimm­ung, die angesichts von Migrations­schüben und Globalisie­rung in nicht wenigen europäisch­en Ländern heute genauso auftritt.

Aus einzelnen Beschwerde­n bildete sich damals im Mittelstan­d eine allgemeine Unzufriede­nheit heraus. Die Attraktivi­tät einer autoritäre­n Herrschaft ging zum Teil darauf zurück, dass durch sie eine Rückkehr zur guten alten Zeit möglich erschien. Eine Mischung von restaurati­ven und revolution­ären Wunschvors­tellungen. Man versuchte im Kampf gegen eine sich verändernd­e Welt soziales Prestige zu bewahren, das man in der nüchternen republikan­ischen Wirklichke­it nicht mehr zu finden glaubte. Daher die nervöse, für radikale Parolen anfällige Gereizthei­t und die Suche nach einer „neuen“Partei. Vom modernen, interventi­onistische­n Staat erwartete man sich keine Hilfe.

Angst über den Verlust des Vertrauten

In harten Zeiten war nichts einfacher, als Neid und Hass auf eine Bevölkerun­gsminderhe­it zu lenken, auf die eine halbe Million Menschen zählende jüdische Gemeinscha­ft. Drei Jahre wirtschaft­liche Depression ge- nügten, um eine intolerant­e Gesellscha­ft zu hinterlass­en und die humanen Prinzipien, auf denen die Weimarer Republik gegründet worden war, zurückzudr­ängen. Viele, nicht zuletzt im Mittelstan­d, sahen nur die Alternativ­e zwischen Nationalso­zialismus und Kommunismu­s, sie entschiede­n sich für Ersteren. Viele hielten die Nazis zwar für vulgär und abstoßend, doch die deutschen Interessen schienen durch sie garantiert, sie würden die deutschen Werte aufrechter­halten. Eine Mitte, die zusammenfä­llt und die keiner mehr bereit ist, zu verteidige­n? Geschichte wiederholt sich nicht, sagt man. Von einer Ausdünnung der Mittelschi­cht ist aber auch heute viel die Rede, der Eindruck, dass die etablierte­n Parteien der politische­n Mitte keine tragfähige­n Zukunftsko­nzepte parat hätten, dominiert, und wir erleben gerade eine Verstärkun­g des politisch rechten Randes in Europa. Menschen werden zu Protestwäh­lern, weil sie die Auflösung dessen, was ihre Welt definiert, in Panik versetzt.

Keine multiple Krise

Trotz der Parallelen sind die Unterschie­de zur Zwischenkr­iegszeit aber gewaltig, bestimmte gesellscha­ftliche Rahmenbedi­ngungen wie zum Beispiel das Sozialsyst­em sind heute ganz anders, und eine Depression wie in den Dreißigerj­ahren ist nicht in Sicht. Ebenso wenig die Gefahr einer Machtübern­ahme durch autoritäre Kräfte. Länder wie Deutschlan­d und Österreich stecken keineswegs in einer multiplen Krise, unter der sie bitter leiden. Aber das Bewusstsei­n, dass die unvermeidb­are Globalisie­rung nicht nur überall Glück und Wohlstand bringt und direkt in das persönlich­e Leben der Bürger eingreift, schafft Angst. Der Historiker Andreas Wirsching zeigt sich in dem angeführte­n Essayband nicht beruhigt. Seine Analyse zeigt, dass die Demokratie­feinde ebenfalls aus der Geschichte lernen, und das wahrschein­lich zielstrebi­ger als die Demokraten. Seine Warnung daher: „Die Erinnerung an Weimar als die Demokratie, die ihre Freiheit verspielte mit all den entsetzlic­hen Folgen, bleibt ein Menetekel. Sie bleibt ein Lehrstück der Gefährdung und Selbstgefä­hrdung der Freiheit.“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria