Wenn Konservative nach rechts gehen
Gesellschaft. Ausdünnung der Mitte, Staatsverdrossenheit, Erbitterung übers traditionelle Parteiensystem: In Deutschland findet ein Schulterschluss zwischen Vertretern des Bürgertums und „Neuen Rechten“statt, der manche an Weimar erinnert.
Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird.“Diese Proklamation, die am 15. März 2018 zur Diskussion gestellt wurde und suggeriert, Deutschland lebe wegen eines Staatsversagens in einem illegalen Rechtszustand, umfasst nicht mehr als diese zwei Sätze. Souverän außer Acht gelassen wird, dass die Masseneinwanderung längst gestoppt ist. Wissenschaftler, Künstler, Intellektuelle wurden eingeladen, den Text mit ihrer Unterschrift zu unterstützen. Man solle nicht vergessen, den akademischen Titel hinzuzufügen. 2018 Personen folgten dem Aufruf, unter ihnen das neue Feindbild der deutschen Linken, der Schriftsteller Uwe Tellkamp, der Islamexperte Bassam Tibi, Thilo Sarrazin fehlt nicht, ebenso wenig wie der bekannte Publizist Henryk M. Broder, der in der Vergangenheit gern über „Unterschriftsteller“spottete, deren Namen man unter jedem Manifest finden könne. Seit Ostern darf auch das Volk sich im Reich der Like-Buttons austoben und unterschreiben, als Reaktion auf den Vorwurf des Elitarismus. Wenig Anklang findet die Aktion bei Frauen, sie sind nur zu 15 Prozent vertreten. Initiatorin dieser „Erklärung 2018“ist die frühere CDUPolitikerin Vera Lengsfeld, sie zeigt jetzt Sympathien für die AfD.
Eine APO – diesmal von weit rechts?
Geplant ist eine Petition für den Deutschen Bundestag. Kann man dann getrost zur Tagesordnung übergehen, oder entwickelt sich hier gerade 50 Jahre nach 1968 eine Außerparlamentarische Opposition (APO) von rechts? Interessant ist die Melange, die sich auf dieser Liste zum Schulterschluss zusammenfindet. Es sind Vertreter der sogenannten Neuen Rechten, radikale Denker. Mili- tante oder NPD-Funktionäre sind ausgeschlossen. Unterzeichner sind aber auch typische Vertreter aus dem konservativen Bürgertum, auffällig viele Ärzte sind unter ihnen, auch Rechtsanwälte und Wissenschaftler. Das ist auch ein Unterschied zur inzwischen aus den Schlagzeilen geratenen islamfeindlichen Pegida-Bewegung, die sich mehr aus dem Kleinbürgertum rekrutierte. Beiden Bewegungen gemeinsam ist aber wohl, wenn auch nicht immer offen ausgesprochen, die Parole: „Merkel muss weg!“Das Delikt: Schuld am Staatsversagen in der Flüchtlingskrise.
Risse in der liberalen Demokratie
Ein Erfolg zeichnet sich ab. „In Champagner“-Laune sieht „Zeit“-Autor Thomas Assheuer die radikale Rechte (er selbst belegt sie sehr pauschal mit dem Begriff „Die Rechte“) – weil ihr etwas zu gelingen scheint, was seit 1945 in der Bundesrepublik Deutschland nicht möglich war: dass ihre Ideen in konservativen Kreisen endlich hoffähig werden. Ohne Schulterschluss mit den Konservativen, die sich in Adenauers und Kohls CDU zusammenfanden, blieb diesen Strömungen nur der Rückzug, die Schmuddelecke, das Warten auf den Moment, in dem das System der liberalen Demokratie anfangen würde, Risse zu bekommen.
Nicht verwunderlich, dass die drohende Abwendung der konservativen bürgerlichen Mittelschicht von den Idealen der liberalen Demokratie die Diskussion um den Niedergang der deutschen Demokratie neu belebt. Bereits im Vorjahr, als sich der Einzug der AfD in den Bundestag abzuzeichnen begann, stellten sieben Historiker die Frage: Droht eine Wiederkehr von Weimar? Ihre Analysen wurden im Bayerischen Rundfunk gesendet, in der „FAZ“abgedruckt und sind nun auch im Verlag Reclam unter dem Titel „Weimarer Verhältnisse“erschienen.
Die Bitterkeit gegen ein Parteien- und Regierungssystem, in dem sich breite Kreise im Stich gelassen fühlten, ist für Anfang der 1930er-Jahre vielfach belegt. „Von einer parlamentarischen Regierung will man nichts mehr wissen, da alle großen Parteien versagt hätten“, heißt es im Dezember 1932 in einem Bericht aus Bayern. Der massive Zorn auf alle Verantwortlichen war die eine Seite, die andere war der Wunsch nach sozialer Harmonie und Einheit, die durch die Ausschaltung all derer, die das verhinderten, erzwungen werden sollte. Das ist eine Grundstimmung, die angesichts von Migrationsschüben und Globalisierung in nicht wenigen europäischen Ländern heute genauso auftritt.
Aus einzelnen Beschwerden bildete sich damals im Mittelstand eine allgemeine Unzufriedenheit heraus. Die Attraktivität einer autoritären Herrschaft ging zum Teil darauf zurück, dass durch sie eine Rückkehr zur guten alten Zeit möglich erschien. Eine Mischung von restaurativen und revolutionären Wunschvorstellungen. Man versuchte im Kampf gegen eine sich verändernde Welt soziales Prestige zu bewahren, das man in der nüchternen republikanischen Wirklichkeit nicht mehr zu finden glaubte. Daher die nervöse, für radikale Parolen anfällige Gereiztheit und die Suche nach einer „neuen“Partei. Vom modernen, interventionistischen Staat erwartete man sich keine Hilfe.
Angst über den Verlust des Vertrauten
In harten Zeiten war nichts einfacher, als Neid und Hass auf eine Bevölkerungsminderheit zu lenken, auf die eine halbe Million Menschen zählende jüdische Gemeinschaft. Drei Jahre wirtschaftliche Depression ge- nügten, um eine intolerante Gesellschaft zu hinterlassen und die humanen Prinzipien, auf denen die Weimarer Republik gegründet worden war, zurückzudrängen. Viele, nicht zuletzt im Mittelstand, sahen nur die Alternative zwischen Nationalsozialismus und Kommunismus, sie entschieden sich für Ersteren. Viele hielten die Nazis zwar für vulgär und abstoßend, doch die deutschen Interessen schienen durch sie garantiert, sie würden die deutschen Werte aufrechterhalten. Eine Mitte, die zusammenfällt und die keiner mehr bereit ist, zu verteidigen? Geschichte wiederholt sich nicht, sagt man. Von einer Ausdünnung der Mittelschicht ist aber auch heute viel die Rede, der Eindruck, dass die etablierten Parteien der politischen Mitte keine tragfähigen Zukunftskonzepte parat hätten, dominiert, und wir erleben gerade eine Verstärkung des politisch rechten Randes in Europa. Menschen werden zu Protestwählern, weil sie die Auflösung dessen, was ihre Welt definiert, in Panik versetzt.
Keine multiple Krise
Trotz der Parallelen sind die Unterschiede zur Zwischenkriegszeit aber gewaltig, bestimmte gesellschaftliche Rahmenbedingungen wie zum Beispiel das Sozialsystem sind heute ganz anders, und eine Depression wie in den Dreißigerjahren ist nicht in Sicht. Ebenso wenig die Gefahr einer Machtübernahme durch autoritäre Kräfte. Länder wie Deutschland und Österreich stecken keineswegs in einer multiplen Krise, unter der sie bitter leiden. Aber das Bewusstsein, dass die unvermeidbare Globalisierung nicht nur überall Glück und Wohlstand bringt und direkt in das persönliche Leben der Bürger eingreift, schafft Angst. Der Historiker Andreas Wirsching zeigt sich in dem angeführten Essayband nicht beruhigt. Seine Analyse zeigt, dass die Demokratiefeinde ebenfalls aus der Geschichte lernen, und das wahrscheinlich zielstrebiger als die Demokraten. Seine Warnung daher: „Die Erinnerung an Weimar als die Demokratie, die ihre Freiheit verspielte mit all den entsetzlichen Folgen, bleibt ein Menetekel. Sie bleibt ein Lehrstück der Gefährdung und Selbstgefährdung der Freiheit.“