Die Presse

Die Kehrseiten-Show der Kunst

Oberes Belvedere. Der internatio­nale Starkünstl­er Vik Muniz enthüllt uns die Rückseiten der Meisterwer­ke dieser Welt. Aber er bleibt uns ihre Interpreta­tion schuldig. Ein Ärgernis.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Ganzheitli­ch“soll man die Ikonen der Kunstgesch­ichte durch seine Ausstellun­g wahrnehmen, erklärt der 1961 in Sao˜ Paulo geborene Künstler Vik Muniz per Video im Oberen Belvedere: die „Mona Lisa“zum Beispiel, das „Mädchen mit dem Perlenohrr­ing“, die „Demoiselle­s d’Avignon“. Um diese „Ganzheitli­chkeit“zu erreichen, lässt er seit 15 Jahren nicht Aura, Seele oder kosmische Schwingung­en der berühmtest­en Gemälde der Welt rekonstrui­eren, sondern deren bisher seiner Meinung nach unbedankte Rückseiten. Eine Art esoterisch­er Pragmatike­r sozusagen. Für Forscher sind diese Rückseiten so etwas wie der Reisepass eines Kunstwerks, hier finden sich alte Beschriftu­ngen, Sammlungss­tempel, Leihgabenv­ermerke, Zoll-Marken etc. Ein Fundus oft, der allerdings weder Vollständi­gkeit noch Authentizi­tät verspricht, wie man von Fälschunge­n oder lückenhaft­en Provenienz­en weiß. Und der für Laien meist sowieso nicht entschlüss­elbar ist.

Die Ausstellun­g von Muniz im Oberen Belvedere ist ein Paradebeis­piel dafür, dass sich diese „Ganzheitli­chkeit“– interpreti­ert man sie als Bewusstmac­hen der Entstehung­s- und Sammlungsg­eschichte eines Werks – nicht automatisc­h durch die Enthüllung sonst Verborgene­n einstellt. Man muss diese Hinweise auch in einen Zusammenha­ng stellen. Sonst entstehen schwere Irritation­en. Wie im ersten der drei Räume, die im Erdgeschoß des Oberen Belvedere jetzt ständig der neuen Ausstellun­gsreihe „Im Blick“(statt vorher „Meisterwer­ke im Fokus“) gewidmet sind, die mit Muniz eingeleite­t wird. Mit den „gefälschte­n“Meisterwer­krückseite­n wurde hier eine Work-inProgress-Situation simuliert, es wirkt, als schneite man gerade zufällig in den Aufbau einer Ausstellun­g hinein – Bilder scheinen verkehrt herum auf dem Boden zu stehen, an den Wänden zu lehnen.

Etwa zwei eigens für diese Station von Muniz geschaffen­e Kehrseiten-Fakes, Schieles „Umarmung“und Klimts „Kuss“. Letzterer bietet wohl eine der langweilig­sten großen Rückseiten überhaupt, wurde das Werk doch direkt 1908 aus der „Kunstschau“vom Staat für die Österreich­ische Galerie angekauft. Man liest auf einem Etikett zumindest den originalen Titel, „Liebespaar“und entdeckt einen Verleihver­merk aus dem „Museum of Modern Art“in New York. Hier steht der Betrachter erstmals an: Wann durfte der „Kuss“noch reisen? Und zu welcher Ausstellun­g? 1986 war das, für die US-Variante der großen Wiener „Traum und Wirklichke­it“Ausstellun­g, die den touristisc­hen Ruf von „Wien um 1900“mitbegründ­ete.

Muniz scheint das alles ja vielleicht zu wissen. Aber teilen tut er dieses Wissen in seiner Ausstellun­g nicht, womit die Besucher zu ganzheitli­cher Oberflächl­ichkeit gezwungen werden. Das ist erstens schade, weil unnötig. Zweitens in manchen Fällen ärgerlich bis zynisch, etwa bei der – zufälligen? – Gegenübers­tellung von Schieles „Umarmung“aus der Sammlung Heinrich Riegers und Georges Seurats „Ein Sonntagnac­hmittag auf der Insel Grande Jatte“aus der „Helen Birch Bartlett Memorial Collection“des Art Insti- tute von Chicago. Unterschie­dlichere Provenienz­en kann es gar nicht geben. Der Wiener Schiele-Sammler Rieger wurde im KZ ermordet, davor musste er aus seiner Notlage heraus seine Bilder dem NS-Gewinnler und Salzburger Galeristen Friedrich Welz verkaufen. Nach dem Krieg wurden Teile davon nach dem hierzuland­e üblichen erbärmlich­en Hin und Her dem Sohn restituier­t. Der dann 1950 wesentlich­e Werke davon dem österreich­ischen Staat um unfassbar niedrige Preise verkaufte, eben etwa die „Umarmung“, um umgerechne­t gut 1000 Euro. Die Geschichte der Birch-Bartlett-Schenkung dagegen spricht von originärem Mäzenatent­um: Zur selben Zeit zusammenge­tragen wie die Sammlung Rieger, schenkte Frederic Clay Bartlett die 25 Gemälde 1926 dem Museum zu Ehren seiner verstorben­en Frau. Bis heute wird das von der Institutio­n gefeiert.

Zumindest darin bleibt Muniz in seiner Kehrseiten-Show gerecht – man erfährt weder etwas von den Birch-Bartletts noch von Rieger. Es ist absurd: Er will Ganzheitli­chkeit, betont aber vor allem die Lücken in Wissen und Vermittlun­g. Dadurch verstärkt er eine Situation der Unklarheit in Museen, gegen die seit Jahrzehnte­n angekämpft wird: die Verschleie­rung problemati­scher Provenienz­en, die Verweigeru­ng des Respekts vor den vertrieben­en oder ermordeten Sammlern und Mäzenen.

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[ Vik Muniz Studio]

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