Amateurkino zwischen Heim– und Fernweh
„So sind wir“, ein Essayfilm von Gustav Deutsch.
Im Englischen impliziert der Begriff „Home Movie“: Dieser Film wurde fürs traute Heim gedreht und hat auch dort zu bleiben. Dabei richten sich Privataufnahmen meist an ein Publikum. Wie viel dokumentarisches Potenzial in ihnen steckt, davon zeugt der Essayfilm „So leben wir“von Gustav Deutsch. Er hat schon oft mit vorgefundenem Material gearbeitet. Hier montiert er vorwiegend Filme, die von Ausgewanderten als „Botschaften an die Familie“– so der Untertitel – angefertigt wurden.
Dabei ahmt er die Stimmung von Heimkinovorführungen nach. „Stellen Sie sich vor, wir sitzen zu Hause, die Leinwand ist aufgestellt, der Projektor aufgebaut, und wir schauen gemeinsam Familienfilme“, heißt es zu Beginn. Es folgen bewegte Ansichtskarten aus unterschiedlichen Perioden des 20. Jahrhunderts, mit denen Menschen (meist Europäer) zeigen wollen, dass sie es im gelobten Land (meist Amerika) zu etwas (meist Wohlstand, Haus, Familie) gebracht haben. Wie Deutsch im betont zwanglosen, wienerisch gefärbten, etwas behäbigen Off-Kommentar anmerkt, kristallisieren sich dabei Sehnsüchte, Ängste und Wertvorstellungen heraus: der Amateurfilm als kulturhistorische Schatzkiste. Manchmal gleitet Ambient-Musik von Christian Fennesz über die Bilder, um ihr Traumleben hervorzuheben.
Chicago, Burgenland
Aus diesem Mosaik der Erinnerungen wächst der Eindruck einer zwischen Fern- und Heimweh schwankenden Epoche („Migration ist der Normalfall“, heißt es gegen Ende). Im Chicago der Fünfzigerjahre versammeln sich Burgenländer, um Filme aus Österreich zu sehen. Dabei werden sie vom Vorführer selbst gefilmt – vielleicht, um ihren Anblick später nach Burgenland zu tragen. Dass das heute ähnlich funktioniert, verdeutlicht das Smartphone-Heimreisetagebuch eines marokkanischen Freundes des Regisseurs. Dieser drehte schon für Deutschs „Augenzeugen der Fremde“, gleichfalls eine Gegenüberstellung auswärtiger Blickpunkte. Zu sehen sind beide Filme im Wiener Metro-Kino, wo „So leben wir“heute startet, ergänzt von einer Deutsch-Retrospektive.