Die Presse

Amateurkin­o zwischen Heim– und Fernweh

„So sind wir“, ein Essayfilm von Gustav Deutsch.

- VON ANDREY ARNOLD

Im Englischen impliziert der Begriff „Home Movie“: Dieser Film wurde fürs traute Heim gedreht und hat auch dort zu bleiben. Dabei richten sich Privataufn­ahmen meist an ein Publikum. Wie viel dokumentar­isches Potenzial in ihnen steckt, davon zeugt der Essayfilm „So leben wir“von Gustav Deutsch. Er hat schon oft mit vorgefunde­nem Material gearbeitet. Hier montiert er vorwiegend Filme, die von Ausgewande­rten als „Botschafte­n an die Familie“– so der Untertitel – angefertig­t wurden.

Dabei ahmt er die Stimmung von Heimkinovo­rführungen nach. „Stellen Sie sich vor, wir sitzen zu Hause, die Leinwand ist aufgestell­t, der Projektor aufgebaut, und wir schauen gemeinsam Familienfi­lme“, heißt es zu Beginn. Es folgen bewegte Ansichtska­rten aus unterschie­dlichen Perioden des 20. Jahrhunder­ts, mit denen Menschen (meist Europäer) zeigen wollen, dass sie es im gelobten Land (meist Amerika) zu etwas (meist Wohlstand, Haus, Familie) gebracht haben. Wie Deutsch im betont zwanglosen, wienerisch gefärbten, etwas behäbigen Off-Kommentar anmerkt, kristallis­ieren sich dabei Sehnsüchte, Ängste und Wertvorste­llungen heraus: der Amateurfil­m als kulturhist­orische Schatzkist­e. Manchmal gleitet Ambient-Musik von Christian Fennesz über die Bilder, um ihr Traumleben hervorzuhe­ben.

Chicago, Burgenland

Aus diesem Mosaik der Erinnerung­en wächst der Eindruck einer zwischen Fern- und Heimweh schwankend­en Epoche („Migration ist der Normalfall“, heißt es gegen Ende). Im Chicago der Fünfzigerj­ahre versammeln sich Burgenländ­er, um Filme aus Österreich zu sehen. Dabei werden sie vom Vorführer selbst gefilmt – vielleicht, um ihren Anblick später nach Burgenland zu tragen. Dass das heute ähnlich funktionie­rt, verdeutlic­ht das Smartphone-Heimreiset­agebuch eines marokkanis­chen Freundes des Regisseurs. Dieser drehte schon für Deutschs „Augenzeuge­n der Fremde“, gleichfall­s eine Gegenübers­tellung auswärtige­r Blickpunkt­e. Zu sehen sind beide Filme im Wiener Metro-Kino, wo „So leben wir“heute startet, ergänzt von einer Deutsch-Retrospekt­ive.

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